"Steigen wir schon mal aus", wehte neblig entfernt Herwig Perchtens Aufforderung heran. Gleich hartem Befehl, dem nicht widersprochen werden durfte, schallte es vielfach zischend ins Ohr, obwohl leise gesprochen.
Aussteigen? - Erfried saß wie gelähmt vor Angst. Fraglos unentrinnbare Falle! Wild peitschten Gedanken, suchten Auswege, fanden keine. - Doch böse getäuscht worden? Perchtens und die Wächter wer völlig anderes als vorgegaukelt? Sind sie doch jene dunklen Alben, wofür er sie längst zuvor hielt? Worauf zielten sie wirklich? Und wenn alle zugewiesenen Rollen gar nicht stimmten, der Dieb des Glanzes ganz andere Wege verfolgte? Wenn...
Unsinn! Der Glanzdieb ist ganz sicher keine verkannte freundliche Macht, sondern mindestens ebenso niederträchtig. Insofern dürfte man ihn kaum belogen haben, der Lichtfraß entspreche einem dunklen Herrscher, sei so etwas wie ein Schwarzalbenkönig. Sind die Wächter nur Abtrünnige, ehemalige Gefolgsleute des Albenkönigs? - Es konnte ihm alles egal sein. Jung, unerfahren und dumm zwischen zwei Todfeinde geraten, von einer Seite willfährig vereinnahmt. Keine gegnerische Seite kannte Erbarmen. Jetzt benötigten sie seine Dienste womöglich nicht mehr und räumten ihn aus dem Weg.
Aber warum sollte er aussteigen? Fürchteten sie nicht, er könne laut Alarm schlagen und flüchten, nächtlichen Platz zusammenschreien? - Klar! Blut gemeuchelter Opfer macht auf Polstern eigenen Autos keinen sonderlich guten Eindruck. Mindestens fand man es störend. Und zudem konnte Gundram jeden Fluchtversuch und Schrei sofort unterdrücken. Aber warum spürte er noch nichts davon? Längst müsste er doch seine unheimlichen Kräfte spielen lassen? Wieder wollte Erfried den Wagenschlag öffnen. - Vergeblich.
"Was ist denn?" fragte der Jungalp neben ihm, lieblich wie ein Kindergrab.
"Die Tür geht nicht auf", würgte Erfried mühsam.
"Na, wenn du den Innenriegel runtergedrückt lässt, dann kann das auch nicht gehen", lachte Gundram verhalten, griff an ihm vorbei den Schließzapfen am Seitenfenster. Kurzer Ruck. "Jetzt versuch' es mal", grinste er, wuschelte Erfried dabei durch wirres, vom Angstschweiß verklebtes Haar.
Es gelang tatsächlich. Leicht und geräuschlos schwang der Wagenschlag auf. Erfried erinnerte, dass er beim Einsteigen am Richthügel seinen Arm auf kaum gepolsterten Wulst stützte, wahrscheinlich versehentlich den Riegelzapfen niederdrückte. Vollkommen verwirrt stieg er aus. Bewegungen eines Schlafwandlers. Was sollte er von allem halten? Immerhin bekannte Ingomar unwidersprochen, sie wollen jemanden ohne Zögern umbringen. Erlag er vorhin gehabter Bestürzung über ungeschminkte Antwort, deutete eigenverschuldeten Umstand falsch?
Alles wies zu seiner Erleichterung darauf hin. Ingomar stieg gleichfalls aus, sah ihn kurz an, lächelte. Auch die anderen rückten ihm keiner Weise irgendwie zu Leibe. Lediglich Gundram trat dicht heran, berührte am Arm. Ihre Körperausstrahlung floss ineinander, beruhigte Erfrieds wild pochenden Herzschlag. Kein Versuch, ihn gedanklich fesseln oder gar umbringen. Nichts!
Träge aber unüberhörbar plätscherte hinter ihnen jener hässliche Brunnen, welcher dem Platz Namen gab. Erfried saß weiterhin Schreck in allen Gliedern, reichlich durcheinander, wegen freimütig erhaltener Antwort. Doch letztlich leuchtete mählich wiederkehrender Klarheit ein, rascher Tod des Brückendieners erspare sehr vielen anderen Menschen grausames Leiden. Denen lachte kaum das Glück kurzen und schnellen Sterbens, verreckten geradezu qualvoll. Verunsichert und vom Schock gezeichnet schaute Erfried die anderen drei im fahlen Halbdunkel des Platzes an.
"Nun schau uns nicht so entsetzt an, Erf", beruhigte Ingomar, der Verlorenheit und Schrecken bemerkte und rasch richtig deutete. "Wir sind keine mordlustigen Ungeheuer. Es bleibt nichts anderes übrig. Was glaubst du, was der Brückendiener tut, wenn du dem schutzlos über den Weg läufst? Du warst noch nie in deinem Leben so schnell und so dermaßen tot! Und wirst es auch nie wieder sein, mein Lieber."
Gundram nahm unwillkürlich seinen Freund schützend in den Arm. Trotz bitterem Ernst dieser Aussage und gehabtem Entsetzen, musste Erfried über Ingomars Galgenhumor lachen. "Sollten wir nicht auch hinterher?"
Herwig Perchten schüttelte den Kopf. "Nein. Besser, wir warten hier. Die sind uns sofort so weit voraus gewesen, dass wir sie ohnehin kaum mehr gefunden hätten. Oskar und Werner wollen den Kerl nur schnellstmöglich stoppen, wenn es geht, gleich unschädlich machen, wenigstens aber die Autonummer herausfinden. Auf eine lange Verfolgungsjagd werden sie sich aber nicht einlassen, weil sonst ganz flugs die Polizei auftaucht und dumme Fragen stellt. Die würden ziemliche Augen machen und wissen wollen, wieso ein auswärtiger Arzt und ein seltsamer Mönch mitten in der Nacht hier wie die Irren durch die Gegend rasen. Und einen Strafzettel gäbe es obendrein, wenn nicht gar gleich eine Anzeige. Das muss alles nicht sein. In etwa einer Viertelstunde sind die beiden bestimmt wieder hier."