Unablässig stürzte er durch endlosen Schacht. Taub und klagend eilte eigener Schrei hinterdrein, erreichte ihn nicht, blieb in wabernden Röhrenweiten zurück. Nur wenige Wellen zerbrochener Töne und Stimmen kamen echogleich näher. Vermischt mit Lauten plötzlich verschwundener Kehle verwehten sie in alle Richtung, drehten ab, surrten umher wie böse Hornissen im Angriff. - Oder fühlte er seine Kehle noch?
Rau schnitt es ins Bewusstsein, brannte im Kehlkopf, stach glühend in die Lunge, presste sie aus. Leer. Alles erstarb, machte Gräben brodelnden Inhalts Platz. Im Herzschlag wummerte der Schacht, krampfte ruckartig zusammen, schnürte fest, dehnte dann und ließ in andere Tiefen taumeln. Kein Ende in alles fressender Riesenschlange. Die Würgende, Windende, die jedes und jeden verschlang, feucht und heiß im Innern dampfte, zersetzende Säfte darüber ergoss.
Fahl glimmende Lichterscheinungen flammten ins Blickfeld. Zuerst nur einzeln, dann häufiger. Dennoch kein richtiges Licht. Irrlichternde Fünkchen weiteten in bleiche Flecken, flimmerten, wurden heller. Kühl anmutender Lufthauch streifte am Gesicht hoch, brachte sachten Duft erlesenen Kölnisch Wassers.
Kölnisch Wasser im ätzenden Bauch der Weltenschlange? - Sich selbst wird sie, wird ES verschlingen, zurückkehren zum Beginn! - Welche Streiche spielt verlöschendes Bewusstsein, bevor es endgültig versinkt, verdaut vom maßlosen Hunger, aller Farbe beraubt?
Schwebendes Gesicht. Tanzender Kopf. Menschlicher Kopf mit hohlen, von blinkenden Schlieren gefüllten Löchern. Hand schob dazwischen, raffte Schwärze riesiger Augen. Marilyn Monroe sah ihn an, lang schon dem Tod verfallen, verfault. Um ihr nichtssagend niedliches Weibchengesicht rankten jene hässlich blondierten Locken, welche so bezeichnend für sie gewesen. Stumpfsinniges Lächeln halb geöffneter voller Lippen und alberner Schlafzimmerblick sollten betörend wirken. Aber sie verhießen nichts als endlose Hohlköpfigkeit hinter grell geschminktem Vordergrund.
Jählings zerlief das Bild. Abscheulicher Spuk hübschender Dümmlichkeit Marilyn Monroe's verflog. Angenehmer Anblick erschien. "Also, so hässlich kann diese Sonnenbrille nun doch nicht sein, dass man deshalb einen Schreikrampf bekommt, junger Mann!"
Schlagartig zurück im Garten an der Ronnburg. Erfried begriff erst gar nicht, was geschah, was die bemerkenswerte Frau eben sagte. Erst nachdem er wieder Luft schnappte... Irrtum eigener Ängste? Oder doch keine Täuschung?
Jedenfalls hauchte von jenseits der Buschreihe weiterhin kühlender Duft erlesenen Kölnisch Wassers. Aber das Frauengesicht umrahmten keine blondierten Haare, sondern brünette bis dunkle. Ungefärbt! Auftreffende Sonnenstrahlen gaukelten vorher hässliches Kunstblond. - Noch eine Täuschung! - Offenbar verfolgte nur scheußliches Schreckerlebnis, der Dieb des Glanzes. Zu recht, vertraute er Frau Kaisers Erzählungen. - Wann sagte sie das? Vor Stunden, Jahren, Ewigkeiten, vorhin erst?
Die Unbekannte blickte forschend zur glitzer- und flittergespickten Butterfly-Sonnenbrille in ihrer Linken. "Obwohl... Na gut, wenn ich ehrlich sein soll, dann muss ich zugeben, dieses Ding ist wirklich potthässlich. Eine Beleidigung des guten Geschmacks. Aber ich hatte vorhin keine andere rascher zur Hand und Besuch erwartete ich auch nicht. Da kann man mal sehen, dass man sich gegen peinliche Moden von Töchtern tunlichst absichern sollte." Sie lachte hell auf. "Und was ist ihr Begehr, junger Mann?" Die Frau mittleren Alters lächelte freundlich über Gebüsch hinweg, sah ihn voll an. "Mein plötzliches Auftauchen hinter dem Busch hier hat wohl einen gehörigen Schrecken verursacht. Sie sind ja ganz blass geworden. Fangen sie sich getrost, junger Mann, und sagen sie mir, was sie wünschen."
Vor Peinlichkeit wollte Erfried am liebsten auf der Stelle im Erdboden versinken. Er klappte den Mund auf und zu, brachte lediglich zusammenhangloses Zeug heraus. " Äh... ja... ich... entschuldigen sie... das ist mir... ich, äh..."
"Nun mal bitte ganz der Reihe nach, junger Mann. Keine Angst, ich bin wirklich nicht bissig." Sie lachte belustigt aber keineswegs herablassend oder gar höhnisch.
Erfried gewann seine Fassung zurück, verscheuchte beständig schwadende Dunkelfetzen. "Bitte entschuldigen sie mein Eindringen, verehrte Frau. Aber ich habe zweimal gerufen, und dann habe ich eine Bewegung gesehen..."
"Oh ja, das hörte ich durchaus. Ich hatte aber gerade einen Bissen Kuchen im Mund und konnte nicht antworten. Und beim zweiten Ruf hatte ich noch nicht ganz heruntergeschluckt. Es ging einfach nicht. Tut mir leid, junger Mann." Wieder lachte sie fröhlich, ermutigte gekonnter Geste, er solle fortfahren.