Verschieden schattierte Unterschiede. - Was ist das und wo ist das?
Erfried tauchte langsam aus Dunkel hoch. - Es ist doch nicht vorbei! - Seine haltsuchenden Füße stolperten über unebenen Boden. Kein Erkennen. Finsteres Wabern. Jemand hielt ihn hart am rechten Arm, schob voran, lotste unnachgiebig durch fleckige Nacht. - Gundram! Wer sonst?
Er brauchte weder fragen noch sehen. Könnte auch gar nicht fragen. Seine Stimme aus staubtrockener Kehle versage ohnehin. Gewaltsam herrschten Gedanken des jungen Alps. Keine zusätzliche Versicherung nötig, wer schraubstockartig am Arm gepackt hielt und voranlenkte. Nur Gundram der Dunkelalp konnte es sein. Der ließe ihn niemals frei.
Einigermaßen freundlichem Nichtfühlen entrissen! Was folgt, wenn Wegende erreicht? Eigentliche Opferung?
Mutlosigkeit brodelte stickig. Schon vor Ewigkeit damit abgefunden, einfach aufgelöst, schwerelos schweben, nicht mehr sein, scheinbar vollständig im Vergessen versunken. Und nun doch nicht! Man wollte ihn nicht einfach opfern, alles überstanden und vorbei. Nein! Echte Alpe schmieden bessere Pläne. Sie wissen, wie man Menschen richtig quält, benötigen keine rohe Gewalt. Obgleich sie diese sicherlich auch anwenden, so es Zeit dafür sei. Sie sind sicher, schreiend gefesselte Angst ergebe quälendste Folter, scheußlichste Marter, hilflos ausgeliefert, wehrlos, keine Flucht, kein Ausweg.
Wieder tanzten irrlichternde Fackeln herum, gaben nächtlichem Weg aber kein echtes Licht. Auch Erfried hielt seine weiterhin. Doch sie erhellte nichts, blendete nur, ließ alles ringsum noch finsterer erscheinen als es sein mochte. Alle anderen mussten Katzenaugen haben. Offenbar beendeten sie ihre spukhafte Weihefeier und gingen zurück, hinaus aus dem Hain der alten Wallburg. - Wie lang dauerte es und was geschah inzwischen?
Ohne Erinnerung beklagte er schmerzlich den Fortlauf des Alptraums. Lieber tot! Doch die lange Reihe gespenstischer Gestalten strebte unerbittlich voran, verließ schweigend das alte Heiligtum, wie sie es betrat. Nur beschrieb ihre Marschrichtung nun eine Spirale im Uhrzeigersinn, von innen nach außen. Endlos vielfache Umgänge. Geisterkette! Länger und länger streckender Weg entsprach den Wallumfängen. Einmal Umrundung am Wallfuß, dann im Aufstieg zur Krone, danach Kreisbogen auf dessen Krone und letztlich umrundender Abstieg zur folgenden Grabensohle zwischen Wällen.
Erfried mochte nicht ständig an seine missliche Lage denken, rechnete nach. - Der äußere Wall maß sicherlich dreißig Meter im Durchmesser. Dreißig mal dreißig sind neunhundert. Als 0,785 genommen, weil es ja richtiger Kreis ist, dann ergibt es etwa siebenhundert Meter. Und diese viermal, sind dann zweitausendachthundert Meter. Die Wallkronen lagen ungefähr sechs bis sieben Meter auseinander, falls nicht völlig verschätzt. Also, ist nächst innerer Wall jeweils gut sieben Meter kleiner im Durchmesser. Jeder folgende Rundgang ist zwar immer um einiges kürzer als der vorhergehende, oder länger, wenn man wie jetzt nach außen geht... also muss... Er überschlug mögliches Ergebnis 'Pi' mal Daumen und staunte. - Letztlich weit über vier Kilometer Wegstrecke! Wenn nicht gar mehr als fünf Kilometer!
Statt Einzelheiten, sah er nur Schemen. Das Feuer inmitten der Wälle schien gelöscht oder niedergebrannt. Von dort leuchtete nichts mehr, außer bleichem Schimmer, aufgelöst in Nacht. Mählich aufwärts ging es und wieder abwärts, folgte erneut beschwerlich grässlichem Zwang hiesiger Bodenbeschaffenheit. Uralte Anlage. - Wie oft, wie lange, wie weit?
Erfried verlor letztlich doch noch jegliches Gefühl für Richtung und Ort, überließ dem Alp die Führung, setzte wie ein Roboter seine Füße. Was blieb übrig? Widerstand würde sofort gebrochen. Ganz ohne Gewalt. Flucht ausgeschlossen! Gundram kostete gewonnene Herrschaft voll aus, lenkte durch zwingenden Willen Erfrieds Körper, jede Bewegung, hielt ihn obendrein auch noch fest. Fahl erschien irgendwann hellerer Fleck im sonst allgegenwärtigen Dunkel. Bleich zitternde Fackelleuchtbälle verschwanden, zuckten und sprühten, verloschen endgültig. Ausgang erreicht.
Aber Freude empfand er darüber keine. Als ginge er gesondert nebenher, beobachtete abgeteilter Geist, wie seine Hand fast niedergebrannten Fackelrest in einen Sandhaufen steckte. Viele finstere Stangen staken bereits darin. Gemessen am Niederbrand, verflossen wahrscheinlich zwei Stunden, seit Gesellschaft dunkler Alben in den Hain entführte. Schwach wusste er noch, auch sparsam brennende Fackeln reichten nur selten längere Zeit, je nach Machart. Kein Laut. Nacheinander verließ jeder deckendes Grenzheckengesträuch. Gestalten verschwanden im weitläufigen Parkgarten des Hauses an der Ronnburg.
Alle Stockwerke zumeist verdunkelt. Nur aus drei Fenstern dieser Hausseite drang weniges trübes Licht, warf jedoch keinen Schein auf Gras und Sträucher. Auch die Hoflampe schaltete niemand an. Sie könnte sonst schaurig anmutende Gästeschar fremden Blicken aussetzen. Begreiflich unerwünscht.