Erfried konnte nicht antworten. Nicht genau ersichtlich, ob er bejahend nickte oder ob nur trauriges Weinen schüttelte. Wenigstens flossen jetzt endlich Tränen, spülten vormals trocken brennende Trauer in erträglichere Bahn. Und Gundram tröstete, so gut er konnte. - Leidlich gelinderter Schmerz. Ingomar und Swantraut kamen herein. Beide Geschwister betrachteten zufrieden das versöhnliche Bild.
"Na, habt ihr euch ausgesprochen und seid wieder gut?" fragte Swantraut, unterschwelliges Lachen in ihrer Stimme. Dennoch schickte sie ihrem jüngeren Bruder strafenden Blick. "Guten Tag, Erf!"
"Ein guter Freund von Erf ist vom Lichtfresser umgebracht worden", sagte Gundram leise, hielt seinen traurigen Freund weiterhin im Arm.
"Was? Noch einer tot?" Swantraut schien sichtlich bestürzt.
"Das ist der, den man gestern in den großen Grünanlagen gefunden hat", erklärte Ingomar rasch.
"Dieser Ringer? Ich wusste ja nicht, dass du gerade mit diesem armen Menschen auch befreundet warst. Das tut mir wirklich leid, lieber Erf." Swantraut klang sehr mitleidend.
"Mir geht es schon besser", versicherte Erfried, saß aufrecht. "Ich weiß das erst seit heute nachmittag. Kurz bevor ich Ingomar traf, hab' ich's erfahren."
"Da kann ich mir vorstellen, wie du dich jetzt gerade fühlst", bestätigte Swantraut. "Soll ich dir gleich dein Zimmer zeigen oder lieber später?"
Erfried stand auf. "Wo liegt es denn?"
"In der Nähe von meinem", lächelte sie. "Es ist aber ein Doppelzimmer für Gäste. Sonst wäre da nur noch ein Stockwerk höher ein anderes."
"Bei mir oben auf dem Gang", bemerkte Gundram hoffnungsvoll.
"Und das wäre vielleicht besser geeignet für mich?" Erfried warf kurzen Seitenblick zu Gundram.
"Nun ja, es ist nicht so ein ausgesprochenes Gästezimmer, wie das einen Stock tiefer, das fast so unpersönlich wirkt, wie ein Zimmer im Hotel. Es ist sogar ein klein bisschen größer als Gundrams Zimmer. Ein wirklich hübsches Zimmer und es liegt zum Sonnenuntergang hinaus." Swantraut schaute fragend.
"Dann ist das wohl besser", entschied Erfried leicht zaghaft. Gemeinsam stiegen sie ins zweite Stockwerk.
Wirklich ein schönes Zimmer! - Zwei sehr hohe und dabei eigenartig schmale Fenster ließen von Westen untergehende Sonne hereinstrahlen. Rötlich verfärbter Himmel. Sacht ging der Tag in Abend über.
Riesiger dunkler Schrank, reichlich alt, würde Erfrieds Sachen in unermesslichen Fächern und Innenablagen verschlucken. Zwei mächtige Sessel und passender Tisch bildeten auf einem dicken runden Teppich gemütlichen Raummittelpunkt, samt säulenartiger Stehlampe und deren weit gebauchtem Schirm. Bei den Fenstern stand gedrechselter Sekretär, woran er seine Schularbeiten machen konnte. Dunkelbraun fleckfarbiges Holz.
Einzig die Schlafstatt begeisterte Erfried nicht gerade. Uralte geschnitzte Poofe gewaltig bis klobigen Ausmaßes. Richtiggehende Bettlade. Riesenhaft aufstrebendes Kopfbrett und jede Übersicht sperrendes Fußteil. Ringsum wehrten kantig hölzerne Einfassungen, an denen man traumselig, leicht und unweigerlich, irgendwann einmal mindestens das Schienbein schmerzhaft anschlug. Ohne besonderes Gedrängel fänden drei Schlummernde darin Platz. Riesending! Die reinste Pennerfestung!
Swantraut zeigte alles, öffnete beide Fenster weit. Gemeinsam packten sie seine wenigen mitgebrachten Sachen aus. Gundram stand derweil etwas unschlüssig im Türrahmen und sah zu. Anscheinend wagte er nicht ganz ins Zimmer. Ab jetzt Erfrieds Behausung. Gundrams Turm lag auf anderer Gangseite, drei Türen abseits.
"In etwa einer halben Stunde gibt es Abendessen, Erf. Gewöhne dich ein bisschen an dein Zimmer und komm dann runter in den Speiseraum", lächelte Swantraut. Sie schaute ihren jüngeren Bruder im Türrahmen scharf an. "Gundram, verschwinde endlich und lass' den Erf sich erst mal etwas eingewöhnen!"
"Ich hindere ihn doch nicht dran. Und vielleicht braucht er ja noch was von meinen Sachen zum Anziehen", maulte der Verwiesene.
"Raus!" Swantraut konnte wirklich sehr durchsetzungskräftig sein.
Nachdem Swantraut das Zimmer verließ, leise die große Tür schloss, besah Erfried seine neue Bleibe eingehend, stand mitten im Raum. - Ungewohnte Größen. Der reinste Saal für sein Empfinden, größer als das Wohnzimmer in der Bachgasse. Bestimmt dreieinhalb Meter holzgetäfelte Deckenhöhe, woran bombenfest riesige Lampe baumelte. Sechsarmig, bernsteinfarbene Glasschüsseln an den Enden. In solchen Innenweiten wirkten selbst große altersdunkle Möbel gerade mal noch angemessen. Bei kleineren Einrichtungsgegenständen erschiene der Raum leer.