Nach auffordernder Kopfbewegung Herwig Perchtens traten sie zur niedrigen Hügelumzäunung. Knapper Meter trennte noch. Oskar Dimpfl schritt langsam gesamte Breite ab, blieb vor schmiedeeiserner Gattertür stehen. Misstrauisch musterte er Haus und Gelände, winkte lang gedehnte Augenblicke später.
"Wie sieht es aus?" flüsterte Herwig Perchten.
"Das ganze Hügelgebiet ist abgesperrt. Der grauslich hässliche Bungalow ist selber ein Riegel, scheint aus reinem Hass zusammengezimmert. Der Architekt g'hört derschlag'n!" Oskar Dimpfl wies angewidert aufwärts.
"Na, das wundert mich bei den Bauhausfritzen überhaupt nicht", gluckste Ingomar leise. "Wer solche Hässlichkeiten in Bau, Wohnung und Einrichtung verbricht, muss an krankhaftem Hass auf alle Welt leiden."
"Ist ja nicht falsch, mein Sohn", hauchte Herwig Perchten. "Kannst du feststellen, ob da jemand oder etwas drin ist? Ich kann nirgendwo Bewegungen erfassen. Auch hinter den großen Glaswänden rührt sich nichts. Nur die passend scheußlichen Möbel und entsprechend schauriges Dekor sind da."
"Es ist da nichts", verneinte Ingomar. "Aber darunter, also im Hügel drin ist etwas, das ich nicht genau bezeichnen kann. Ich nehme an, es ist ein noch nicht ganz durchlässiges Tor."
"Das wird dann wohl im Kellergeschoss sein oder gleich darunter", vermutete Oskar Dimpfl.
"Nein, das dürfte viel tiefer liegen", meldete Werner Lübbers dunkel. "Und es ist nicht einfach nur ein Tor. Es ist auch Fluchtort."
"Gut! Oskar, können wir in das Ding da rein?" Herwig Perchten klang etwas ungeduldig.
"Bis zum Haus hoch kommen wir bestimmt ohne besondere Gefahr oder unüberwindliche Sperren."
"Was willst du damit sagen?"
"Das grausliche Haus ist die stärkste Sperre. Es ist so von seinen Erbauern angelegt, dass es sich nach und nach immer mehr auflädt. Das g'scherte Ding ist wie eine Batterie, ein Akku. Nur sammelt's da halt keinen Kraftstrom, sondern anderen Strom. Deshalb ist's auch so grauslich anzusehen für unsereins. Aber darum ist's auf die Weise auch gebaut worden. Das ist kunstvolle Bosheit, gebauter Alptraum, und wird früher oder später sogar tödlich. Wenn's das nicht mal jetzt schon ist."
"In Ordnung, dann gehen wir mal hoch." Herwig Perchten schaute zum Mond, wovor gerade quälend eine Wolkenbank wanderte. Es wurde sehr dunkel. Nächste Straßenlampen leuchteten weit entfernt. "Mach bitte das Gittertor auf, Oskar!"
"Hab' ich eben schon." Oskar Dimpfl schob schmiedeeiserne rechte Hälfte beiseite.
Bis auf schwaches Scharren, kein Geräusch. Schnell huschten alle nacheinander durch. Der bayerische Bär ging voraus. Bereits nach wenigen Schritten verließ er mit quadratischen Platten belegten Aufgangsweg in spärlich wachsenden Rasen. Sie folgten, traten möglichst genau in dessen Fußstapfen. Schließlich fand nur er zuverlässig Fallen und Sperren. In unregelmäßigen Schlangenlinien tastete man voran. Halber Hügelhöhe führte fallenloser Weg offenbar zur Rückseite, vorerst ohne Anstieg und gegen Uhrzeigersinn. Besorgt sah Herwig Perchten zum Himmel. - Noch hing die Wolkenbank vor dem Silbermann. Aber nicht mehr übermäßig lange. Mitten auf freiliegendem Hügelabhang könnten sogar ungeübte Augen ihre Gruppe sofort erspähen.
"Gundram, halte dich bereit!" forderte er flüsternd. Gundram nickte, griff Ingomars Hand, wurde geführt, schloss seine Lider.
Tatsächlich wand der sichere Weg zur Hinterseite. Von dort, deutete Oskar Dimpfl an, gehe es Bogen aufwärts wieder zum vorderen Abhang. Die Wolkenbank entließ den Mond. Ungehindertes Nachtgestirn grinste graufleckig gleichgültig, zugleich gemein. Herwig Perchten gab Zeichen, man solle warten. Sie durften nicht ausgerechnet jetzt zur bestens einsehbaren Hügelkuppe steigen. Gundram benötigte stets einige Augenblicke, bis er mögliche Beobachter erfasste. Und dies konnte ein Augenblick zuviel sein. Oskar Dimpfl ging mit Gundram langsam voraus. Behutsam folgten übrige Vier. Es schien alles klar. Sie schlossen auf.
Plötzliches Rascheln. Erfried sah windende Bewegung von rechts. Dünne schwarze Schlange raste am Abhang hoch, peitschte. Scharfer Schreck lähmte. Hart zurückgerissen strauchelte er, fiel in stachelig geschorenen Rasen. Ingomar sprang dazwischen, schirmte Erfried, griff mordlustigen Feind bedenkenlos an, warf volles Gewicht dagegen. Dumpfes Geräusch, als er samt schlängelndem Angriff zu Boden ging. Dann scharfes Zischen. Gegenstand flog durchs Dunkel, plumpste hügelab ins kurze Gras. Anschließend platschte es anhaltend und vernehmlich, brauste merkwürdig.
"Himmelherrgottheilandjesusteufelskreuzsakramentverfluchtnochmal!"
Erfried rappelte hoch, erkannte trotz festsitzendem Schreck weniger bedrohliche Lage. Ingomar sprang auf, stieß etwas weit zurück. Giftig zischend und brausend tobte die Schlange Abhang hinunter, kam außer Sichtweite irgendwo nieder. Leises Gurgeln und Platschen. Kalter Überraschungsregen nässte. Sonst geschah nichts mehr. Nur Ingomar stand sehr tropfend im Mondlicht.
"Das war der Rasensprenger, Jung Siegfried!" prustete Herwig Perchten knapp beherrscht.