Seite vorher
Seite weiter
Kapitel vorher
Kapitel weiter
Kapitelliste

 

Abermal, Kapitel 10, Seite 05

flackert


"In der vorherigen Klasse hatten wir das mal kurz im Heimatkundeunterricht. Ich war in den vergangenen Tagen dort an der Ronnburg gewesen und wollte gern mehr darüber wissen. Die ist doch schon sehr alt, älter als die Akropolis und viele Pyramiden, wenn ich mich noch richtig erinnere."

"Da erinnerst du dich richtig, Gundeleit! Aber ich fürchte, dass in unserer Schulbücherei nichts großartig darüber zu finden ist. Du musst es wohl mal in der Stadtbücherei versuchen. Dort müsste nun wirklich etwas vorhanden sein. Wäre ja noch schöner, wenn es dort nichts gibt, was mit unserer Gegend zu tun hat. Das sind aber kaum lustige Geschichten, sondern knochentrockene Abhandlungen von Altertumsforschern."

"Das macht nichts, Herr Mantey. Dankeschön und auf Wiedersehen!"

"Ich werde aber nachher auch in der Schulbücherei nachsehen. Ich muss heute sowieso den Nachmittag für die Bücherverwaltung opfern. Melde dich mal morgen bei mir. Am besten gleich bei Schulbeginn. Und komm' gefälligst nicht immer auf den letzten Drücker, Gundeleit!"

"Danke, Herr Mantey! Auf Wiedersehen!" Aha, deswegen war der so besonders knurrig heute. Erfried verschwand eilig. Er wollte den Unwillen dieses barschen Menschen nicht herausfordern, hörte nur noch dessen unwirsches Gebrummel im Hintergrund, verschwand schnellstens aus dem Schulgebäude.

Schönstes Frühsommerwetter draußen. Weit und breit kaum noch andere Schüler. Alle schleunigst verzogen. Ausgestorben lag das riesenhafte Schulgebäude mit seinen mehrfachen Querbauten. Lediglich offenstehende Türen zeugten von wahren Massenergüssen in alle Richtungen, noch vor wenigen Minuten dieser Anstalt entflohen. Gemächlich schlenderte Erfried baumgesäumte Straße entlang, Oberlehrer Manteys widersprüchliche Art im Kopf.

Immerhin ließ er auf seine Klasse nichts kommen, verteidigte seine Schüler nach außen sogar wie ein Löwe, selbst wenn diese Mist bauten. Gegenüber allen! Rektorat eingeschlossen. Besonders einen jüngeren Kollegen nahm er mannigfach aufs Korn, welcher nach seiner Ansicht öfter überflüssige Beschwerden vortrug. Herr Petsch aus der Nachbarklasse, eine Parallelklasse. Oberlehrer Mantey nannte ihn einmal sogar 'Pousseur'. Damit spielte er auf Petsch's merkwürdig gutes Verhältnis zur Klassenlehrerin 'Frollein' Mankwitz an, die eine Klassenstufe darunter unterrichtete.

Allerdings bezweifelte Erfried, es könne um mehr als gutes Kollegenverhältnis gehen. Im Jahr zuvor ertrug er geduldig jenes 'Frollein' Mankwitz, eine der wenigen jüngeren Lehrkräfte. - Ausgesprochener Drachen! Unvorstellbar, da sei ausschweifendes im Spiele.

In Art und Weise entsprach 'Frollein' Mankwitz eher Oberlehrer Mantey, wenn auch nicht unbedingt altersmäßig. Sie pflog kaum anderen Stil als die alten Kommissbeutel. Die Schüler verwunderte stets, weshalb sie kein Feuer ausspie oder Schuppen trug, statt leicht unpassend modischer Kleider. Aber vielleicht verbarg sie ihre Schuppen in den Haaren? Im Verdonnern zu Nachsitzen und Strafarbeiten jedenfalls unerreicht. Bestimmt einsame Spitze in der ganzen Schule. Abschreckend! Und ihre Stimme grellte, verstreute keinen besonderen Liebreiz.

Womöglich schätzte Oberlehrer Mantey das an ihr besonders, seit vielen Jahren Witwer und eifersüchtig auf den jüngeren Kollegen Petsch? – Durchaus denkbar, Oberlehrer Mantey habe selber ein Auge auf die Mankwitz geworfen. Sie schien jedoch überzeugte Jungfer, was bei ihrer wenig ansprechenden Art auch aus Sachzwängen herrühren mochte. Man konnte allerdings nicht sagen, sie sei eine hässliche Ente. Gewiss, keine berauschende Schönheit. Aber wer ist das schon? Die wenigsten Leute sehen wie Filmstars aus.

Seine Mutter käme heute mittag erst später, wusste Erfried und steuerte Richtung Rathaus, worin auch die Stadtbücherei untergebracht. Freitags putzte Eleonore Gundeleit immer bei einem Rechtsanwalt. Stets erst am späteren Vormittag, so ab zehn Uhr. Deshalb begann sie Vorbereitungen für das Mittagessen nicht vor ein Uhr, welches es dann erst gegen viertel vor zwei gab.

Nächster Weg zum Rathaus führte jedoch über den kleinen Platz in verwinkelten Gassen, wo der Unterschlupf des Glanzdiebes lag. Erfried zögerte, ob er dort noch einmal entlanggehen sollte. Unschlüssig blieb er stehen, umkrampfte die Schultasche, hielt sie gleich Schutzschild an sich gepresst. - Ich muss ja nicht am Tor vorbei! - Außerdem tätigten viele Leute ihre Einkäufe für bevorstehendes Wochenende, wuselten. Er beschloss, die Gasse zum kleinen Platz bis zur ersten Ecke gehen, Lage peilen und weitersehen. Angekommen, lugte er vorsichtig um eine schmuddelige Hauskante.

Träge gelangweilt pladderte der hässliche kleine Brunnen. Hier schien alles dunkel und düster. Und wieder bemerkte er allgemeine Dunkelung. Stärker geworden, drängte sie Unwohlsein verbreitend in sämtliche geduckten Häuser und auch in sein Gemüt. Selbst blank geputzte kleine Fensterscheiben aller Fachwerkgebäude machten matten Eindruck, besaßen weit weniger Spiegelkraft als sonst stets. Auch Außenwände zum Platz büßten offenbar ihre wenige Farbe fortschreitend ein. Einsehbare Gassen wirkten finster wie mondlose Nacht. Kalter Hauch wehte trotz Tageswärme aus Winkeln.

Erstaunliche viele liefen schwatzend und sogar lachend auf dem Platz herum. Ein Leierkastenmann malträtierte mit rudernder Armbewegung seine quäkende Kiste auf Rädern. Das Ding klang ohrenfällig verstimmt, setzte bei bestimmten Tönen einfach aus. Entweder zuständige Pfeife kaputt oder sie fehlte.



Alle Rechte vorbehalten
Mannie Manie © 1999
Unentgeltliche Weitergabe erlaubt!

weiterblättern: nächste Seite