Vielleicht geraubt? Womöglich ihre Fähigkeit für geforderten Ton gar abhanden? Könnte nicht sein, die Finsterung erfasse mittlerweile auch Töne, verschluckte sie einfach, drückte sie ungehört fort?
Erfried lauschte angestrengt. In seinen Ohren rauschte es und Geräusche kamen nur gefiltert an. Alles klang ungenau. Er schluckte, hielt dabei die Nase zu, presste einmal kräftig Luft hinein. Vernehmliches Knacken im Innenohr. - Aber das Ergebnis blieb dasselbe. Zur Finsterung gesellte Geräuschschwäche, Dumpfheit. Er schauderte. Was geschah in dieser kleinen Stadt nur?
Herumlaufender Leute Gesichter machten gleichfalls graueren Eindruck, entgegen aller Gesichter am Morgen noch. Und diese erschienen schon grau genug im frühen Tag. Dabei strahlte Sonne hell vom Himmel, zeichnete scharfe Schatten aufs Pflaster, ließ winzige Glassplitter in Pflastersteinritzen glitzern.
Wie lange er da stand, konnte er einmal mehr nicht sagen. Selbst der Zeitlauf schien verlangsamt, als seien Sekunden oder gar Minuten irgendwie daraus entfernt. Verschwunden und aufgesogen vom schmutzigen Mangel. Währenddessen quietschte und quäkte der verstimmte Leierkasten unbeirrt, verstummte bei gewissem Ton, setzte danach aber weiterhin dudelnde Laute frei.
Erfried wagte einen Schritt vorwärts, ging bis zur Höhe des lang schon aufgegebenen Ladens mit den verklebten Schaufenstern. Misstrauisch und ängstlich musterte er das Tor, wohinter tödliche Gefahr, der Räuber der Farben wohnte. Beide Flügel geschlossen. Große alte Werbetafel aus dickem Blech außen. HOREX stand in fetten Buchstaben darauf, umrahmt von angedeutetem Ritterschild. Was Horex sein sollte, wusste er nicht. Vermutlich eine alte Fahrzeugmarke, welche es schon längst nicht mehr gab. Trotz des Ritterschildes um den Schriftzug, machte jene emaillierte Blechwerbung ausgesprochen technischen Eindruck.
Schweres Schweigen wähnte er im finsteren Durchgang und im verkommenen Hof dahinter. Dämmerung nagte von dort ihre Bahnen in kleine Welt des Platzes. Aber die erstaunlich vielen Leute ermutigten hinlänglich. Nahe des drohenden Eingangs mit dem Blechschild wagte er vorbei, begleitet vom Quäken und Jaulen des Leierkastens. Erfried blieb in gehörigem Abstand stehen, besah vom Wetter gezeichnete hölzerne Torflügel und das Emailleschild daran. Hoch aufgeschossener Bursche kam soeben aus einer nahen Haustür, trabte näher. Er mochte vielleicht siebzehn sein. - Ob der hier wohnt? Dann müsste er vor Ort auch Bescheid wissen.
Erfried sprach ihn an: "Tag auch!" Blick zur geschlossenen Einfahrt: "Entschuldige, aber ist das hier eine Autowerkstatt?"
Verwundert sah der Bursche ihn an und dann zum alten Tor. "Das muss ma' eine gewesen sein oder so was in der Art. Horex is 'ne uralte Motorradmarke, das weiß ich. Aber da drin is schon lange nix mehr. Da wohnt auch keiner. Nur ab und zu schleicht da einer durch die Gegend, guckt wohl ma' nach'm Rechten. Aber sonst steht da alles leer." Er schüttelte den Kopf. "Nö, 'ne Autowerkstatt is das ganz sicher keine mehr, wenn da überhaupt ma' eine war. Wieso? Willste dein Tretauto reparieren lassen?" Er lachte laut. "Na, nix für Ungut, Kleiner!"
Der Bursche stapfte weiter, lachte noch einmal rau, als habe er eben einen besonders zündenden Witz gemacht. Trotz flapsiger Entschuldigung, hinterließ er Erfried einigermaßen beleidigt.
Mein Tretauto reparieren lassen... pffff! - Doofer Macker! Der soll erst mal richtig sprechen lernen!
Verärgert ging Erfried los, bog in nächstgelegene Gasse, von welcher er glaubte, sie führe in Nähe des Rathauses zur kleineren Ladenstraße. Dort lag auch gleich der Eingang zur Stadtbücherei.
Lichtarm streckte buckelige Gassenlänge schmal und bedrängt, weshalb vorherrschendes helles Sonnenlicht weitgehend außen blieb. Höckerige Pflastersteine bedeckten eingegrenzten Boden. Gesonderte Gehsteige gab es nicht, fänden auch keinen Platz. Genau mitten tiefte Rinne, worin Regenwasser ablaufen sollte. Doch hier versickerte es sicherlich zwischen großen Abständen teilweise aufgeworfener Buckelsteine. Man musste aufpassen, wohin man trat, wollte man nicht umknicken oder stolpern. Feucht stumpfer Geruch dünstete vom Boden.
Allein in enger Strecke. Unentrinnbare Schlucht geschichteter Steine, fast fensterlos langgezogen. Schritte hallten an grauen Mauern. Verstimmtes Gedudel des Leierkastens verfolgte. Misstönend quietschte dessen fehlerhaft bedrohliche Weise. Ausschnitthaftes Treiben der Geschäftsstraße vorn. Schemengleich huschten Leute am leuchtenden Ende. Niemand blieb stehen oder kam entgegen. Wie verheißendes Tor blendete Helle, ließ die Gasse dunkler erscheinen als sie tatsächlich sein mochte. Entfernte Automotoren brummten.
Unversehens wurde es dämmrig. Forschend blickte er zum Himmel. - Keine Wolke in Sicht und die Sonne beschien weiterhin den einen oder anderen Giebel. Wie unter Zwang sah er nach hinten... Kalt überlief es.
Magere Gestalt stand unübersehbar im rückwärtig matten Licht, versperrte die Gasse. Ränder des Blickfelds verschwammen. - Eindeutig Umrisse des Farbenräubers!