Seite vorher
Seite weiter
Kapitel vorher
Kapitel weiter
Kapitelliste

 

Abermal, Kapitel 01, Seite 10

flackert


Weitere Nachfragen bei anderen Familienmitgliedern ergaben nichts. Auch sie wollten keinen Besuch bemerkt haben. Man sah mich an, als sei ich zeitweise nicht ganz da und versicherte, es gehe mir offensichtlich schon wieder besser. Meine Mutter schlug noch vor, ich solle zu dem netten Doktor gehen, welcher Ecke Klopfergasse seine Praxis habe. - Auf keinen Fall!

Umgehend rief ich in meiner alten Schule an, stellte mich der Rektoratssekretärin vor und bat: "Könnten sie mich bitte mit dem Lehrerkollegen, dem Herrn Arfrath verbinden?"

"Wen bitte?" Sie klang verunsichert.

"Herrn Arfrath, bitte! Mit 'th' am Ende, Verehrteste!"

"Das muss eine Verwechslung sein. Hier gibt es keinen Herrn dieses Namens. Schon gar nicht als Lehrkraft. Tut mir leid!"

Kalte Dusche! Ich dankte und legte auf. Meine Verwirrung wuchs. Es muss doch irgendwo Hinweise geben. Im Telefonbuch stand nichts. Auch nicht in Nachbarorten. - Das Einwohnermeldeamt! Unter außerordentlichen Blicken staunender Verwandter stürmte ich ohne Jacke und wirren Haars aus dem Haus. Schnurstracks wenige Gassen weiter zum Rathaus, ins Einwohnermeldeamt.

Die Amtsstunden endeten in einer Viertelstunde, weshalb man mein Ansinnen nicht sonderlich begeistert aufnahm. Doch schließlich ließ ein Beamter Gnade walten und durchsuchte die Datenbank nach genanntem Namen. Ohne Ergebnis! Weder als Nachname, noch als Vorname bestand irgendein Eintrag. Auch in letzten zwanzig Jahren nicht, versicherte der Amtmann abschätzenden Blicks auf meinen etwas unpassenden Aufzug.

Wieder nichts! Aber das konnte doch nicht sein! Diese Stimme war deutlich und klar auf dem Band. Was war denn bloß los? Vielleicht stimmt mit mir doch etwas nicht?

Wieder im Elternhaus, bat ich meinen älteren Bruder hoch, spielte die Bänder an willkürlich ausgewählten Stellen an. Zweifelsohne drang bestens verständlich, wenn auch sehr eigentümlich klingend, die Stimme des seltsamen Besuchers aus Lautsprechern. "Hörst du das?"

"Ja, sicher! Ich bin doch nicht taub", meinte er verwundert.

"Und was hörst du da?"

"Eine komisch verzerrte Männerstimme scheint irgendeine Geschichte zu erzählen. Das Mikro ist wohl nicht ganz in Ordnung oder deine Videokiste."

"Aber du kannst die Worte verstehen, nicht wahr?"

"Ja doch! Was willst du eigentlich von mir?"

"Nichts, nichts! Dankeschön für deine Mühe", wimmelte ich ab.

Wenn ich jetzt wieder von dem Besucher redete, bekäme er dringende Zweifel an meiner geistigen Gesundheit. Kopfschüttelnd ließ er mich allein. Zumindest bestätigte er mir damit, nicht so durchgedreht zu sein, wie ich schon selbst glaubte.

Noch am selben Tag reiste ich ab. Eigentlich wollte ich noch zwei Tage kurzen Urlaubs hier verbringen, versprach meinen alten Eltern hoch und heilig einen Weihnachtsbesuch. Mit der ganzen Familie! Sie schienen einigermaßen versöhnt. Wenn sie auch nicht so ganz daran glauben wollten, weil ich stets verabscheute, Weihnachten in gefühlige Sippentreffen entarten zu lassen. Gab nur Zank und Zoff und das ganze verdammte Weihnachten war bis über Mitte Januar hinaus total im Eimer.

Zuhause bedachte man mich gleichfalls mit befremdeten Blicken. Ich schloss mich für restliche Urlaubstage und folgendes Wochenende ins Arbeitszimmer ein und tippte fein säuberlich erstes Band aufs Rechnerbrett. Vier geschlagene Tage lang.

Am Sonntagabend gab ich meine Bemühungen entnervt auf. Nicht einmal vier der ersten zehn Stunden geschafft und jede Menge Fehler gemacht. Niederschmetternd! Und dies, trotz Schreibmaschinenkenntnisse zehn Finger blind. Jedoch ungeübt und langsam. Am Montag bat ich meine Sekretärin um Hilfe.

Bereitwillig kam sie abends, besah alles, hörte in Bänder rein und meinte unverblümt: "Dreißig Stunden ununterbrochen gesprochenes Diktat, ohne angesagte Satzzeichen und Absätze, und das auf einer solchen Bandmaschine? Das sind mindestens zehn volle Arbeitstage, die ich dazu brauche! Zwei vollständige Arbeitswochen, womöglich länger. Sie kennen mein Gehalt. Zweitausend Mark! Darunter ist nichts zu wollen, Herr Meinrad. Und das ist ein ausgesprochener Freundschaftspreis, weil sie keine Sozialversicherungsabgaben entrichten müssen."

Ergeben stimmte ich zu. Sekretärinnen sind nun mal nicht billig und gute schon gar nicht. Bienenfleißig opferte sie ihre nächsten Abende für jeweils drei bis vier Stunden. Dadurch dauerte es mehr als zwanzig Tage, bis endlich das Ergebnis säuberlich in einer Datei gespeichert und ausgedruckt werden konnte.

Und hier folgt der Bericht des rätselhaften Fremden aus dem Flur! Es ist alles weitestgehend belassen, wie er erzählte. Nur hier und da behutsam ein wenig geglättet, am Inhalt aber nichts, wirklich nichts verändert.

Ich habe den Geheimnisumwitterten getroffen und bin fest überzeugt, seine Geschichte entspricht der Wahrheit!



Alle Rechte vorbehalten
Mannie Manie © 1999
Unentgeltliche Weitergabe erlaubt!

weiterblättern: nächste Seite