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Abermal, Kapitel 05, Seite 07

flackert


Als sei es erst vor kurzem gewesen, zogen Erinnerungsbilder deutlich vorbei. Erfried schlenderte weiter, ließ die Drogerie mit ihrem anzüglichen Automaten links liegen. Voraus strebte er zur Einmündung einer weiteren, kleineren Ladenstraße. Dahinter dehnte der weitläufige Marktplatz samt unverhältnismäßig großer Kirche aus dem Mittelalter. Deren Geläut und Stundenschlag klang jedem Ruhebedürftigen aufdringlich in Ohren.

Eben wollte er zur anderen Straßenseite wechseln... blieb wie angewurzelt stehen. - Was ist das denn? - Seine Augen, erst weit, dann verengt, nahmen Erspähtes scharf ins Blickfeld.

Dunkle Gestalt lief zwischen hastenden Leuten auf dem breiten Gehsteig gegenüber. Sehr deutlich konnte er die Gestalt nicht sehen. Ständig verdeckten andere den gebeugt wirkenden und dennoch keineswegs kleinen Mann. Auch lärmend verkehrende Autos verhinderten ausdauernd genaueren Augenschein, flitzen dazwischen. Diesen Menschen bemerkte er nie zuvor irgendwo. Nicht in ihrer kleinen Stadt.

Oder doch? - Ob es vielleicht ihr Klassenlehrer, Oberlehrer Mantey ist? Von der Statur käme es ungefähr hin. Aber der ist doch krank zur Zeit, hat Grippe. Was latscht der denn hier auf der Straße herum? - Nein, das ist nicht der olle Mantey! stellte er dann sicher fest.

Woher kam die eigentümliche Gestalt? - Wahrscheinlich bereits unterwegs, während er vor der großen Drogerie Gedanken und Erinnerungen nachgab. Jener unbekannte Mann lief womöglich schon länger auf dieser oder anderer Straßenseite oder trat aus einer Gasse zwischen eng stehenden alten Häusern heraus. Belanglos im Augenblick.

Was haftete dem alt erscheinenden Mann auffällig an, stach dermaßen plötzlich ins Auge? - Allein an dessen Körpergröße konnte es nicht liegen. Sicherlich nicht klein. Aber eben auch nicht herausragend. Weder irgendwie auffallend dick oder dürr. Keine besondere Kleidung. Eigentlich ein Ausbund an Durchschnittlichkeit, wie er im Buch stünde. Anderen Leuten schien er nicht eines Blickes nötig. Man vermied nur Zusammenstoß, wollte ihn nicht anrempeln. Selbst achtete er gleichfalls nicht auf andere und ging seltsam gemessen seines Weges.

Was so plötzlich in ihn fuhr, blieb Erfried ein Rätsel. Ob er wollte oder nicht: Diese dunkel anmutende Gestalt nahm seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, kettete fest! Ganz ähnlich, wie Ingomar gestern in der kleinen Bahnhofshalle. Aber hier lag die Sache anders. Weckte Ingomar auf geheimnisvolle aber ganz und gar nicht unangenehme Weise seinen Wissensdurst, sogar Verlangen, überkamen hier deutlich weniger erfreuliche Gefühle. Auf gewisse Art unheimlich und finster.

Staunend glaubte Erfried, den Fremden umgebe Leuchten, eine Hülle. Deren zerfasernde Strahlung reichte scheinbar armlang, bildete spitze Ausläufer, zielte auf andere Fußgänger, drang ein, angelte irgendwas heraus. Und das verschwand sofort in tief dunklem Kern, in eigentlicher Gestalt des Mannes.

Ob es am unverwandt ausgerichteten Blick lag, seine Augen Streiche spielten? Ist das eine Aura?

Von Aura hörte Erfried schon. Doch Aura sollte nach allgemeinen Aussagen Ausstrahlung sein, welche auf andere übergeht oder in solcher Weise wahrgenommen wird. Hier genau umgekehrt! Dieser gebeugt des Wegs gehende Mann nahm auf, gab nichts ab. Krakenhaft zogen dessen viele Greifarme unsichtbare Dinge unauffällig heran. Dunkler Kern schlang sie gleich notwendiger Nahrung. In ausgreifenden, offenbar sehr überlegt gesetzten Schritten ging er unbeirrt weiter. - Ob Herr oder Frau, allen nahm er etwas weg.

Bestahl er Ahnungslose, oder nahm er nur, was diese ohnehin nicht brauchten oder gar nicht zu schätzen wussten? Nahm er, wovon die Leute nicht ahnten, sie haben es? Wussten sie gar nicht, es gehöre ihnen? Ob sie überhaupt Verlust merkten, echte Einbuße litten?

Ich muss zur anderen Straßenseite! - Zu seinem Glück sprang die Fußgängerampel soeben auf Grün. Im Gewühl anderer Fußgänger und ungeduldig wartender Autos überquerte er breiten Zebrastreifen. Eilig zwängte Erfried zwischen Leuten durch. Entgegen sonst gezeigter Hast, gingen sie jetzt nervtötend langsam. Jeder schleppte sein Gewicht in Zeitlupe durch nassen Nachmittag, dessen getrübtes Licht die kleine Stadt in eintöniges Grau tauchte. Tiefhängende Regenwolken belasteten. Erfried glaubte, es werde noch etwas dunkler, als verlasse eine Wolke gewohnte Wege, sinke abwärts und hülle alles in schmutzig feuchte Watte.

Endlich drüben angekommen, schaute er suchend herum. - Verschwunden!

Er muss in die große Querstraße eingebogen sein, überlegte der Junge rasch und hielt flink auf sperrende Hausecke großen Eisenwarengeschäftes zu, wohinter er den dunklen Mann vermutete. Leicht ansteigende Strecke. - Und richtig! Dort lief dessen Gestalt auf selber Seite den Gehsteig entlang. - Wieder fast mit Händen greifbarer Eindruck, dieser Mensch sei dunkel im Kern und blass leuchtend umrahmt.



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Mannie Manie © 1999
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