Von Donnergrollen und grellen Blitzen begleitet, hüllte hohles Gelächter ein. Kratzende Angst ringsherum. - Fortgerissen... Fortgerissen? Wohin?
In unablässig umherzuckenden Lichtentladungen wütender Gewalten schien kein Ort, an welchem er sein konnte. Nichts mehr da! Nichts außer Brüllen und Toben, Sturmheulen und lautem Lachen zahnlos schwarzer Mundhöhle. Zu klebrigen Mustern verfestigt schwappte Gelächter heraus. Als vielstreifig knotige Peitsche fauchte bösartiger Strom aus Tönen wütend nieder, klatschte schmerzhaft um schutzlosen Leib, hinterließ striemige Spuren auf der Haut, verschmierte rinnende Bluttropfen. Kein Atem füllte die Lunge oder floh verbraucht aus dem Mund, berührte Lippen, strich über Zunge und Gaumen, nur Zähne als Hindernis. Trockene Pfropfen verstopften Nasenlöcher und das Herz musste emsige Tätigkeit längst eingestellt haben. Nichts davon spürte er noch. Lediglich wabernde Leere blieb, worin er zu seiner Verwunderung keine Angst mehr fühlte.
Der Tod, von dem die Erwachsenen so viel redeten? Aber es soll doch einen Tunnel aus Licht geben, an dessen Eingang man von verstorbenen Lieben oder anderen freundlichen Begleitern in neue Welt des Jenseits geleitet, empfangen wurde? Papa müsste doch hier sein, ihn erfreut bei der Hand nehmen, wie in lang vergangenen Kindertagen so oft. - Ach, Papa!
Alles gelogen? Gab es diesen Tunnel gar nicht, oder enthielt er kein Licht? Nur Durchgang in klammernde Dunkelheit? Eine Dunkelheit, worin man für immer herumirrte, niemals wieder herausfand? Ist das die wahre Hölle, wo man weiß, man ist, seiner selbst bewusst bleibt, durch Räume, Welträume aus purer Leere stürzt? Nie wieder an ein Ziel gelangen? Gibt es nicht einmal mehr gnädige Möglichkeit des Selbstvergessens, vergessen dürfen? Vergessen, wie man vorher ganz wirklich lebte, fühlte, freute oder fürchtete, wenigstens Durst und Hunger kannte. Nicht einmal Lachen oder Weinen ginge noch. Blieb nur diese namenlose Furcht im Stickigen? Ersticke ich? Bin ich noch? Selbst für Schmerz jetzt dankbar, weil dann wenigstens etwas festgemacht werden könnte. Aber so? - Wer bin ich wirklich?
Irgendetwas schüttelte ihn. Gerufene Laute zerschnitten reißenden Strudel erschrockener Fragen, holten gewohnte Welt ins Bewusstsein. Worte drangen lautstark ins linke Ohr, sausten tief in den Kopf, rasselten bis in Augen, durchtrennten wabernde Gespinste vor seinem Blick. "Was schreist du denn so? Ich bin doch kein Gespenst, Mensch! Ich bin ganz echt! Das kannst du mir glauben!"
Erstarrt und keiner Bewegung fähig stand der Junge im dunklen Flur des fremdartigen Hauses Perchten. Zäh fand er zur Wirklichkeit. Vor der Tür polterte das Gewitter dem Gipfel entgegen. Fast ununterbrochen barsten Blitzentladungen, gefolgt von Kanonenschlägen ballernden Donners. Nie erlebter Urgewalt brüllte Unwetterorkan ums Haus, rüttelte wüstend an allen Ecken und Enden, als solle dies aus Stein errichtete Hindernis abgerissen werden und die Bäume davor gebrochen.
Nur langsam tauchte der verängstigte Junge wieder zur Oberfläche innerer Meeresbrandung, begriff knapp, was um ihn herum vorging, spürte zuerst sein vorher gefangenes Herz gegen Rippen rumpeln. Dann schnappte er wie ein Ertrinkender nach Luft. - Er lebte!
Kaum zwei handbreit vor seinen Augen schwebte das Gesicht des jüngeren Mannes mit dem langen Fingernagel, dem er hierher neugierig folgte. Zu ihm gebeugt, grinste dieser breit, weiterhin bleich und unheimlich im unregelmäßig flackernden Licht von Blitzen. Aber, unverkennbar kein lauerndes Ungeheuer, sondern etwas mitleidlos belustigter, groß gewachsener Mensch. Er mochte um mehr als reichlichen Kopf überragen.
"Bleib' hier stehen, ich muss die Haustür zumachen und das Licht an!" Er verschwand am Jungen vorbei.
Plötzlich vollkommene Dunkelheit. Zugleich Lärm entfesselten Unwetters gedämpft und leidlich ausgesperrt. Mit einem Ruck musste er die Haustür zugeschlagen haben. Gelbliches Licht flammte von oben, blendete unsäglich, obwohl nicht sonderlich hell. Aber nach all der Finsternis... Noch immer wagte der Junge keine Bewegung, stand erstarrt und versteinert, erschrak weiteres Mal heftig, als der Hausbewohner wie riesiger Schatten neben ihm auftauchte. Jetzt jedoch mit einigermaßen freundlichem Gesicht. Er lachte wenig mitfühlend über den erschrockenen Jüngeren.
"Na, da hast du dich aber riesig erschreckt, was?" Wieder lachte er, als habe er besonders guten Witz gerissen. Der Junge fand es gar nicht lustig. "Tut mir leid, wenn ich dir Angst eingejagt habe. Ich hab' dich hier auch nicht vermutet, war selbst erst ein bisschen erschrocken, kam nur, um die Haustür zu schließen. Mann, ist das ein scheiß Gewitter! Der reinste Weltuntergang!"
Er öffnete rechts eine große, schwer wirkende Tür. Mattdunkles Licht lag neblig im Raum dahinter. Offenbar Wohnzimmer oder ähnliches. Nicht genau auszumachen im Wirrleuchten der Blitze vor Fensterrechtecken. Hagelkörner prasselten wild gegen sperrende Glasflächen. Er zupfte den Jungen am Hemdärmel. "Na, komm schon rein. Da drin kannst du dich hinsetzen. Oder willst du hier im dusteren Flur festwachsen? Ich muss noch die Sicherungen rausschrauben. Hier wird's gleich wieder finster."
Endlich erwachte der Junge aus Erstarrung, folgte zögernd der Aufforderung, stand schließlich verloren im großen Wohnraum des Erdgeschosses, nachdem die Tür hinter ihm zuklappte. Der merkwürdige jüngere Mann verschwand in lichtlose Haustiefen. Genauso gut konnte er nie da gewesen sein. Geistererscheinung oder flimmernde Täuschung, von Entladungen in der Luft erzeugt. Außer mit seiner Stimme, verursachte er kein Geräusch. Auch keiner seiner Schritte tappte am Boden, wie sonst üblich. Katzengang.