Doch das lag auch an Lebensjahren, befand Erfried. Selbst zeichnete ihn ja auch noch teilweise knabenhafte Erscheinung beginnender Männlichkeit. Künftige Formen erwachsenen Mannes bereits deutlich enthalten und heiß herbeigesehnt in seinem Alter. Er musste zugeben, Gundrams Gesicht konnte schön genannt werden, wollte man in diesem Zusammenhang von 'schön' sprechen. Gewöhnlich spricht man so nur von Mädchen, was bei Gundram unverkennbar nicht zutraf. Er wirkte sogar ziemlich männlich, zeigte leichten Hauch flaumigen Bartschattens an Wangen, Kinn und über ersichtlich roten Lippen. Immerhin bereits vierzehn Jahre alt, was in ihrem Altersabschnitt gemeinhin sehr unterschied.
Gundram lachte jetzt nicht mehr. Aus verengten Augen betrachtete er sein Gegenüber. "Du schaust so seltsam. Habe ich dich eben sehr gekränkt?" Er wartete keine Entgegnung ab. "Meine Güte! Nimm's nicht so krumm! Du hättest auch gelacht, wenn du dich selber so gesehen hättest. Du siehst wirklich - hm - absonderlich aus." Wieder stieg Lachen hoch, endete bemüht zurückgehalten in denkwürdigem Glucksen. "Na, komm mal mit. Du wirst dich sicher säubern und waschen wollen, nachdem dich der Hund dermaßen beschlabberte und du aus dem rottigen Laubhaufen gekrochen bist. Wir haben außerdem Besuch im Haus. Vor deren Augen kann ich dich so wie jetzt sowieso nicht lassen. Die fallen ja vom Hocker und denken sonst was von mir, was ich dir angetan habe. Ich hab' dir schließlich nichts getan. Das war dein Hundefreund Frecke."
"Ihr habt Besuch? Da will ich mal lieber gleich wieder gehen. Ich bin nicht gekommen, um zu stören oder lästig zu sein." Erfried wollte schon davon.
"Lass' den Quatsch und spiel' nicht die beleidigte Leberwurst! Meine Mutter und mein Bruder wären ziemlich sauer, wenn sie herausfänden, dass du hier warst und von meinem Gelächter verscheucht wurdest. Außerdem hab' ich doch gar nichts gegen dich. Warum sollte ich? Ich kann mir vorstellen, dass du ein ganz angenehmer Bursche bist. Unser Haus ist groß und wir haben Platz genug für Besuch und Gäste, und auch genug zu essen und zu trinken. Also komm schon mit und mach' keinen auf Sensibelchen. Das passt so nicht zu dir."
"Woher willst du denn das wissen?" fragte Erfried angriffslustig.
"Ich bin nicht blöd", beschied Gundram, ging einfach los und zog Erfried am Hemdärmel mit. "Da du von unserem Hund nicht angegriffen wurdest, sondern offenbar freudig beschlabbert, könntest du entweder nur ein Wunderknabe oder ein großmächtiger Zauberer sein", grinste er ihn an. "Aber ihr kennt euch beide ja schon längst. Und das auch noch recht gut, wie mir scheint."
"Was spricht dagegen? Vielleicht bin ich ja beides. Ein Wunderknabe und ein großmächtiger Zauberzausel", trotzte Erfried.
"Meinetwegen!" Gundram grinste schief. "Aber jetzt komm endlich und lass' dich nicht von mir hinterher zerren. Dazu hab' ich keine Lust."
Im großen Vorraum des Perchtenhauses erscholl vielstimmige Unterhaltung und gedämpftes Lachen aus dem weiträumigen Wohnraum oder dem Speisezimmer. Wahrscheinlich aus beiden. Türen sämtlich geschlossen. Nur die Tür zur Küche stand halb offen. Offenbar nicht gerade klein bemessene Geselligkeit. Jacken und auch sommerliche Mäntel hingen an der Garderobe, nebst vereinzelten Herrenhüten. Sogar abgestellte Regenschirme und davor etliche Reisetaschen und Koffer. Alles unentwegt überwacht von leicht grimmig dreinschauender Germania auf schier wandfüllendem Gemälde.
Gundram führte an allem vorbei zum hinteren Flur, ins gleiche Badezimmer, worin Erfried vor Tagen denkwürdig mit Ingomar stand. Etwas peinlich berührt fiel ihm ein, wie er den fast entkleideten Ingomar anstarrte. Aber andererseits mochte er auch keine Abstriche machen. Ingomar sah in seiner Badehose einfach hinreißend aus. Oder war es eine Unterhose? Egal! Genauso wollte er auch einmal werden, wünschte es in diesem Augenblick geradezu ingrimmig.
"Soll ich dir ein paar andere Klamotten bringen, damit du dich umziehen kannst?" bot Gundram kurz auflachend an. "Du bist wirklich ordentlich dreckig geworden."
"Das kann man doch abbürsten. Habt ihr eine Kleiderbürste?" wehrte Erfried ab.
"Klar, haben wir eine Kleiderbürste. Bestimmt nicht nur eine. Aber das bringt doch erst was, wenn die Sachen ganz trocken sind und nicht mehr so feucht."
"Die sind nicht nass."
"Das nicht. Aber der rottige Dreck ist feucht und klebrig. Da verschmiert man nur alles, wenn man jetzt daran rumbürstet."
"Hättest du denn was, das mir passen könnte?"
"Keine neuen Sachen mehr. Ich bin ja ein bisschen länger als du. Aber von meinen älteren Klamotten, die mir jetzt schon zu klein oder zu kurz sind."
"Ein Hemd reicht doch. Wegen der Bluejeans brauchen wir keinen Aufstand machen. Ich lass' einfach das Hemd drüberhängen, dann sieht das Malheur kaum jemand."
"Ich schau mal", verkündete Gundram und verschwand langbeinig im Flur.