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Abermal, Kapitel 14, Seite 01

flackert


Geistesgegenwärtig riss er im Sturz die Arme nach vorn, wollte den Aufprall mindern. Aber es nutzte nichts. Gleich gewaltsam gestauchtem Blasebalg entwich alle Luft seiner Lunge. Derb lastete etwas tonnenschwer auf dem Rücken, quetschte unnachgiebig. Keine Flucht! Wohin auch?

Nichts mehr vorhanden, außer Dunkelheit, Leere und erdrückendes Gewicht. Er sah nichts, fühlte nur stechendes Stacheln in Gliedern und Gesicht, versank im grasigen Boden. Aufgesogen vom Untergrund, darin begraben, einfangen von Modrigkeit und Verwesung. Ersticken in feucht kalter Erde.

Wirbelnde Panik wich nach lang geglaubter Zeit etwas. - Endlich, den Kopf bewegen, Licht sehen! - Das schien möglich. Also konnte er nicht im Erdboden versunken sein, in fauliger Umarmung. Warmer Atem flog flau am Nacken entlang, dann leckende Nässe. Über sein mühevoll abgewendetes Gesicht flatschte breit eine nasse Zunge. Frecke!

Der riesige Bernhardiner sprang eben an, schleuderte ihn wie eine Stoffpuppe zu Boden. Aber kein Angriff! Frecke knurrte nicht, sondern wuffte und schlabberte mit seiner großen nassen Zunge unentwegt über Erfrieds Gesicht. Diebisch freute das gewaltige Tier die gelungene Überraschung, begrüßte neuesten Freund nach Hundeart, wuffte immer wieder und stupste gleichzeitig kalte und überaus feucht tropfende Schnauze ins Gesicht des zu Boden gepressten Jungen.

"Frecke! Aus!" Hellstimmig scharfer Befehl. Sofort verschwand schweres Gewicht.

Erfried stand benommen auf. Zum Glück stürzte er nach Freckes Ansprung einigermaßen weich in flachen Haufen alten Laubs. Vollständig, samt Gesicht. Aber es federte plötzlichen Sturz genügend ab. Keine ernsthaften Prellungen erlitten, nur ungeheuer erschrocken. Jetzt klebten über und über stinkig verrottete Pflanzenteile an ihm.

Ich muss ganz schön daneben aussehen! vermutete er, stand unversehens und beduselt einem sehr schlanken hochgewachsenen Jungen gegenüber. Frecke wich vor diesem zurück, blieb aber schwanzwedelnd an Erfrieds Seite, leckte noch einige Male über dessen linke Hand, dann verschwand der Bernhardiner irgendwo. Genauso lautlos, wie er überraschend auftauchte.

"Was machst du denn hier? Hast du nicht das Schild vorn gesehen, dass hier ein Hund ist? Wenn der dich voll angefallen hätte... Nicht auszudenken! Was für ein Leichtsinn! Bist du lebensmüde?" Vorwurfsvolle und ärgerliche Worte. - Kurzes Überlegen. "Frecke scheint dich zu kennen", verwunderte der unbekannte Junge. "Ich dachte erst, der hat dich angegriffen. Woher kennt ihr euch denn?"

"Ich... ich... ich war schon mal hier und habe mich mit Frecke angefreundet", stotterte Erfried verwirrt. "Außerdem ist doch da vorn nur das Namensschild."

"Unter dem Namensschild steht die Warnung vor dem Hund, mein Lieber. Mach mal richtig die Augen auf. Und? Wer bist du?" Streng forschend sah ihn der fremde Junge an.

"Ich heiße Erfried Gundeleit. Frau Perchten und Ingomar Perchten kennen mich, haben mich eingeladen, zu Besuch zu kommen, wenn ich gerade in der Nähe bin. Und wer bist du?"

"Ach, du bist der besagte Typ! Ich bin Gundram Perchten!" Kurzer Lacher. "Ingomar und meine Mutter haben von dir erzählt. Bei denen hast du ja einen mächtigen Stein im Brett. Wenn ich dich so sehe", er besah Erfried abschätzend von oben bis unten, "dann kann ich mir nur schwer vorstellen, wieso."

"Fall du mal in den Dreck, dann siehst du auch nicht viel besser aus." In Erfried wuchs Ärger, räumte aber gedanklich zwingend ein: Derzeit gebe ich bestimmt keine gute Figur ab!

"Ist ja schon gut!" Gundram lachte laut. "Tut mir leid, aber du siehst wirklich urkomisch aus. Wie ein bekleckerter Pudel!" Er prustete ausgiebig weiter, hemmungslos vom Gelächter geschüttelt.

Gedemütigt und ausgelacht! wütete weiterer Ärger in Erfried. Kein Wunder, wenn Frecke der Bernhardiner diesem Familienglied aus dem Wege ging, wie Frau Nelda vor Tagen leichthin erzählte. Er schwieg. Was sollte er jetzt sagen? Statt dessen, musterte er den anderen Jungen aufmerksam, der nur allmählich aus seinem Heiterkeitsanfall herausfand.

Alles an Gundram schien ein bisschen zu lang geraten. Aber trotz körperlicher Länge, er überragte Erfried wohl mehr als halben Kopf, wirkte er noch leicht knabenhaft. Gar nicht so sehr wie einer, der etwas über ein Jahr älter sein soll. Aber das mochte am sehr schlanken Wuchs liegen. Strubbelig wirkten Gundrams Haare, dunkel, fast schwarz und leicht gewellt, halblang. Sehr helle Haut, wenn auch keineswegs bleich oder blass. Hellblaue Augen bildeten scharfen Gegensatz. Umrahmt von dichten dunklen Wimpern und unter gleichfalls dichten und schwarz wirkenden Brauen gelegen, stachen sie richtiggehend heraus, glänzten aus dem Weiß der Augäpfel. Jetzt glitzerten sie voller Spott, sprühten Schadenfreude, wie Funken werfendes offenes Feuer. Als Gundrams Erheiterung langsam schwand, gleißten sie rätselumgeben.

Glühten heiß glosende Kohlen gewöhnlich nicht rot, ergebe das den richtigen Vergleich. Flammenloses Brennen entsprang Gundrams Augen, belegte alles blaufeurig, nahm in Beschlag. Allein dessen funkelnde Augen zeigten ähnliche Bannkraft wie Ingomars bloße Anwesenheit. Insofern ähnelten die Brüder einander, gewisse Verwandtschaft in Gesichtszügen, wenn auch seltsam entfernt. Man musste wissen, sie seien Geschwister.

Ingomar besaß deutlich helleres Haar, obendrein erwachsener Mann mit eher grünlichen Augen. Außerdem zwar kein Muskelprotz, sondern sportlich schlanke Erscheinung, doch erheblich muskulöser. Gundram hingegen, wirkte sehr schlank und etwas weicher, obgleich an ihm nichts schlaff erschien. Insgesamt durchaus sehnig, machte er entfernt sogar hageren Eindruck, erkennbares Muskelspiel unter anliegender Sommerkleidung.



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Mannie Manie © 1999
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