Ingomar fuhr erschrocken ganz herum. "Nein!" schrie er, als er Erfrieds Vorhaben erkannte.
Zu spät! Alles in rasender Frist geschehen. Erfried lag im harten Wegkies, bekam keine Luft. Heftiger Schmerz tobte im Brustkorb, klemmte Lungenflügel schraubstockartig zusammen, schien das Herz zerreißen, zerquetschen wollen. Betäubt sah er aufgerissenen Rachen, Freckes Rachen. Heiß schlug stinkender Bestienatem heraus, Todesfäule. Wie in Zeitlupe zog das Unwesen Lefzen zurück. Lange Dolche ragten im Maul, kamen unaufhaltsam näher. Geifer tropfte. Dann umfassten klaffende Kiefer die Kehle, drückten, trieben Fangzähne vorwärts.
Mehr als er spürte, hörte Erfried Zahndolche in seinen Hals dringen. Kurz helles Ratschen. Haut platzte an vier Stellen, zerriss. Dumpfer Druck drängelte in Halsfleisch. Haarige große Bernhardinerohren und tanzende Ausschnitte blauen Sommerhimmels durchmischten mit sattgrünem Laub. Wirbelnde Tänze. Vermengt breiiges Grau. Knurren grollte aus der Hundebestie, übertrug wütende Schwingungen ungehemmt in Hals, Kehle und Brustkorb, brüllte wild im Schädel. Todesgewitter? - Knorpeliges Knacken verkündete Abschluss.
Geschlossene Rachenzange. Reißender Ruck. Fleisch von seinem Fleisch, Hals von seinem Hals, Schlund von seinem Schlund, Blut von seinem Blut zwischen Fängen. Ohne Furcht, sachlich und nüchtern, erkannte Erfried: Durchgebissen! Gurgel herausgerissen! Nie wieder atmen!
Getrübter Blick. Von irgendwoher wehten rötliche Dunstfahnen, wogten träge näher. Erfried wunderte nur, wie teilnahmslos er alles mitbekam. Dabei starb er doch, hier und jetzt! Aber er fühlte keine Angst, keine Furcht, kein Entsetzen. Alles vorbei. Nur Leere und Lähmung weiteten, schmolzen in rote Schleier. Wachsender Blutnebel. - Ist so der Tod?
Geruch! Er kannte diesen Geruch genau, wusste jedoch nicht, woher. In seinen Ohren scholl helles Klingen. Silberglocken am Weihnachtsbaum. Beständig satteres Rot drang in alles. Riecht der Tod? Hat der Tod Klang? Ist dies seine Farbe: Rot, nicht Schwarz? - Dumme Fragen! Wen kümmert das noch?
Jemand hob ihn hoch. - Nahm ihn Papa wieder einmal oder Mama gar? Papa, schon lange tot... Nein! Er schwebte, sah die Welt von oben. Garten... Ronnburg... kleine Stadt in der Ferne... doppelte Kirchtürme... enge dunkle Gassen... Idiotenrennbahn... Klares Bild.
Er schien überall zugleich, in jedem Winkel des großen Parkgartens, in Baumkronenhöhen. Sogar auf Bäume sah er herunter, wand durch Blätter und Äste, glitt an Stämmen herab, versank im Gras, spähte zwischen Halme... Verrenkter Körper auf Kies. Zerrissener Hals spuckte Blut. Riesig roter Fleck neben bleichem Gesicht, reglose Hunde daneben. Er sah, hörte und spürte alles, fühlte Ereignisse. Als stünde er bei jedem, lese Gedanken, schaue über fremde Schultern...
Ingomar tötete Frecke wild verzweifelt! - Umsonst! - Hundefänge durchschlugen Erfrieds Kehle längst, zerbissen knackend den Kehlkopf. Blutspritzender Ruck... herausgerissen! Gegen doppelten Ansturm der Brückendiener, des verkappten Lichtfraßes, konnte er nicht sofort vordringen. Rasch erholte Doggenhündin schüttelte Benommenheit ab. Mordgierige Augen.
Aufgeschreckt eilten die anderen von der Gartentafel herbei. Werner Lübbers zückte den Zungendolch. Langer Schritt zur Dogge. Wütend gefletschte Raubtierhauer, drohendes Maul. Flinker Stoß in Rachen... Zusammenbruch! Zwei Schatten quollen aus den Tieren, verdichteten. Finsterfetzen strebten zueinander. Gundram erschien im Rahmen des Hauseingangs, vollständig angezogen, wollte längst zur Gartentafel, stand angewurzelt. Gelähmt vor Entsetzen.
Alles vergebens? Gestorben wegen unnötigem Weg? Nein! Ingomars Leben gerettet! Ein Leben für ein anderes. Es musste sein! - Blinkende Gedanken.
Deutliche Umrisse zweier Dunkelgestalten. Brückendienerpaar! Ohne echte Augen blickten sie schwarz mitleidlos. Nichts rührte deren Gesichtszüge. Sie standen und starrten. Gundram stürzte voran, schrie vor innerem Schmerz und ohnmächtigem Hass. Vier Wächter umringten in jede Himmelsrichtung ihre Todfeinde. Nelda Perchten hielt einen Schritt Abstand. Starr gefügte Säule. Beide Schattenrisse verschwammen. Rußige Schlieren formten einheitlich dunkelwolkiges Etwas, zerflossen, verschmolzen mit dem Dieb des Glanzes. Der Räuber der Farben sog Wirklichkeit.
Nelda Perchten breitete ihre Arme aus. Kreuz der Hingabe. Grelles Licht. Sonne blasste. Gierig saugte das Finstere, hungerte danach. Blendender Blitz sprang aus Lichtflut, zuckte ins Dunkle, ästelte einwärts, umschlang, packte, riss. Ohrenbetäubender Donnerschlag.
Als würde die Welt aufgerissen, fauchte eingekesseltes Dunkel über Wiesenflächen zum Waldrand, verwehte unterwegs. Letzter schmutziger Dunstschleier schwindender Gegenwart. - Fort! - Drohender Nachhall verklang im Sommertag.
"Warte auf mich!" - Gundram? Ingomar?
"Ich kann nicht warten." Antwort ohne Stimme... rote Nebel...