Wunderschöner Freitagmorgen. Kein einziges Wölkchen störte am blauen Himmel und helle Sonne schickte klares Morgenlicht warm herunter. Nur in schmaleren Gassen kam es noch nicht richtig an, abgefangen von umliegenden Häusern. Dafür spiegelte das Tagesgestirn blendend in mehr oder weniger blanken Fensterscheiben. Zumeist selbstverständlich peinlichst gereinigte Glasflächen. Schon wegen unsäglicher Neugier dahinter lauernder Hausfrauen blieb keine Scheibe lange von Putzanfällen verschont.
Aber trotz lachenden Morgens, merkte Erfried gewachsene Verfinsterung. Keineswegs Lichtminderung, sondern drückende Einwirkung aufs Gemüt aller Menschen. Schatten unter sämtlicher Leute Augen, und deren Gesichter schienen grauer und nichtssagender als jemals zuvor.
Einbildung? - Schließlich schob er alle Fragen fort, erreichte das kasernenartig groß, breit und gewalttätig auf Anhöhe gelegene Schulgebäude. Wie so oft, etwas spät. Die Schulglocke schrillte längst. Erfried stürmte atemlos ins miefige Klassenzimmer
Ihr eigentlicher Klassenlehrer, Oberlehrer Mantey, saß von seiner Grippe genesen am Lehrerpult, sah auch sonst sehr gesund aus. Günter Meinrad kam halbe Minute zu spät, vom Klassenlehrer unwirsch auf seinen Platz geschickt. Günters blasse Entschuldigung mochte er nicht hören, machte dafür betont deutlich einen Eintrag ins Klassenbuch, klappte es lautstark zu und begann gewohnt misslaunig den Unterricht. Und heute schien er besonders schlechter Laune.
Ob ihn seine Frau letzte Nacht nicht...? - Nein, daran konnte es nicht liegen. Mantey war Witwer.
Wie an allen Freitagen, stand zuerst zwei Stunden Rechnen auf dem Stundenplan. Rechnen, Rechnen und noch mal Rechnen. Ein allgemein gefürchteter Tag, denn nach der großen Pause folgte sogleich Raumlehre. Freitags stets vom Klassenlehrer verabreicht, entsprechend grau und langweilig gestaltet. Danach gab es dann, gleichfalls beim Klassenlehrer, gesalzen und gepfeffert grauenvolles Diktat. Eine geschlagene Stunde lang!
Freitags wolkte also stets besonders schreckliche Zeit, in welcher allen Klassenkameraden der Kopf rauchte. Jeder atmete heilfroh auf, erlöste die Schulglocke mittags endlich von Qualen. Und abermals hassten alle den Klassenlehrer von ganzem Herzen. Wer wünschte ihm da nicht scheußlichste Todesarten an beamteten Oberlehrerhals?
Noch abscheulicher drohte nur der Montag, wo vergleichbare Abfolgen im Stundenplan vorgesehen. Nach freiem Sonntag übelste Begrüßung neuerlicher Woche für geplagte Schüler. Lediglich den Unterricht in Raumlehre verabreichte ein anderer Lehrer. Und eigenartiger Weise machte das bei dem sogar leidlich Spaß. Da kann man mal sehen.
Fast alle Lehrer dieser Schule mussten noch im Dritten Reich ihre Jugend ansiedeln. Besonders beliebt bei diesen ewigen Kommissbeuteln, sattsame Leib- und Magengeschichte über ehemalige Schüler, welche angeblich eingestanden: "Ach, Herr (Name des Quälgeistes), ich bin ihnen ja so dankbar für alles, was sie mir beigebracht haben!"
Wer's glaubt, wird selig! - Keiner in der Klasse nahm den grässlichen, meist ausgesprochen gewalttätigen Kommissköpfen das ab. Prügelpädagogen, deren harte Hände schnell ausrutschten und immer hinreichend locker, Zeigestöcke leichterhand schon bei geringster Verfehlung auf zitternde Leiber klatschen ließen. Sei auch nur lässlicher Irrtum oder Versprecher verängstigter Kinder Anlass.
Erfrieds feste Überzeugung: Behauptete Aussprüche können durchaus vorkommen! Aber dann mussten es hoffnungslos abartig Veranlagte sein!
So was gut finden und dafür auch noch dankbar? - Ausgeschlossen, das sind keine normalen Menschen! Einfach nur krank und sonst nichts. Solchen Lehrern haut man saftig eine rein, sobald man groß und stark genug. Und das mit aller Wonne und Freude. Sollte ihm einer dieser Folterknechte nach der Schulentlassung je über den Weg laufen, haue er diesem beamteten Stück Mist wenigstens ein Auge. Ohne jedes falsche Mitleid. Die hatten auch keines. Nur wenige verdienten wirklich Achtung, waren einigermaßen erträglich, würden geschont.
Vorfreude auf Rache ließ ausharren. Rache ist etwas schönes und wunderbares, hält Menschen aufrecht, setzt erstrebenswertes Ziel. Rache ist anständig. Wer Rache fürchtet, bleibt auf der Hut, weckt sie nicht leichtfertig. Nur Versöhnung hat gleichwertigen Rang. - Allerdings besaß Oberlehrer Mantey auch eine sehr angenehme Seite.
Während Zweitem Weltkrieg flog er als Jagdflieger 'Focke-Wulf 190', wurde am Ende des Krieges sogar auf 'Me 262' umgeschult. Seinerzeit unbestritten heißester Ofen der ganzen Welt. Sogar in einer 'Me 163', dem weltersten Deltaflügeldüsenjäger, KRAFTEI genannt, orgelte er damals manche Runde. Das eigenartige Gerät wurde mittels Wasserdampf auf beinah Schallgeschwindigkeit getrieben. Wasserstoffsuperoxyd und ein Katalysator trieben das irre Dingens an. Mit Haarbleichmittel in fünf Minuten auf fast 'Mach 1'! - Abgefahren!
Wollte man erfolgreich Oberlehrer Mantey's Unterricht hintertreiben, brauchte man nur unauffällig das Gespräch auf Flugzeuge bringen. Aber unauffällig, sonst ging's in die Hose. Flugzeugen galt seine große Leidenschaft. Sofort redete er lang und breit über verschiedenste Fliegertypen des zweiten Weltkriegs, lobte die Focke-Wulf-Kisten in höchsten Tönen. Geräte mit Flügeln von Messerschmitt übergoss er mit Häme. Freilich, die 'Me 262' nicht.
Kriegsschwärmer schien er keineswegs, wie viele angejahrt strohdumme Ex-Soldaten, welche immer noch nichts begriffen und stumpfsinnig auch nichts begreifen wollten. Bei ihm entsprang vornehmlich alles überschäumender Begeisterung für Fliegerei.
Warum auch nicht? - Fliegen ist schließlich eine tolle Sache!
Sie merkten es an seinen eher beiläufig eingestreuten Abfälligkeiten über die damalige Regierung. Er ging dabei niemals so plump vor und behauptete einfach, er sei einer von den armen, armen von der geschickten Propaganda Verführten gewesen, eigentlich immer schon unterschwellig 'dagegen'. So dämlich kam er nun wirklich nicht daher.