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Abermal, Kapitel 16, Seite 01

flackert


Gleichmütig drehte der dunkle Fremde ab, ging zügig aber hastlos an Lichthöfen von Straßenlampen den Marktplatz entlang. Flink hingegen, verschwand geworfener Unheilschatten samt eisiger Ausstrahlung aus nebenliegenden Gassen. Jedes Mal drängte langgezogen verdeckender Umriss flugs hinein, nahm auch letzten Rest spärlicher Helle vom Buckelpflaster. Nur Aussparungen der Gestalt beließen verzerrte Lichtflecken. Vom Kirchturm schlug die Glocke dreimal kurz. Viertelstunde bis Mitternacht!

Unbeirrbar überquerte er kopfsteingepflasterte weite Fläche. An gelber Fernsprechzelle vorbei Richtung Bahnhof. Er kannte sein Ziel offenbar genau, erweckte keiner Weise Eindruck, späte Schritte könnten Abseitigem gelten. Hochgefühl sollte durchfluten. Doch er fühlte nichts, nahm Gegebenheit innewohnender Macht als selbstverständliche Tatsache. Einschneidendes Maß dieser Macht lediglich sachlich festgestellt. Er allein übte sie aus.

Verlassen stand die Zelle am Rande menschenleeren Platzes, scharf beleuchtet von Bogenlampenlicht. Nächster Besuch erwartet, nächster Gebrauch schweren Hörers an dick umwundenem Kabel. Finger in Wählscheibenlöchern begehrt, lassen surrend und leise knackend kreisen. Kratzende Worte aus Hörmuschel und laute Stimmen Anrufender. Fragen, Grüße oder Botschaften an fernab horchende Leute. Nur wenige Wahl: Entweder zuhören oder einhängen, sprechen oder sprechen lassen! Vergessen ungezählte Worte ausgesprochen und in unbekannte Richtung gesaust, glitzernd aber unsichtbar in schwache Stromstöße gewandelt. Knisternd unverstanden. Gelb bewahrtes Stillschweigen.

Was sprach der Fremde und mit wem? Besaß er Stimme, eigenen Klang? Oder verfügte er über andere Fähigkeiten, weshalb er gar nicht sprechen brauchte, Hörer nicht nutzte, Wählscheibe nicht kreisen ließ?

Verdrängt flüsterte unklare Stimme, schwach und kraftlos, fragte: "Was machst du hier? Findest du das richtig?" Sie wehte aus fortwährend kreiselnden Tiefen, ohne eigenen Ton. Niemand hörte sie in dieser Weise. Nur er, er konnte sie matt und gedämpft verstehen. Nichts verbunden mit solcher Mahnung, kein Sinn enthalten. Sicher, er kannte die Stimme. Doch woher? Irgendwann in verflossener Zeit jeden Tag gehört, klang sie vertraut. Jetzt jammerten fremd und klagend unverständliche Fragen.

Was soll er hier schon machen? - Seiner Bestimmung folgen, anderen Bestimmung bringen! Ob er das richtig fand, bedurfte keiner Antwort. Es musste sein! Was denn sonst? Was ist schon falscher, als Bestimmung und Bahn verlassen, Notwendigkeit missachten? Er kannte nichts, was dem widersprach. Die Stimme zerlief, versank in dumpfen Wirbeln, ohne Kraft, ohne Klang, ohne neues Wort. Erstorben, vergessen, verstummt.

Kurz vor dem Bahnhof bog er ab, verschwand in der etwas verwilderten Grünanlage. Sportplätze und Vereinshäuser hinter deren Weitläufigkeit versteckt. Kein Geräusch verursachten Tritte im Dunkel unter Bäumen, im Nachtschatten hinter Büschen. Kein Ast knackte wegen plötzlichem Gewicht, durchraschelten Füße herabgefallenes Laub.

In einigem Abstand blinzelte Licht aus Fenstern, zuckte in scharfe Nadeln zerteilt durch Äste und Blätter. Stimmen schollen zerrissen in Fetzen, sprangen mal hierhin, mal dorthin. Lachen verwehte zwischen Baumstämmen, verirrte im Astgewirr. Musikbruchstücke tanzten in Nacht hinaus, zerfaserten unter gleichgültigen Sternen. Er verharrte, lauschte auf nächtliche Töne, ging zielstrebig weiter, Glühlampenschein entgegen.

Der Fremde verschwand. Aufgesogen durch spärliche Lichtstrahlen aus niedrigen Gebäuden, gelegen hinter Maschendrahtzäunen. Von deren Fenstern stachen nächtliche Elfenbrücken in langgezogene Grünanlage. Gespenstisch verzerrt im kühlen Dunst.

Grell ergoss große Glühbirne am Eingang in flaches Gebäude ihren Lichtkegel auf Rasen, Weg und Stufen. Verstärkt vom inwendig weißen Schirm prallte ihre Helle auf alles nieder, lockte fliegendes Nachtgetier. Erst näheres Betrachten zeigte schwirrend Verirrte, klebten sie von Hitze verschmort am Glas oder fielen todgeweiht herunter. Viele taumelten noch lange, kämpften verzweifelt. Andere wiederum zuckten durchs Licht, verschwanden ins Dunkel, tauchten wieder auf. - Oder vollführten nicht dieselben wiederholt Tänze?

Über Kiesweg knirschten Schritte, lenkten stämmige Männergestalt zum Lampenschein. Nach und nach Einzelheiten. Gemessen an gleitenden Bewegungen und federndem Gang, vermuteten unbefangene Beobachter leicht jüngeren Mann. Er musste jedoch älter sein. Sicher nicht alt. Aber auch nicht jung, wie im ersten Anschein. Mann mittleren Alters, welcher aufgrund eigener Gewandtheit viel jünger wirkte. Gesichtszüge entsprechend geprägt von Miene und Gedanken. Gestraffte Haltung und kraftvolles Gebaren beließen diese Erscheinung in gewisser Zeitlosigkeit, obgleich wissender Blick dessen wahres Alter ahnen konnte. Ende dreißig, wie viele Jahre mehr oder weniger? - Schlecht schätzbar bei diesem Jemand. Jedes Alter, nur kein greises oder jugendliches.

Er wollte zum Eingang, durchquerte offene Durchfahrt im Maschendrahtzaun um das Anwesen, blieb auf halbem Weg stehen. - Geräusch! Aufmerksam spähten Augen. Wartete wer?



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Mannie Manie © 1999
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