Ohne weitere Erörterung verließen sie das unheimliche Dachzimmer, schlossen sorgsam die Tür. Brückenpfeiler zur Finsterwelt blieb einsam zurück. Oskar Dimpfl und Werner Lübbers verriegelten alles zusätzlich, als fürchte jeder, es könne ihnen vielleicht doch etwas daraus nachfolgen, in unachtsamen Augenblicken überfallen. - Im anderen Teil des großen Dachbodens: Schöne Bescherung!
Zwei der mehr als mannsgroßen schweren Kisten stapelten sie vorhin rasch und achtlos. Eine kippte von ihrer Unterlage und riss die zweite von deren Unterbau. Beide knallten dann gemeinsam ungeheuer krachend auf Bodenbretter. Erschütterung fuhr durch gesamten Dachstuhlboden, bekam volle Breite und Höhe hier oben als Klangkörper. Daher dieser irrwitzige Donnerschlag.
Staubwolken waberten stickig. Aufgeregt flatterten Fledermäuse durch ihr noch ungemütlicher gewordenes Heim, fiepten empört und verwirrt. Keiner mochte jene schmutzigen Holzfügungen noch einmal anfassen, auf ihren alten Platz hieven. Obendrein reichlich schwere Dinger. Man ließ es liegen, wie es lag.
Geboten vorsichtig verließen sie schnellstens das Bluthaus. Wenige Minuten nach halb drei, verrieten Uhren. In etwa einer Stunde bräche der Morgen an. Früh und hell, wie um diese Jahreszeit üblich, obgleich vom Lichtfraß gezeichnet. Gleich fliehenden Geistern eilten sie in den Durchgang zum Tor.
Herwig Perchten öffnete einen Torflügel spaltweit, lugte vorsichtig nach draußen. Dessen Röntgenaugen musterten Platz und Häuser, während die anderen ungeduldig in benzinmuffig riechender Dunkelheit warteten. Vorsorglich suchte Gundram gleichfalls nach bereits erwachten oder schlaflosen Leuten an Fenstern oder sonstigen Stellen. Etwa halbe Minute später schlüpfte er hinaus, winkte. Offenbar alles im Griff. Herwig Perchten nickte zustimmend.
Sechs gespenstische Gestalten huschten als rasche Schatten zu abgestellten Wagen beim Brunnen. Oskar Dimpfl schimpfte leise, abermals des Schadens an seinem heiß geliebten BMW ansichtig. Sie starteten vorsichtig Motoren, schalteten nur Standlicht ein, verließen geräuscharm langsamer Fahrt den Platz. Düster verschlafen blieb er zurück. Ihr nächstes Ziel hieß Klopfergasse, bevor sie endlich nach Hause, zur Ronnburg konnten.
Beide Autos parkten abseits vom Gasseneingang. Vorsichtig pirschten sie zum Eckhaus, spähten angespannt. Ingomar schüttelte schließlich verneinend den Kopf. Aber der Träger der schwarzen Kutte wies nachdrücklich auf das Praxisschild. Keiner sprach. Dennoch verstanden alle, Dr. Heinrich Wappler, hoch geachteter Hausarzt, sei höchstwahrscheinlich der Brückendiener. Selbstverständlich nicht zuhause, was nunmehr keinen wunderte. Werner Lübbers flüsterte kurz mit Herwig Perchten. Dieser nickte, gab allgemein fortweisendes Zeichen.
Wieder im Wagen, meinte er: "Ganz und gar sicher können wir noch immer nicht sein. Ich würde sagen, zu fünfundneunzig Prozent ist gewiss, Heinrich Wappler ist der Brückendiener. Werner hat im Haus etwas bemerkt, das mit großer Wahrscheinlichkeit vom Lichtfraß stammt."
"Also, ich spürte nichts, was auf den Wappler hinwies. Entweder ist der sowieso über alle Berge, oder er ist es eben nicht", stellte Ingomar klar.
"Eben! Deswegen wird Oskar morgen, also heute, mit Ilse-Lore und Swantraut die Lage genau unter die Lupe nehmen." Herwig Perchten nickte knapp und startete den Opel Admiral.
Matt flammten hinter ihnen Scheinwerfer des BMW. Von hier aus steuerte man sofort zur Ronnburg, nicht mehr derart ausgesprochen heimlich. Fast drei Uhr, als sie oben ankamen. Am östlichen Himmel schimmerte aufkommende Helle. Angekündigtes Morgengrauen, klares Versprechen sonnigen Sommertages.
Frau Nelda begrüßte die Ankömmlinge, verschenkte strahlendes Lächeln, obwohl sie etwas müde aussah. Ihre Mitwächterinnen nicht minder. "Na, da seid ihr ja endlich wieder!"
Herwig Perchten küsste seiner Frau die Hand, erntete Wunder wirkenden Wangenkuss. Sichtlich lebte er auf. Jeder erkannte unzweifelhaft, wie sehr beide einander schätzten und liebten. Selbst während recht langer Zeit ihrer Ehe verlosch der Funke nicht. "War hier etwas vorgefallen, meine Liebe?"
"Eigentlich schon, aber nichts wirklich Aufregendes. Leider oder glücklicherweise! Nachdem ihr eine halbe Stunde fort wart, schlich irgendwer oder irgendwas am Waldrand unten herum, machte einen weiten Bogen um den gesamten Schutzkreis und verschwand schließlich wieder. Möglicherweise ein ausgeschickter Kundschafter. Aber es ließ sich nicht genau feststellen. Ich nehme aber an, dass es so war, weil diese eigenartige Ungenauigkeit dabei auffiel. Nur ein schlafloser Mensch auf Nachtspaziergang kann es nicht gewesen sein. Das wäre unzweifelhaft von uns erkannt worden."
"Also schleichen die neugierigen Augen des Lichtfraßes auch schon hier herum", meinte Werner Lübbers nachdenklich, entschlüpfte schwarzer Kutte. "Daran kann man sehen, wie viel Kräfte unser Feind bereits gesammelt hat, wenn seine Späher so nah heranwagen."
"Das haben wir uns auch gedacht. Aber dann verschwand dieses schleichende Etwas schließlich", bemerkte Swantraut. "Ansonsten habe ich nur ganz von fern unseren Frecke mit seiner Hundefreundin am Rand der Siedlung herumstreunen sehen", lachte sie.
"Was so ein Hundewesen doch für eine Ausdauer hat", kicherte Ilse-Lore Schuler.
"Und wie ist es euch ergangen?" wollte Frau Nelda erfahren, nachdem alle im großen Wohnraum beieinander saßen.