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Abermal, Kapitel 29, Seite 06

flackert


Wesentlich breiterer Flur. Vollständig leere Räume. Unvermeidliche Spinnweben wallten grau und staubig aus Ecken und an herausstehenden Deckenbalken. Verschiedentlich bröckelte Verputz. Kein einziger Gegenstand in irgendeinem Zimmer. Staubüberpuderte Bodendielen schienen aber recht gut erhalten. Massenweise lagen tote Fliegen herum, bildeten mancherorts schier wogende Schichten. Hässlich knirschte und knackte es, trat man unachtsam auf schwärzlich ausgetrocknete Kerbtierhüllen. Deutliche Spuren hinterließen sechs Fußpaare, als sei hier drinnen schmutzig grauer Schnee gefallen. Fensterscheiben zwar gleichfalls stumpf, aber keine geborsten.

Ganz ähnliches erwies das zweite Stockwerk darüber. Erstaunlich breit und längst nicht so halsbrecherisch steil führte bestens erhaltene Treppe aufwärts. Darüber lag die Decke merklich niedriger, wenn auch noch lange nicht so tief, wie im Erdgeschoss. Abgehende Zimmer bemerkenswert weitläufig und in annehmbarem Zustand. Der Dielenboden schien in allen Räumen irgendwann vor Jahrzehnten oder gar erst etlichen Jahren ausgebessert. Einige verloren wirkende Möbel willkürlichen verteilt.

Hier ein alter Tisch. Dort einer, dort zwei Stühle. Zwei weiteren kummervollen Sitzmöbeln fehlte ein Bein. Gleich gedörrten Leichen aus bröselndem Schreinerholz lagen sie unglücklich verrenkt. Muffiger Schrank gähnte mit weit offenen Türen. Wurmstichig. Wesentlich weniger Spinnweben, und die Fenster wurden irgendwann gesäubert. Unvermeidliche Staubablagerung. Doch längst nicht so dick und erstickend wie vordem. Verwüstet im Todeskampf des Zeitmaßes kauerte kaputte Kaminuhr in einer Stubenecke. Nie wieder Westminstergong! verkündeten herausquellende Zahnräder und rostige Stahlfedern überzeugend.

Leicht ratlos standen sie anschließend im Flur des zweiten Obergeschosses. Fast das gesamte Bluthaus durchstöbert! Zum vorerst letzten Male blitzen Stablampen in Räume, stets sorgsam vor möglichen Nachbarsaugen mit Händen abgeblendet. Lediglich in Treppenaufgängen wagten sie länger Licht.

Übersahen sie etwas? - Es gab keine verborgenen Türen oder weitere Sperren. Keinerlei Hinweis auf ausgefeilte Hindernisse, Sicherung wichtiger Zugänge. Nur unterschwellige Schranken bei Treppen und Türen. Dies barg keine Schwierigkeiten. Das alte Inquisitorenhaus schien, was aller Welt vorgespiegelt: Unbewohnt und leer!

"Also, hier ist gar nichts", bemerkte Oskar Dimpfl enttäuscht.

"Wir haben noch nicht in den Dachboden geschaut", erinnerte Ingomar. "Es ist zwar sehr undeutlich, aber ich weiß, dass hier noch etwas ist. Ich habe auch gedacht, es müsse in den ehemaligen Wohnräumen sein. Seit dem Erdgeschoss erwartete ich wenigstens in einem der Zimmer eine Auffälligkeit."

"Eben", bestätigte Gundram seinen Bruder. "Warum soll das nicht irgendwo im Dachstuhl oben sein? Unsereins findet alte Dachböden doch auch immer angenehm unheimlich. Warum sollte der Brückenheini nicht auch so eine Vorliebe haben?"

"Das ist hier kein Jugendabenteuer", verwies ihn sein Vater, hielt jedoch inne. "Eigentlich, Leute, warum denn nicht? Ich sollte nicht so eklig erwachsen tun. Immerhin ist man doch an hochliegenden Plätzen in der Lage, Einstrahlung besser und vermehrt abzugeben oder aufzunehmen. Außerdem müssen wir sowieso der Vollständigkeit halber oben nachsehen."

"Wahrscheinlich greint sich da bloß ein einsames Gespenst die Geisteraugen aus", brummte Oskar Dimpfl unlustig.

"Ich liebe Gespenster", versuchte die schwarze Kutte falsche Begeisterung, ließ verfinsterndes Kleidungsstück unnachahmlich wallen. Sah sowieso stets mehr nach Gespenst aus, als es ein echtes je vermöchte.

"Meinethalben! Schon der Vollständigkeit wegen. Vielleicht kriegt's ja vor dir einen Bammel und derschrickt zu Tod, wenn's dich so sieht", maulte Oskar Dimpfl genervt von Werner Lübbers' albernem Getue. Er steuerte zielsicher ins Ende des Flures, fühlte zum kleinen eisernen Ring winzig anmutender Türaussparung, welcher offenbar statt Klinke diente. Bläulich funkender Blitz sprang über, schleuderte ihn bis zur anderen Gangwand. "Au, verflucht!"

Besorgt stürmten alle sofort hinüber. - Allgemeine Erleichterung! Oskar Dimpfl rappelte hoch, zitterte aber deutlich sichtbar, schimpfte laut: "Da ist ja Strom drauf! So ein Sauhund, so ein elendiglicher!"

"Leise!" mahnte Herwig Perchten. "Wir sind ja alle froh, dass dir nichts ernstlich passiert ist."

"An so was hab' ich ja gar nicht gedacht", schimpfte Oskar Dimpfl gedämpft weiter. "Aber zum Glück war's wohl bloß Haushaltsstrom aus der Steckdose. Das kann man gerade noch wegstecken. Kruzitürken, hat mir das eins reingedäscht!"

"Wir haben uns zu sehr in Sicherheit gewiegt und schon gar nicht an so eine einfache Sache gedacht. Da kann man mal sehen!" Ingomar klang besorgt.

"Von jetzt an passen wir eben auf, ob nicht noch mehr so nette Überraschungen auf uns warten", bestimmte Herwig Perchten. "Fühlst du dich wieder einigermaßen, Oskar?"

"Ein bissel zittrig noch. Aber sonst geht's."



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