Mit wem sollte er darüber sprechen? Wem Erlebnisse und Erfahrungen berichten? Wer versteht das? Günter Meinrad oder jemand aus dessen Familie? - Nein, sie verstünden überhaupt nichts!
Andere enge Freunde hatte er nicht, nur Schulkameradschaften. Zwar Freundschaften genannt, aber eigentlich keine richtigen. Reine Kameradschaft. Bernd Kaiser fast noch ein Kind, Frau Kaiser alberne Betschwester und Bruder Tobler widerwärtiger Bibelschwinger. - Alles Fehlanzeige!
Mit dem Pfarrer reden - Blödsinn! Studierter Holzkopf ohne echte Ahnung! Außerhalb des Amtsbereichs verstand der gar nichts. Sein Klassenlehrer oder andere Lehrer fielen völlig flach. Gleichermaßen studierte Holzköpfe. Meistenteils eklige Kommissbeutel. Seine Mutter kam dafür genauso wenig in Betracht. Maßlos besorgt, schleppe sie ihn höchstens zu Dr. Wappler. Und dieser ausgedörrte alte Knilch verwies ganz sicher an einen Irrenarzt.
Aber ihn trieben keine bloßen Wahngebilde oder Selbsttäuschungen um! Ganz sicher nicht! Von den vollkommen geschwärzten Augen wusste er überhaupt nichts, als er zum ersten Mal dem Dieb des Glanzes begegnete.
Blieben eigentlich nur die Leute von der Ronnburg... Ingomar! Frau Nelda! - In angstvoller Mischung aus Wunschtraum und Zweifel entstanden beide Namen im Kopf, Ingomars lächelndes männliches Gesicht und Frau Neldas feine Züge. Letztere voller Wissen und Reife.
Konnte er Perchtens trauen? - Gedanken sprangen als giftige Zwerge herum, bauten windschnell ratternde Zwickmühlen, zettelten wilde Kämpfe an. - Zerreißprobe: NEIN aus Gespür, JA vom Verstand!
Wenig erleichtert betrat er die kleine Wohnung, stellte die Schultasche weg und begrüßte seine Mutter und Reinhild. Dann nahm er am Esstisch Platz, erduldete ein Eingangsgebet, das auch keinen Trost versprach. Im Gegenteil! Zum Mittagessen gab es den üblichen Eintopf am Sonnabend.
Diesmal Erbseneintopf mit Schweinsfüßen. Gewöhnlich stichelten einzelne Borsten an den fettigen kleinen Haxen. Verschiedentlich und widerwärtig kribbelten und kratzten sie an Zunge und Gaumen, erzeugten Würgen. Wenigstens gegrillt oder gebacken, ginge es einigermaßen. Aber, wie üblich, einfach mitgekocht. Ekelhaft! Sorgfältig sammelte er behelfe scharfem Messer borstige Stellen ab. Reinhild traf es da besser. Auf ihrem Teller landete erst gar keine hässliche Schweinshaxe. Eleonore Gundeleit schnitt zuvor das Teil für sie klein und entfernte die Außenhaut.
Und dafür musste man auch noch beten und diesem freudenfernen Gott und dem Herrn Jesus für kratzige Schweinsborsten Dank sagen! grummelten Erfrieds Gedanken. Glücklicherweise fiel erstes Gebet bereits recht kurz aus. Berechtigte Aussicht gewährt, danach werde es zunehmend bündiger und am Abend endgültig glücklich unterbleiben. Wenigstens was! Seit Langem zählte Erfried jedes Mal ergeben die Worte. - Und tatsächlich! Statt sechsundzwanzig Worte des Eingangsgebets, elf Worte weniger. Vorausgesetzt, richtig gezählt und leidiges 'Amen' nicht gewertet. Das ließ begründet hoffen.
"Den Abwasch lassen wir heute stehen", verkündete Eleonore Gundeleit und lächelte ihre Kinder an. "Ich muss gleich noch kurz zu Steuerberater Ziegler und in der Küche für ein oder zwei Stunden bei der Vorbereitung einer kleinen Gesellschaft helfen." Zu Reinhild gewandt: "Du kannst gern mitkommen. Du kennst ja die kleine Traute Ziegler. Herr Ziegler freut sich immer, wenn seine kleine Tochter eine Spielfreundin hat."
"Au ja, Mama!" stimmte Reinhild zu. "Die Traute hat ganz tolle Puppen und viele Kleider dafür und in dem großen Haus können wir ganz wunderbar spielen."
"Na siehst du! Traute hat schon beim letzten Mal nach dir gefragt. Dort, wo Zieglers wohnen, sind nicht so viele Mädchen im passenden Alter für sie. - Und was hast du heute nachmittag vor?" fragte Eleonore Gundeleit ihren Sohn.
"Meine Schularbeiten kann ich ja noch morgen machen. Ich will auch gleich mal zu Günter Meinrad rüber. Der erzählte schon vor Tagen, sein Bruder habe ein paar neue Schallplatten mit heißer Musik." Ob er es wirklich wollte, stand allerdings nicht fest.
"Heiße Musik? Das bedeutet doch bestimmt wieder irgend so eine verrückte Krawallsache, wo ganz fürchterlich auf elektrischen Gitarren gequietscht wird, stimmt's?" Eleonore Gundeleit schüttelte verständnislos den Kopf. "Wie man das bloß stundenlang anhören kann, ist mir ein Rätsel."
"Uns ist es ein Rätsel, wie man sich über ganze Nachmittage und Abende hinweg eine Oper antut, wo ständig irgendwelche komisch angezogenen dicken Leute einander laut anschreien", entgegnete Erfried und grinste.
"Das ist hohe Kunst, du Banause!" tadelte seine Mutter leichthin. "Aber davon will man bei der heutigen Jugend wohl nichts mehr wissen und hört lieber dieses unmelodische Gehämmer."