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Abermal, Kapitel 23, Seite 07

flackert


Aber dafür fehlte ihm Geld. Man würde ihn auch sicher irgendwann aufgreifen und hierher zurückbringen. Jedem Polizisten steche er früher oder später ins geübte Auge, lungere er allein in fremder Umgebung. Für mehr als vierzehn oder fünfzehn hielte man ihn sicher nicht, was sogleich amtliches Misstrauen hervorriefe. Günter Meinrad sagte ganz richtig, dreizehn Jahre sei ein blödes Alter. Dabei würde er erst in einigen Wochen dreizehn. Und seine Mutter setze ohnehin Himmel und Hölle in Bewegung, verschwände er plötzlich mir nichts dir nichts. Sie ließe sogar in Vulkanen und im südamerikanischen Urwald am Amazonas nach ihm forschen. Es gab schließlich keinen ersichtlichen Grund für Flucht aus elterlicher Wohnung. Mit seiner Mutter hatte er eigentlich keine Schwierigkeiten. In Wahrheit woanders: Bei den Alben, dem Dieb des Glanzes und Räuber der Farben!

Währenddessen äugte Erfried ständig misstrauisch in alle Richtung. Auf keinen Fall wollte er einem Alp begegnen. Genauso wenig, dem Glanzdieb. Den konnte er jetzt nicht gebrauchen. Doch, wie das Leben oft schrecklich spielt, musste er schon in seinen geringen Jahren feststellen, geschehen unerwünschte und am meisten gefürchtete Dinge ausgerechnet dann, wenn man sie ganz weit weg glaubt.

Glücklicherweise drohte nichts. Gerade bog der klapprige kleine Bus auf den schmalen Bahnhofsvorplatz, musste warten, anderen Fahrzeugen Vorfahrt lassen. Hinter verschmiert schmuddeligen Scheiben zeigten Gesichter ruckartige Bewegungen, klein und undeutlich. Münder spieen ungehörte Worte. - Einfahrt frei! Der Fahrer gab Gas. Schmutzig schwarze Auspuffwolke. Das viel genutzte Gefährt fuhr an, wurde größer, rumpelte ungeduldig erwartet näher.

Laut ratternder Dieselmotor. Die einzige Ausstiegstür schwang auf, knallte gegen ohnehin längst verbeultes Außenblech. Nacheinander entstiegen vier Männer, schwatzten mit dem Fahrer launig einige Worte, dann fuhr der kleine Bus aufröhrend davon. Schmutzig stinkende Abgaswolken dröhnten zur Ausfahrtstraße. - Wo ist Gerd? Nicht dabei?

Vier liefen unterschiedlichen Zielen entgegen. Erfried blickte enttäuscht hinterher. Er wollte so gern seinen viel älteren Freund Gerd Wesseling treffen, mal wieder mit einem verständnisvollen Erwachsenen reden, der einen seines Alters nicht als dummen Bengel behandelte. Bei ihm erhielte er zumindest brauchbaren Rat oder freundlichen Trost. Derzeit bitter benötigt.

Kann man nichts machen. Wahrscheinlich nahm Gerd heute einen Tag frei. - Ob der womöglich schon in Urlaub fuhr? Davon sagte er letzte Woche nichts! Vielleicht vergaß er es bei seinem eiligen Drang zum Vereinshaus und zum Training? Trotzdem, nicht sehr wahrscheinlich! Gerds Kinder gingen zur Schule, weshalb er Urlaub in deren Ferien verlegen musste und auch wollte. Sommerferien begannen erst nach Mitte Juli. Noch gehörige Zeit bis dahin.

Achselzuckend ging er betrübt weg, verhielt aber nach einigen Schritten, machte kehrt, eilte zu einem Arbeitskollegen Gerds. Als einziger stand er noch beim Bahnhof und suchte irgendetwas in seiner Arbeitstasche. Die anderen, auf und davon, längst zwischen umhereilenden Leuten untergetaucht. Der Mann bemerkte ihn gar nicht, als er neben ihm stehen blieb, schaute angestrengt in die lederne Tasche, fand offenbar Gesuchtes.

"Guten Tag! Entschuldigen sie bitte, ist Gerd Wesseling heute noch arbeiten?" sprach er den etwas grobschlächtig aussehenden Bauarbeiter an.

Leicht unwillig blickte dieser auf, ließ seine Arbeitstasche sinken, klappte deren breite Lasche über, klemmte verwetztes Teil ruckend schneller Bewegung unverschlossen unter linken Arm, sah Erfried scharf an. Frage im Blick, weshalb jemand ohne viel Umschweife von ihm Auskunft wolle. Dann erschien merkwürdig anderer Ausdruck. Der Bauarbeiter schüttelte den Kopf. "Nein, Junge, Gerd Wesseling ist nicht..." Er brach plötzlich ab. "Weißt du's denn nicht?"

"Nein, was denn?"

"Hast du keine Zeitung gelesen?"

"Entschuldigen sie bitte! Ich weiß nicht, was sie meinen?" Erfried verwirrten dessen Fragen.

"Mensch, Junge, das tut mir irgendwie ja unheimlich leid. Du bist sicher einer seiner vielen jungen Sportsfreunde, wie?"

Erfried schaute den Mann nur aufmerksam an, sagte nichts. Besser das, statt diesen Menschen überflüssig anlügen. Irgendetwas musste passiert sein. Und zwar etwas, das selbst in der hiesigen kleinen Tageszeitung Niederschlag fand. Beunruhigendes Gefühl drängelte plötzlich.

"Was ist denn mit dem Gerd? Ist er etwa ins Krankenhaus gekommen, verunglückt?"

Der selbstbewusst, fast grobschlächtig scheinende Mann druckste herum. Unglückliches Gesicht wollte nicht zu ihm passen. "Junge, unser Gerd Wesseling ist tot!"



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