Seite vorher
Seite weiter
Kapitel vorher
Kapitel weiter
Kapitelliste

 

Abermal, Kapitel 18, Seite 06

flackert


Stromschlag zischte dem Jungen stechend in den Unterbauch, tobte im gesamten Körper, bis in Finger- und Zehenspitzen. Er bog unwillkürlich nach vorn, als habe ihn jemand getreten, dann fühlte er nichts mehr. Dumpfes Rauschen im Kopf. Erfried blickte langsam hoch. Gundrams Augen glühten höhnisch. Beide Wasserströme versiegten fast gleichzeitig.

Gundram packte ein, grinste unverschämt. "Hab' ich dich angespritzt eben?" Er beugte vor, besah Erfrieds Hose. "Nein, das sieht nicht so aus. Komm mit! Wir wollen doch nicht den Anfang der Feuerfeier verpassen. Es dauert nicht mehr lange, dann geht es los."

Erfried stand versteinert, hielt immer noch erschrocken sein Rohr in der Hand. Wieder und wieder sauste vorher nie geahntes Beißen und Stechen. Kein echter Schmerz. Vielmehr geistiger Einbruch, welcher lähmte und schwindelerregend im Kopf herumjagte. Tiefer Schock und Schnitt in die Seele, von rostig stumpfem Messer gerissen.

"Was ist denn? Willst du hier etwa festwachsen mit deinem Schwanz in der Hand? Als 'Manneken Piss' ohne Wasser? Da gibt es bessere Verwendung für. Los, pack' das weg! Deinen Pimmel kannst du noch zur Genüge an die frische Luft halten." Wie in Trance gehorchte Erfried. Gundram zerrte ihn nachgerade mit.

Hoflampe und offenstehende Haustür bildeten saugende Trichter. Gundram zwang ihn einwärts. Schier besprang das Gesicht des dunkelhaarigen Fremden. Gieriger Blick. Große Zähne hinter dunkelroten Lippen. Blutbeschmiert? Fremdländisches Antlitz schwang zur Seite, gab bereitwillig Weg ins Hausinnere frei. Einige Worte brachen dabei aus halb geöffnetem Dunkelalbenrachen, tanzten wie irre Wespen im dunkleren Flur, sausten in unterschiedliche Richtung davon. Wütendes Surren. Nichts verstanden. Erfried setzte einen Fuß anstrengend zäh vor den anderen, konnte ohnehin keinen klaren Gedanken fassen. Zurück in Alptraumrunde, jetzt seine gesamte Welt. Vom Haus gefressen.

Umwabert von krank weißlichen Nebelfahnen wankte er in den großen Gesellschaftsraum. Geradezu gewaltsam wallten wattige Schwaden, warfen fast um. Gesichter und dazugehörende Anhängsel zogen vorbei, schleuderten Worte ins feiste Luftmeer. Dann wurde er auf einen Sitzplatz zwischen mehreren Dunkelalben genötigt. Gundram stand hinter ihm, stützte lange schlanke Hände auf die Lehne des Stuhls. Er ließe ihn jetzt keinen Lidschlag lang mehr aus den Augen. Heißer Atem des Alps streifte sein Genick, kroch an Hals und Rücken hinab.

Man stellte Fragen, sprach von Dingen, deren Inhalte und Bedeutung er nicht begriff. Verborgener Sinn rascher Sätze. Zwangsläufig antwortete er, lächelte, gestikulierte, ganz wie alle anderen auch, lachte sogar. Aber innerlich tobte es, suchte angeketteter Verstand vergeblich angestammte Herrschaft. - Gelang nicht. Nicht winziges Stück weit.

So mussten gefangene Fliegen fühlen, giftgelähmt als Vorratspakete versponnen. Wach warten, bis hungrige Spinne ihre Kiefer hineinschlug. Am verflüssigten Innern gesättigt, ließ sie entleerte Hüllen achtlos zurück.

Fremdgelenkt versank er ständig tiefer in klebriges Gespinst achtfach rotäugig lauernder Riesenspinne. Deren haarige knackende Beine stellten klauenbewehrten Käfig, aus dem er niemals je entkäme. Und sollte er es wider Erwarten versuchen, umwickle sie sogleich mit weiteren klebenden Schlingen, packe und verschnüre. Hässliche Sorgfalt. Oder das stinkende Ungeheuer schlüge seine Giftklammern sofort in gefesselten Leib, speie fressende Verdauungssäfte, Salzsäure unter Haut, in Eingeweide, bis ins Mark der Knochen, sauge ihn auf der Stelle gierig aus.

In hoch aufspringenden Spritzern entwiche geschlagenen Hautschlitzen warm saures Gemisch aus Blut, zersetztem Fleisch und verflüssigtem Gedärm. Aufgesogen und aufgeleckt von bösartiger Mordgier borsthaarig schwarzer Spinne Genuss. Als schlapp klappernde Hauthülle vertrocknen die Reste langsam. Irgendwann zerfielen sie zu grauem Brösel und Staub, flocken zu Boden. Wollige Rollen wehen später in entlegene Ecken, verrotten mählich, haften als schmierig fettiger Schleim auf mancher Oberfläche. Feuchter Moder. Leichenbutter an Krematoriumswänden. Bleiche Sülze zwischen morschen Knochen aufgelassener alter Gräber, wurmdurchkreuzt...

"Wurmdurchkreuzt?" Drohend sah der Klassenlehrer auf ihn herunter. Angstvoll duckte gesamte Klasse in Bänke. Oberlehrer Mantey's Augen schossen vernichtende Blitze, als säße er wieder im Focke-Wulf-Jäger und drücke auf Auslöseknöpfe von Bordkanonen, fege feindlich niederträchtige Amibomber vom Himmel. "Was soll denn das? Bist du vollkommen verrückt geworden, Gundeleit?" Jetzt lief er rot an und brüllte wutentbrannt: "Wurmdurchkreuzt! - Dafür kriegst du eine wurmdurchkreuzte Sechs, du Moderhirn!" Watsch! Klatsch! Patsch! wurde Erfried das Aufsatzheft um die Ohren gehauen und anschließend wütend aufs Pult geknallt... Nebel hüllte...



Alle Rechte vorbehalten
Mannie Manie © 1999
Unentgeltliche Weitergabe erlaubt!

weiterblättern: nächste Seite