"Also, wenn ich euch Medizinmänner so höre, dann weiß ich, warum ich da lieber nicht hingehe", versetzte Werner Lübbers erstaunlich launig. "Aber in solchem Fall seid ihr ganz brauchbar, Doktor Krankenschein."
"Soso", meinte Oskar Dimpfl bärenruhig. "Als Ingenieure seid's ihr auch nicht viel mehr als Schlosser mit akademischer Bürde."
"Also, liebe Freunde", lachte der Hausherr. Alle kicherten belustigt. Man kannte deren harmlose Berufsfeindschaft. "Wir sollten besser jetzt einmal unseren jungen Freund um seine Meinung bitten. Das wäre wirklich angebracht."
"Lehne es ab!" riet Ingomar laut, hinter Swantrauts Rücken zu Erfried geneigt.
"Ingomar, bitte", mahnte sein Vater mild.
Erfried wusste erst keine Antwort, folgte verunsichert dem Gespräch, blickte nacheinander in acht Augenpaare. Gundram nickte kaum merklich, stupste ihm Fingerspitzen gegen den Oberschenkel. - Was sollte er machen? Wie entscheiden? - Aussicht auf echtes Männerabenteuer reizte. Und er wollte auch etwas tun, dabei helfen, den Mörder seines Freundes wenigstens empfindlich schädigen. Rachedurst. "Ich komme mit!"
"Schön, dann werden wir gegen Mitternacht aufbrechen. Unsere Wächterinnen wissen, was sie hier zu tun haben, kommen vorzüglich ohne uns aus", nickte Herwig Perchten zufrieden.
"Ist das nicht ein bisschen gefährlich, die Frauen allein hier zurücklassen?" Erfried staunte, zweifelte plötzlich an seiner Entscheidung.
"Unterschätze die Wächterinnen nicht! Das haben schon viele bereuen müssen. Und nicht nur Menschen", betonte Werner Lübbers nachdrücklich, lächelte wieder finster. "Frau Nelda allein ist bestens in der Lage, das Tor zu bewachen und zu schützen. Dafür sind Wächterinnen sogar besser geeignet als Wächter. Wir haben alle verschiedene Gaben und Fähigkeiten und ergänzen damit einander. Da kommt es nicht darauf an, ob weiblich oder männlich. Und in diesem Falle spielt bloße Körperkraft ohnehin untergeordnete Rolle. Aber selbst da würden sich viele reichlich wundern. Ich möchte keine der geschätzten Wächterinnen kampflustig am Halse haben. Weder so, noch so. Das wäre außerordentlich unangenehm und unbekömmlich."
"Oh, Entschuldigung! Das kann ich doch nicht wissen. Ich wollte auf keinen Fall die Damen herabsetzen, habe mich nur um sie gesorgt." Erfried überraschten Werner Lübbers Aussagen. Immerhin kannte er genügend Frauenspersonen, welche ohne männliche Begleitung oft nicht in dunkle Keller wollten und selbst vor Mäusen erschraken.
"Natürlich kannst du das so nicht wissen, Erf", begütigte Frau Nelda. "Aber Frauen waren in alter Zeit auch echte Kriegerinnen, sogenannte Schwertmaiden, zumindest so weit der Waffen mächtig, dass sie erfolgreich ohne Schwierigkeiten Haus und Hof, die Heimat verteidigten. Brünhild aus der Nibelungensage zum Beispiel, ist wohl die berühmteste der Kriegerinnen, deshalb auch Königin gewesen. Als solche musste sie dem Heer voranstürmen, als erste ins Kampfgetümmel stürzen. Sonst wären ihre Krieger nicht gefolgt. Sie tat's mit Schwert, Schild und Speer. Wir haben andere Aufgaben."
Sie blieben bei unbeschwerter Plauderei zusammen, tranken Tee oder wenige Gläser leichten Wein, besprachen aber auch ernst Verfahrensweisen des nächtlichen Vorhabens. Währenddessen erklärte man Erfried wichtige Einzelheiten.
Gundram besaß Gaben der Gängelung, verstellte Wirklichkeit, beeinflusste fremden Willen. Daran bestand für Erfried kaum ein Zweifel, spürte es vor Tagen am eigenen Leib. Swantraut verfügte über Gaben des Fesselns und Fangens, womit sie bald alles festbannen konnte. Werner Lübbers fand verborgene Pfade und konnte Sperren in ihnen errichten, wovor selbst Albengeister in heillose Verwirrung stürzten. Oskar Dimpfl spürte Sperren auf, öffnete Verschlossenes und machte Zugänge frei. Ilse-Lore Schuler bildete Schutzsperren, verhüllte beliebige Orte, tarnte Dinge fast bis zur Unsichtbarkeit. Ingomar erkannte heimlich schleichende Gedankennetze und Wesenheiten, wehrte deren Angriffe ab. Sogar töten konnte er.
Über Frau Neldas und Herrn Herwigs Begabungen erfuhr er nichts. Beide standen anscheinend über den Dingen, zogen und verknüpften Fäden richtig. - Ob das allein so stimmte? - Man schwieg eigenartiger Weise dazu. Seine eigene Begabung bestand offenbar in der Fähigkeit des Ortens, womit er Dinge, Bewegungen und Wesen feststellte. Sicher längst nicht vollkommen, ohne Wächterausbildung.