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Abermal, Kapitel 07, Seite 07

flackert


Na, hoffentlich rettet 'unser Herr Jesus' mich auch vor Leuten wie dir! betete Erfried insgeheim, hegte aber mittlerweile erhebliche Zweifel daran. Lieber ginge er dreimal die Woche zur Bibelstunde und dem nervigen Ringelreihgebet der Kirchenjugend, statt solches in dieser sonderbaren Bethlehem-Gemeinde erleiden. Alles andere als verlockend, was innerhalb weniger Zeit an Eindrücken überfiel. Weiterer Rettungsversuch: "Da müsste ich aber vorher meiner Mutter Bescheid sagen, weil sie nicht weiß, wo ich so lange bin."

"Ich könnte deine Mutter anrufen oder auch du", bot der mergelige Mann mit seinem unfrohen Lächeln an, zeigte dabei wundersam große Zähne.

"Wir haben kein Telefon", stellte Erfried erleichtert klar.

Sofort verschwanden die großen Beißer wieder, machten eigenartiger Miene Platz, welche wohl bemüht freundlich sein wollte. "Oh, ich vergesse manchmal, dass ein Telefon noch lange keine allgemeine Selbstverständlichkeit ist. Nun sicher, wir wollen deine liebe Mutter ja nicht in Sorge stürzen, das würde der Herr Jesus nicht wollen."

Meine Güte, schon wieder der Herr Jesus! stöhnte Erfried lautlos aber fest entschlossen, solchem Jesusansturm mannhaft zu widerstehen. "Außerdem müsste ich ja auch deshalb mit unserem Herrn Pfarrer sprechen, wenn ich plötzlich in eine andere Bibelstunde wechsle. Und meine Mutter müsste ich auch fragen."

"Das ist wirklich sehr wohlerzogen von dir", lobte der knochige Prediger, konnte jedoch Misslaune über eben erlittene Niederlage nicht völlig verbergen. Wie scharfer Blitz zuckte es kurz über dörrfleischige Gesichtszüge. "Allerdings glaube ich nicht, dass der Pastor oder deine Mutter etwas gegen den Herrn Jesus einzuwenden hätten. Um Gottes Wort zu folgen, bedarf es sicher keiner besonderen Genehmigung. Unser Herr Jesus ruft uns alle zur Umkehr auf!"

Umkehr? Nichts lieber als das! Auf dem Absatz kehrt! Nur zu gerne! - Schickte der Himmel ihm Prüfungen? Von solchen Prüfungen sprach unlängst der Vikar. Oder meinte der andere? Das musste er eben tapfer durchstehen. Erfried setzte noch einen nach: "Da haben sie sicher recht, Herr Tobler! Aber heute kann ich nicht einfach wegbleiben, wenn meine Mutter mich viel früher wieder zurückerwartet."

Dass es nicht ganz der Wahrheit entspräche, vermutete der Kantige sofort. Gehorsam gegenüber Eltern in Frage stellen, ging leider nicht. In eigener Strenge verstrickt. "Na schön, mein Junge! Dann sage mal bitte Zuhause, wo du morgen sein wirst." An Bernd gewandt: "Und du, Bruder Bernd, bringst unseren jungen Freund dann mit zur Bibelstunde."

"Das mach' ich, Bruder Tobler!" versicherte Bernd Kaiser rasch. Nickte zwar eifrig, rutschte aber unwohl auf seinem Stuhl herum, machte den Eindruck, die Haut sei ihm eng geworden.

"Wunderbar!" meinte Bruder Tobler und zeigte wieder überaus bemerkenswerten Gaumenbewuchs. Er griff in abgeschabte alte Aktentasche, am Tischbein unten angelehnt. "Hier habe ich noch ein schönes Buch für euch zwei beide", meinte er mit einem Lächeln, welches eher genüsslichem Grinsen glich und packte unansehnliches Druckwerk auf den Tisch.

'Biblische Geschichten' stand auf grauem Umschlag. Unter dicken Buchstaben dräute ebenso graues Bild, offenbar Kupferstich. Recht gewaltsam beherrschte Gott Vater rauschebärtig dessen Mitte, kahlköpfig zwischen grauen Wolken und grauen Lichtstrahlen. Zu dessen Füßen stand heilig säuerlich lächelnd Jesus mit Dornenkrone, Wundmalen und blökendem Schaf. Darüber der heilige Geist als flatterndes Federtier, als Taube eingepasst. Alles in Grauschattierungen gehalten.

Unter dem viel besagten heiligen Geist konnte sich beim besten Willen kaum jemand etwas richtiges vorstellen. Auch Pfarrer und Vikar, und noch viel mehr ihr Religionslehrer, blieben dafür vernünftige Erklärungen schuldig. Lediglich im Neuen Testament stand seltsame Beschreibung eintretenden Zustandes, wenn jener Vogelgeist Gläubige überwältigte.

Demnach verfielen diese wunderlichen Leute in überaus eigentümliche Stimmung, fuchtelten mit Händen und stießen unverständliche Laute aus, Zungenreden genannt. Daneben höchst unfreundliche Drohung geschrieben, wer über so Besessene lache, fiele auf der Stelle ewiger Verdammnis ohne Gnade und Aussicht auf Rettung anheim. - Allerhand!

"Danke, Bruder Tobler", sagte Bernd Kaiser beflissen, griff sofort nach dem biblisch grauen Band und sah erpicht hinein.

Erfried begriff rasch, es sei wohl sicherste Möglichkeit, den Prediger endlich loswerden, hielten er und Bernd unverzüglich das farblose Buch vor die Nasen.

"Das ist wirklich ein sehr schönes Bild hier" heuchelte er und deutete auf mausgraue Männergruppe mit feinreifigen Heiligenscheinen über wirren Haaren. Obendrein lange Bärte in bärbeißigen Gesichtern und Bettlaken umgehängt, statt anständig in Hemd und Hose. Zu seinem Erstaunen zeitige diese Vorgehensweise tatsächlich gewünschtes Ergebnis.



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Mannie Manie © 1999
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