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Abermal, Kapitel 26, Seite 06

flackert


Säuselnd streifte Lufthauch in offenes Autoseitenfenster. Erfried schauerte, trotz herrschender Wärme sommerlichen Spätnachmittags. Mählich nahte Abend. Es wunderte ihn, wie unheimlich neue Häuser wirken konnten, gewöhnlich bei alten Gemäuern erwartet. Hier ganz anders. Ob es daran lag, an welchem Ort es stand, womöglich gerade deshalb hier erbaut? Immerhin mussten an diesem Platz ungezählt viele Menschen ihr Leben unter grauenvollen Leiden ausgehaucht, ihre Todesangst hinausgeschrieen haben. Schuldige und noch mehr Unschuldige.

"Aber du hast recht, Erf", durchbrach Ingomar beklommene Ruhe. "Hier ist etwas vom Glanzdieb vorhanden. Und nicht wenig! Ich spüre das ganz deutlich. Es gibt auch einen Durchlass in andere Ebenen. Wahrscheinlich unter den Grundmauern verborgen. Von hier unten kann ich es nicht genau sagen."

"Vielleicht sollten wir mal zu dem Ding da oben raufgehen", schlug Erfried vor.

"Das wäre nicht so sonderlich klug, mein Lieber. Obendrein dürfen wir nicht einfach und ohne triftigen Grund auf ein fremdes privates Gelände. Immerhin ist es umzäunt, was als Hausfriedensbruch ausgelegt werden kann. Und jetzt am Tag sieht uns die ganze Nachbarschaft. Womöglich hält man uns für Einbrecher und ruft die Polizei."

"Wir könnten ja Bewunderung für diese architektonische Scheußlichkeit heucheln. So was hässliches an Gemäuer ist nicht unbedingt alltäglich hier."

Ingomar lachte kurz. "Das wäre sicher möglich. Aber wir sollten kein unnötiges Wagnis eingehen. Womöglich taucht der Glanzdieb gleichzeitig mit dieser Frau plötzlich auf. Ich bin ihr noch nie begegnet, kann nicht abschätzen, welche Kräfte in ihr bereits ausgebildet sind. Das kann ins Auge gehen, Freund."

"Was machen wir dann jetzt?"

"Jetzt erst mal gar nichts weiter. Wir fahren! Mit anderen Wächtern werden wir uns diesen Abend oder in der Nacht aufmachen und alles so genau anschauen, wie nur irgend machbar. Außerdem müssen wir auch mal nach dem alten Haus am Brunnenplatz sehen. Womöglich kann man etwas unternehmen, dort kreuzende Wege sperren oder wenigstens Hindernisse errichten. Jede Verzögerung für den Räuber der Farben bringt uns eine bessere Ausgangslage." Ingomar stieg wieder ein, startete und brauste eilig davon. Ohne Umwege zur Ronnburg.

Als sie am Berg hinauffuhren, bemerkte Erfried scharfes Knistern, nachdem sie aus dem kleinen Wald in Wiesenfläche gelangten. "Was war denn das eben?"

"Was denn, Erf?"

"Es hat am Waldrand so komisch geknistert."

"Oh, das kannst du also auch wahrnehmen! Wir sind in den erweiterten Schutzbereich gekommen", erklärte Ingomar knapp, gab nachdrücklich Gas. Der Motor heulte und die schwere Limousine schoss richtiggehend bergauf, kam erst beim Gattertor zum Stehen. Drei weitere Autos parkten daneben.

"Habt ihr neuen Besuch bekommen oder sind noch Besucher vom Wochenende hier?" Erfried stieg aus dem Wagen.

"Teils, teils. Fast alle Besucher vom Wochenende sind zu sich nach Hause gefahren. Sie sind jeweils selbst Wächter an anderen Orten. Zwei aus dem weiteren Umland sind Gestern und Vorgestern gekommen. Wir brauchen ihre Verstärkung. Und dazu sind diese Freunde ja da."

"Sind die so was, wie eine Kampfreserve?"

"Ja, so kann man das sehen. Es sind Freunde und Freundinnen, die im Verlaufe der Zeit zu uns stießen, besondere Fähigkeiten hatten und entsprechend ausgebildet und unterrichtet wurden."

"Und wer bildet die aus oder unterrichtet sie?"

"Hauptsächlich unsere Mutter, Frau Nelda. Aber auch mein Vater macht das."

"Und du? Machst du das auch?"

"Noch nicht, Erf. Aber vielleicht kann ich demnächst mit dir als meinem ersten Schüler anfangen." Ingomar lächelte, reichte seinem jungen Freund den Rucksack, behielt Erfrieds Schultasche in der Hand und verschloss gewissenhaft das Auto.

Auf halbem Weg im Parkgarten bemerkte Erfried: "Frecke scheint wohl im Haus zu sein. Der begrüßte mich beim letzten Mal doch so stürmisch."

Ingomar lachte. "Kann schon sein, dass dieses wüste Hundetier gerade im Hause ist und frisst. Aber zur Zeit treibt der sich ständig wer weiß wo herum. In der näheren Umgebung muss es eine läufige Hündin geben. Rüden riechen das meilenweit und sind dann nicht mehr zu bremsen, wenn man sie nicht ankettet. Jedenfalls ist der dauernd unterwegs seit Sonntag. Und wenn er dann irgendwann zum Fressen zurückkommt, ist er völlig dreckig und stinkt entsetzlich, wie Hund dann eben stinkt. Aber so ein Hundewesen braucht auch sein Vergnügen, also lassen wir es ihm doch."

Im Näherkommen weitete offenstehende Haustür drohend. Dunkler Hintergrund. Gleich klaffendem Rachen erwartete der Eingang jeden Besuch. Oberlichter schienen zerfetzende Zähne, zum Schnappen sofort bereit, hungrig und gierig den Raub fassen und augenblicklich in blutige Einzelhappen malmen.



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Mannie Manie © 1999
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