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Abermal, Kapitel 13, Seite 05

flackert


"Also wirklich, Mama! Wagneropern sind nicht die Bohne melodischer und auch kaum leiser!"

"Na, Wagner muss es ja auch nicht gleich sein. Das ist doch wirklich ein bisschen schwer", räumte sie gnädig ein.

"Ist das so schwer, wie ein voller Sack Kartoffeln?" fragte Reinhild kichernd dazwischen.

Eleonore Gundeleit musste lachen. "Nein, meine Kleine, so ist das nicht gemeint. Gemeint ist damit, dass es eben schwer verständlich sein kann."

"Schwer, Mama?" lachte Erfried. "Sei doch ehrlich und geb' ruhig zu, dass es einfach unverdaulich ist. So'n olles Gejaule und Gekrache!"

"Na, na! Trotzdem kannst du dich getrost vernünftiger ausdrücken. Das schadet ganz bestimmt nicht, mein Sohn! Aber ich gebe zu, dass ich Wagner und auch Beethoven noch nie übermäßig viel abgewinnen konnte. Jedenfalls nicht allen Klangwerken. Aber beide haben recht schöne kleinere Tonkunstwerke hinterlassen, die wirklich ein wundervoller Ohrenschmaus sind."

"Weiß ich, Mama. Gegen das eine oder andere Kammermusikstück habe ich ja auch gar nichts. Kann ich dann jetzt mal schon aufbrechen, wenn kein Abwasch anliegt?"

"Natürlich! Viel Spaß wünsche ich dir trotzdem. Sei aber nicht zu spät wieder Zuhause. Du weißt, dass ich mir ab acht Uhr Sorgen mache, wenn nicht klar ist, wo genau du steckst."

"Ist gut, Mama. Vielleicht schaue ich später noch bei Bernd Kaiser und dann bei den Perchtens an der Ronnburg vorbei. Bis ich von dort wieder zurück bin, kann es durchaus neun Uhr werden."

"So, auch zu Perchtens", bemerkte sie leicht erstaunt.

"Weiß ich aber noch nicht genau, Mama. Aber die haben mich ja eingeladen. Und auch die Frau Perchten selbst hat das getan."

"Meinetwegen. Aber nicht später!" mahnte sie eindringlich, dachte dabei an Herbert Welzer, jenen toten Jungen aus Erfrieds Parallelklasse.

Mit dessen gleichfalls verwitweter, bedauernswerter Mutter verband sie enge Freundschaft, weshalb sie als erste Trost spenden musste und Dr. Wappler Anfang April über das grausige Geschehen ausfragte Noch immer vermutete sie, diesem Jungen habe vielleicht doch ein Lustmörder irgendwie grässlichen Garaus gemacht. Da konnten ihr Dr. Penkau vom Amt und Dr. Wappler noch so oft versichern, dies sei ganz und gar nicht sehr wahrscheinlich, weil keinerlei Anzeichen dafür vorlägen.

Kurz darauf stand Erfried unentschlossen an der Einmündung zum Marktplatz und überlegte. Günter Meinrad und dessen Bruder besuchen, reizte durchaus, schon wegen neuer heißer Rockscheiben. Gegensätzlich schwirrten ihm ganz andere Dinge im Kopf herum, welche er einfach loswerden musste. Auch harte Rockmusik schaffte das nicht, änderte nichts daran. Hartnäckig bliebe es erhalten.

Aber gleichfalls scheute er die Ronnburg und Perchtens, obwohl es drängte. Ständig kreiste mit Ingomar erlebte Zeit verlockend im Gedächtnis. Ingomar wünschte immerhin seinen Besuch und Frau Nelda auch. Neugier auf Gundram Perchten spielte gleichfalls erhebliche Rolle. Was mag er für ein Junge sein?

Andererseits beschlich wiederum Angst, denn auf unbestimmbare Art und Weise erschienen das Haus an der Ronnburg und dortige Bewohner nicht geheuer. Ganz unrichtig dürfte hier allgemein verbreitete Ansicht also nicht sein und gewisse Scheu hiesiger Leute durchaus berechtigt. Auch wenn er selbst nicht fand, Familie Perchten sei irgendwie düster. Aber ein Geheimnis lag an. Oder mehrere. Daran gab es keine Zweifel mehr.

Was verband sie mit dem Räuber der Farben? Und wenn Perchtens selber...? Nein! Einfach nicht vorstellbar! Ingomar ein Diener oder Auftraggeber des finsteren Fremden? - Unwahrscheinlich! Aber ganz ausgeschlossen? Was nahm ihn für die Leute vom Haus an der Ronnburg dermaßen ein? Fast nötigender Bann, seine ständigen Gedanken an Ingomar. Welchen Grund gab es für beinahe Zwang? Allein an Ingomars Äußerlichkeit und überaus anziehender Art konnte es doch nicht liegen, oder? - Verwirrung wuchs.

Ich kann ja mal einfach kurz bei Bernd Kaiser vorbeischauen. Das ist unverfänglich und gleich in der Nähe. Wenn ich dort bin, kann ich immer noch entscheiden, ob ich zur Ronnburg gehe oder nicht, überlegte er und ging los. - Schmöker für Bernd mitnehmen! Rasch machte er kehrt, rannte noch einmal Treppen zur kleinen Wohnung hinauf, stürmte in sein Zimmer, schnappte eilig einige Hefte.

Wieder draußen, sah er zum Himmel. Wolkenloses Blau glänzte oben. Wärmende Sonnenstrahlen erzeugten ersten echt heißen Sommertag des Jahres. Trotzdem, für ihn unverkennbar: Drückende Verfinsterung! Wieder ein Stückchen fortgeschritten

Wie lange kann es noch dauern, bis es vollkommen wird? Tage, Wochen, Monate? Genauso gut kann es ganz rasch gehen, von einem Augenblick zum nächsten. Und dann? Was kam dann? Alles vorbei? Zu Ende das Leben, wie er es kannte?



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