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Abermal, Kapitel 12, Seite 01

flackert


Fast halb vier zeigte ferne Kirchturmuhr, als er etwas beklommen vor erdrückend anmutendem Eingangsportal gräflichen Anwesens stand. Wirklich sehr großes und ersichtlich altes Haus in fast schon klassizistischem Stil. Aber bestens erhalten und gut in Schuss. Man nannte derlei wohl auch Palais.

Messingschild mit hiesigem Landeswappen prangte rechts des Portals. "Dr. jur. Leonhard von Preungen, Notar" stand darauf, anbei Knopf für elektrische Klingel. Jedoch nicht irgendeiner, sondern aufgerissenes Löwenmaul, dessen Knubbelnase den Klingelknopf bildete. Also auch eine Kanzlei hier eingerichtet. Daneben kunstvoller langer Klingelzug mit Ringgriff. Kein weiterer Name. Aber wozu auch? Dass hier Gräfin Almuth von Dahlendorf nebst Anhang wohnte, wusste doch jeder in der kleinen Stadt.

Nach einigem Zögern griff er schmiedeeisernen Ring und zog kräftig. In Tiefen des großen Gebäudes läutete eine Glocke. - Mindestens volle Minute verstrich, bevor drinnen Trittgeräusche näherten. Endlich kam jemand. Langsam schwang im Portal zusätzlich eingelassene Tür halb auf. Gestreng schaute dralle Frau heraus. Haushälterin oder so etwas in dieser Art schien sie nicht. Ihre Kleidung wies anderes aus.

"Ja bitte?" schallte ihm entgegen.

"Guten Tag, verehrte Frau! Mein Name ist Erfried Gundeleit. Frau Zeisig von der Buchhandlung lässt schön grüßen. Sie schickt mich, weil ich gern ein Buch aus der gräflichen Bibliothek eingesehen hätte, das es sonst nicht gibt. Wäre das möglich?"

"Frau Zeisig meinte, hier sei etwas, das sie nicht besorgen könne?" Sie beäugte ihn zurückhaltend und wenig verhohlen misstrauisch, missbilligte offensichtlich sein Anliegen.

"Ja, Frau Zeisig sagte, dass Abhandlungen über die Ronnburg kaum mehr im Handel zu bekommen wären. Und die Stadtbücherei ist doch schon seit Mittag geschlossen heute. Sie meinte, in der gräflichen Bibliothek sei sicher etwas darüber zu finden..."

"Ja, ja, wahrscheinlich!" fiel sie ihm ins Wort. "Aber da sollte vielleicht erst einmal die Frau Gräfin um Erlaubnis gefragt werden. Hier ist ja keine öffentliche Bibliothek."

"Selbstverständlich, verehrte Frau. Ich will ja auch nicht lästig fallen..."

"Etwas Geduld! Ich werde die Frau Gräfin um ihre Meinung bitten. Wie war der Name?"

"Erfried Gundeleit, verehrte Frau!" Zweimal nacheinander schnitt sie ihm unsäglicher Weise das Wort ab. Kein sonderlich gutes Benehmen, fand Erfried. Die alte Gräfin Dahlendorf besaß jedenfalls wesentlich bessere Manieren.

Die Tür klappte ins Schloss und er stand gleich bettelndem Landstreicher auf breit ausladenden Stufen der Zugangstreppe. Ziemlich lange. Ihm kam es bald wie eine halbe Stunde vor. Aber dann öffnete wer erneut die Tür. Sachtes Quietschen. Nachgerade beleidigten Blickes schaute jene dralle Person ihn an.

"Die Frau Gräfin hat keine Einwände geäußert." Die Tür schwang genügendes Teil auf, während sie selbst etwas zur Seite trat, Weg ins Allerheiligste unwillig freigab. "Zuvor aber bitte Hände waschen!" befahl sie barsch.

"Natürlich, gerne doch, Verehrteste! Wenn sie die Freundlichkeit hätten, mir zu zeigen, wie und wo?" Vernichtender Blick traf. Erfried konnte nicht nur Charme versprühen, sondern auch gekonnt frech sein.

"Das zeigt unsere Frau Kretz. - Frau Kretz!" sprach sie ältere Frau mit Schürze an, offensichtlich dienstbarer Geist gräflichen Haushalts. "Zeigen sie dem jungen Mann, wo er seine Hände waschen kann."

"Ja, Frau von Preungen", bestätigte die Ärmste herrschaftlichen Befehl.

Oha! dachte Erfried, sie ist also die Angetraute des Notars, dessen Messingschild neben dem Portal so dringlich gülden blank geputzt prangte. Wohl Verwandte der Grafensippe. Er folgte der beschürzten, leicht watschelnden Frau Kretz nach links - immer an der Wand lang - durch erstaunliche Empfangshalle. Reinstes Museum darin angesammelt. Es sah nach Reichtum aus. Nach altem Reichtum.

Uralte bis neuere Ölgemälde unterschiedlicher Größen hingen in schnörkelig geschnitzten, goldfarbenen Rahmen an marmoriert gehaltenen Wänden. Wandteppiche von Ausmaßen, größer als die Bodenfläche ihres Wohnzimmers in der Bachgasse, zierten gleichfalls die Halle. Mindestens zwölf Büsten standen auf Säulenpodesten oder wenigstens acht eingemauerten Wandborden. Dazu gesellten zwei fast lebensgroße Statuen beidseitig des Fußes bühnengroßer Treppenanlage ins erste Stockwerk. Zur Schau gestellter Wand- und Raumschmuck musste allein schon ein Vermögen wert sein.

Vier gewaltig ausschauende Säulen unterteilten die Halle. Sie trennten wesentlich kleiner gehaltenen vorderen Teil am Portal vom hinteren, viel größeren Bereich. Weit ausgreifende Treppe hinter den Säulen mündete im Stockwerk darüber in Balustrade. Als Arkadengang angelegt, führte jene Balustrade offenbar im Viereck um gesamten Innenraum. Durch sechs etwa vier Meter hohe Fenster fiel von zwei Seiten Tageslicht herein. Sowohl in der Halle selbst, als auch vom Stockwerk darüber. Sonderbar hoch liegende Simse. Bestimmt fast drei Meter über Hallenfußboden.



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Mannie Manie © 1999
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