Nach schmerzlicher Erfahrung kein Aufheben, das liederliche Türchen zum Speicher öffnen. Knarzend schwang es heraus. Steil und eckig winkelte kleine Treppe aufwärts zum finsteren Speicher. Im Strahl ihrer Stablampen sahen sie jene dünnen Kabel, welche hinterlistig Strom in den Greifring leiteten. Wütend riss Oskar Dimpfl sie ab. Funkend und britzelnd fielen blanke Enden herunter, blieben als böse lauernde Gefahr erhalten, sofern nicht gekappt. Deren Zuleitung verschwand zwischen hölzernen Ritzen. Sorgsam schob der Träger der schwarzen Kutte die Drähte aus dem Weg.
Entgegen bisher gesehener Raummaße des Bluthauses, weitete der Dachboden wie eine gotische Kathedrale. Sie staunten gehörig. Selbstredend auch hier Ecken und Winkel über und über von Spinnweben behangen. Und Unterschlupf für Fledermäuse schien dies auch. Jedenfalls flatterten etliche lautlose Nachtwesen aufgeschreckt in Dachspeicherweiten, flüchteten flappenden Flügelschlags durch Luke nach draußen. Leises Fiepen bezeugte deren Aufregung und Empörung wegen plötzlicher Störung.
Bis auf einige grob gezimmerte, sehr schwere alte Kisten und gewaltige Truhe aus Eichenholz, gähnte leerer Speicher. Schmutz, Mäusedreck, hereingewehtes altes Laub und endlos dicker Staub schichtete unter Dachschrägen. Hier und da lagen vertrocknete Fledermäuse. Gespenstischer Anblick, trotz Kleinheit. Auffallend säuberlich gehaltener Weg zur einzigen Tür im hohen Gebälk. Recht großer Raum musste demnach am Ende des Speichers liegen. Gesamte Breite abgeteilt.
Atemloser Augenschein übermannshoher Kisten und klotziger Truhe ergab nichts. Stickige Inhaltslosigkeit, durchdringender Mief und jede Menge eklige, angetrocknete Ablagerung verschiedener Tierausscheidungen außen. Auf gut Deutsch: Alles vollgeschissen! Angewidert stapelten sie das Zeug wieder hin. Wirklich nichts von Bedeutung, weshalb sie rasch zur einzigen Tür wandten.
Diesmal vorsichtiger, entdeckte Oskar Dimpfl elektrische Falle schnell, neben starken unterschwelligen Sperren. Er benötigte mehrere Minuten für verschiedene Entriegelung. Aber dann gelang es. Die Tür schwang in dahinterliegenden Bereich. Sie leuchteten hinein und staunten abermals. - Jeder glaubte fest, hier muffe gleichfalls verschmutztes und von verschiedenem Viehzeug verunreinigtes Dachbodengelass. Keiner erwartete in diesem schaurigen alten Haus einigermaßen Wohnliches.
Sogar ein sehr großer Raum, obgleich ausladende Dachschräge übliche Grenzen setzte. Sprossen gliederten beträchtliches Fenster an der Stirnseite. Linkerhand ragte Fenstergiebel ins Dach. Darin allerdings wesentlich kleinere Glasmaße. Bodenlang schwere Vorhänge rahmten beide Lichteinlässe. Machtvoll drohte Kommode von rechts, sowie dick gepolstertes Sofa unter Fenstergiebel. Letzteres konnte als bequeme Schlafstatt herhalten. Vor dem großen Fenster viereckten klotziger Tisch und Stuhl. Am auffälligsten: Nachgerade gewaltiger Sessel mitten im Zimmer! Dieser wartete wiederum genau inmitten kreisrunden Teppichs auf allfälligen Gebrauch. Staubgrauer Kunststoffbelag verunzierte den Fußboden. Stragula! Altersdunkle Balken unterteilten Wände und Schrägen. Einst hell gestrichene Flächen. Lang schon düsterer geworden, wirkten sie krankhaft weißlich vergraut.
"Da schau her!" entfuhr Oskar Dimpfl überrascht. "Da legst di nieder!"
"Ja, das ist wirklich eine Überraschung", bestätigte der Träger der schwarzen Kutte.
Bis auf Oskar Dimpfl, löschte alle rasch ihre Stablampen vor Eintritt. Sie ließen ihn zuerst alles genau überprüfen. Fallen schienen nirgendwo ausgelegt. Jedenfalls fand Oskar Dimpfl keine Anzeichen. Herwig Perchten zog eilig die schweren Vorhänge zu. Dann durchforstete man das erstaunliche Gelass.
Der quadratische Tisch am Fenster, sehr alt und etwas klobig, stand auf einer einzigen gedrechselten Säule, deren Durchmesser mittlerem Baumstamm entsprach. Keine Schublade. Auch keine versteckte. Zu ihrer Enttäuschung nichts, außer miefigem Bettzeug hinter quietschenden Fronttüren gewalttätiger Kommode. Ebenfalls nirgendwo verborgene Fächer. Alles leer, roch es durchdringend nach altem Holz selten gelüfteten Möbelinnenraums. Auch sonst keine Hohlräume im Dachzimmer, worin heimlich Dinge gelagert sein konnten.
"Schade, keine Geheimfächer hier", bedauerte Gundram ihm misslichen Zustand.
"Das ist auch nicht nötig. Hier ist etwas ganz anderes und viel wichtigeres. Schaut mal hier", forderte der Träger der schwarzen Kutte und wies auf Sessel und Teppich in Raummitte.
"Was ist denn mit dem Sessel?" Erfried stand als erster neben dem Kuttenträger.
"Mit dem Sessel allein, nichts. Entscheidend ist sein Zweck und wie er steht - und wo er steht." Er leuchtete zum Teppich hinunter. "Kabbala!"