Rasch folgte Erfried in anschließenden kleineren Flur. Flackernde Kerze als dürftige Beleuchtung. Gleichfalls etliche Türen. Erfried zählte nicht nach, erkannte auch keine weiteren Einzelheiten. Hier mussten Wirtschaftsräume liegen. Ingomar ließ leicht knarrende Tür rechterhand weit aufschwingen.
"Dies ist das Bad. Das ist das Klo, wenn's mal sein muss." Er deutete auf schmale Tür daneben.
Im Bad gaben zwei Kerzen Notlicht her. Durch Milchglasfenster fiel jetzt noch weniger Helle als wahrscheinlich sonst. - Bad? Ausgesprochener Baderaum! Zwar reichlich alte Einrichtung, dafür aber ersichtlich gut in Schuss und vom besten. Dies kostete einst viel Geld.
In alten Fachwerkhäusern der kleinen Stadt fand man selten richtige Badezimmer. Schon gar nicht dieser Größe. Zuhause in der Bachgasse wurde vor einem Jahr endlich winzige Duschkabine samt Strom fressendem Durchlauferhitzer eingebaut. Vom Vermieter gleich zu ordentlicher Mieterhöhung genutzt. Ganz und gar von Rechts wegen.
Neid stieg kurz hoch, schwand etwas. Beide Waschbecken wiesen keine Mischhähne auf, wie bei ihnen jetzt, sondern die früher üblichen getrennten Hähne für kaltes und warmes Wasser. Aber edel wirkende Porzellangriffe, keine quietschenden Drehkreuze. Über beide Waschbecken hinweg dehnte Spiegelfläche. Darunter verschiedene chromblitzende Ablagen und Halterungen für Zahnputzgläser, Bürsten und anderes Reinlichkeitszeug.
"Warmes Wasser haben wir jetzt nicht", erklärte Ingomar entschuldigend. "In der warmen Jahreszeit stellen wir das Heizgas nur an, wenn wir duschen oder baden wollen. Aber es ist jetzt ja auch wirklich nicht kalt. Oder frierst du?"
"Nein. Zuhause wasche ich mir die Hände ja auch nur im Winter mit warmem Wasser."
"Na, Junge, wasch' dir aber auch ein bisschen das Gesicht ab." Ingomar überreichte mit aufmunterndem Lächeln frisches Handtuch und wies zur Seifenschale aus Porzellan. Rosige Stückchen Gästeseife lauerten darin zu Opfer, verbreiteten nasenfälligen Ruch, wie es Gästeseife in gut geführten Haushaltungen pflegte.
Ingomar zog seine Weste aus, den sommerlichen Rollkragenpulli und schließlich die dunkle Hose, warf sämtliches geübt schwungvoll über weiter ab liegenden Rand großer emaillierter Badewanne. Gut und gern drei Leute fänden darin gleichzeitig Platz. Etwas unordentlich lag auf einem Hocker schon andere Kleidung bereit. Viel getragen ausgewaschene Jeans und einfaches, einfarbig dunkelgrünes Hemd.
Erfried wusch derweil sein Gesicht sparsam mit Seife, weil das Zeug sehr oft ganz schnell zwischen Lider geriet, schöpfte beidhändig vielfach ausgiebigen Wasserschwall. Trotzdem drang Seifenschaum ins Auge. Es brannte widerwärtig. Blind tastete er triefend und tropfend nach dem Handtuch - zuckte wie von Stromschlag getroffen zurück.
Bloße Haut berührt! Walkendes Spiel darunter ließ keinen Zweifel. Und die Haut schien heiß, viel zu heiß, glühend heiß. Kann fremde Haut Hände verbrennen, verkohlen lassen?
"Huaah! Mann, hast du kalte Finger! Lieber Himmel, die sind ja eisig!" meldete Ingomar. "Hier ist dein Handtuch, das hast du doch gesucht." Er drückte dem erschrockenen und blind herumtastenden Jungen das gesuchte Teil in die Hand.
Nachdem Erfried scheußliches Brennen beseitigte und hinter Handtuch hervor in den Spiegel sah, stand er gleichsam eingefroren. Eindringliches sprang auf ihn zu. Abrupt hielt er den Atem an, holte erst ganze Weile später abermals Luft, trocknete fahrig restliche Nässe, änderte langsam seine Stehrichtung. - Was konnte derart anrennen? - Keine Erklärung! Er verstand es einfach nicht. Fremder absonderlicher Traum, woraus er gleich wieder erwachen müsste. Doch er wachte nicht auf. Siedendheiße Gewissheit.
Bis auf dunkelblaue anliegende Unterhose entkleidet, rieb Ingomar in katzengleich geschmeidigen Bewegungen raues Handtuch über seine Haut. Rötungsspuren blieben kurz, verschwanden wieder. Eigentlich machte er gar nichts besonderes, verfuhr nur, wie anscheinend immer bei solchen Tätigkeiten. Doch das in einer Weise, wie ausschließlich er oder jemand seiner Eigenart es konnte. So es jemand dieser Weise überhaupt noch gab.
Erfried wusste nicht, was ablief, konnte nichts einordnen. Unbeschreibliches Durcheinander im Kopf. Bisher lösten nur ausgereifte Frauen ähnlichen Ansturm aus, überwältigten derart. Ganz normal! Auch Alterskameraden oder ältere betrachtete er schon bewundernd, auch erwachsene Männer, Sportler, gab unbefangen seinem fast noch kindhaften Wissensdurst nach, wagte in neidischer Schwärmerei verschlingende Blicke. Aber niemals mit so beängstigender Verwirrung. - Und jetzt?
Gewiss, so etwas gab es, selbst schon vergleichbar erlebt, gelenkt von schrankenloser Neugier, vom fesselnden Reiz des Neuen, des Unbekannten. - Zauber des Abenteuers! - Dies hier kam ganz anderes an. Vollkommen anders. Ein Zwang! - Hässlich nagte der Wurm des Zweifels in Eingeweiden, schmerzte.
Trotzdem konnte er seinen Blick nicht lösen, stellte fast nüchtern Eindrücke fest. Gerade so, als sei er es nicht selbst, sondern jemand völlig fremdes, den er beobachtete, begierig und tugendsam angewidert belauschte. Dabei besaß Ingomar keineswegs unirdische Schönheit. Schon gar nicht, glich er einem jener unecht glatten Filmstars, bei denen dieser Bann nicht entfernt aufkam. Nur die eine oder andere heiße Filmschauspielerin brachte zum Schwärmen. Doch das berührte nie so stark. Stars ließen ihn meist reichlich kalt, männliche sowieso.