Er nickte nur und begann. - Unablässig strömten Worte, hüllten ein und entführten in andere Welt, zugleich in lang verflossene Kindheit und Jugend. Was er sagte, schien zuerst völlig unglaubhaft. Die Geschichte klang abenteuerlich und abseitig. Ich bekam Schwierigkeiten mit seinem Wunsch: Keine Zwischenfragen stellen! An die Wahrhaftigkeit des Erzählten glaubte ich erst, nachdem er unzweideutig Dinge benannte, von denen nur ich und besagter Schulfreund wissen konnten. Niemand sonst bekam jene Unternehmungen und Worte damals mit.
Er erzählte so, als habe er jeweiligen Personen über die Schulter geschaut oder sogar deren Gedanken gelesen, wenigstens teilweise. Da es hierbei unter anderem auch um mich ging und ich mich im Gesamtverlauf wieder deutlich erinnerte, schwanden fortschreitend alle Zweifel an Richtigkeit erwähnter Abläufe. Er kannte erstaunlicherweise Tatsachen, von denen er einfach nichts wissen konnte. Auch in bezug auf mich irrte er nicht. Ich habe ein gutes Gedächtnis, das bei entsprechenden Anreizen rasch alles hervorholt. Letztlich überzeugt: Dies ist wahr!
Irgendwann im Verlauf folgender Stunden schlief ich im Sessel ein, schreckte hoch, sah verwirrt herum. - Niemand da! Verschlafener Blick zur Uhr. Fünf Uhr früh vorbei! Gesamte Nacht im Sessel und die Kassette abgelaufen. Kurzes Rückspulen ergab unausgesetzt erzählende Stimme, anscheinend bis zum Bandende aufgenommen.
Erstaunlich! Dann müsste er erst kurz vor meinem Erwachen gegangen sein? Ebenso erstaunliche Klanggüte. Als sei seine Stimme mit anderer schwach gegeneinander versetzt unterlegt. Wahrscheinlich Eigenart des Hochleistungsmikrofons, selbsttätiger Aussteuerung oder Widerhall von Dachschrägen hier oben, vermutete ich. Auf dem Tisch ein Zettel mit schwungvoller Handschrift: "Bis kommenden Abend um sieben Uhr!" Nicht zu deutendes Zeichen darunter, wohl verkürzter Namenszug.
Über diese Merkwürdigkeiten mochte ich nicht länger nachdenken, zog mich aus und ging endlich richtig Schlafen. - Fast Mittag, als ich aufwachte. Danach ungeduldig dem Abend entgegengefiebert, vollkommen unfähig für anderes. Meine Eltern und übrige Hausbewohner erlebten in mir schweigsamen Besucher. Auf Fragen verhielt ich mich fahrig, beantwortete sie entweder gar nicht oder falsch. Gesprächsversuche scheiterten an meiner Einsilbigkeit. Aber man ließ mich in Ruhe, sah mich wie einen Fiebernden an. Vielleicht war ich das auch. Lediglich meine Mutter fragte irgendwann besorgt, ob mir etwas fehle. Ich schüttelte nur den Kopf.
An beiden folgenden Abenden, den Nächten und Tagen darauf, genau gleicher Ablauf, wie ein Wiederholungsfilm. Öffnete ich um sieben Uhr abends die Haustür, stand dieser seltsame Mensch davor. Wir gingen hinauf, setzten uns, tranken Tee oder etwas Wein, knabberten Gebäck, während er sprach und erzählte und in Staunen versetzte. Zweifel räumten dessen genaue Kenntnisse fort. Er kannte heimliche Wünsche und Gedanken von mir und diesem Freund ferner Zeiten. Auf mittlerweile unheimliche Art klar: Das ist richtig! Kein Grund mehr, übrig Erzähltes auch nur teilweise anzuzweifeln, so ausgefallen es auch klingen mochte. Hernach erwachte ich jedes mal im Sessel gegen fünf Uhr früh und fand neuerliche, zuletzt dritte Bandkassette auf zehn Stunden voll besprochen. Und er sprach zügig, blieb dabei jedoch stets gut verständlich.
Am folgenden Mittag endlich aus dem Bett gekrochen, schien fesselnder Bann gewichen. Und dann fiel mir ein, ich kannte den Wohnort meines Besuchers nicht, vergaß völlig, danach zu fragen. Unten in der großen Küche traf ich später meinen Bruder. "Sag mal, kanntest du meinen Besuch, den Herrn Arfrath, und weißt du, wo der wohnt?"
Erstaunt sah er mich an. "Besuch? Herr wer? Wovon sprichst du?"
"Na, von dem jüngeren Herrn, der mich in den letzten drei Tagen besuchte."
"Du hattest keinen Besuch!"
"Na höre mal! Du musst das doch wenigstens am Rande mitbekommen haben, wenn ich den jedes Mal um sieben Uhr abends an der Haustür abholte."
"Ich weiß nur, dass du dich die letzten Tage wie ein Fieberkranker benahmst. Du bist abends zur Haustür gegangen, hast sie aufgemacht und wieder zu. Dann bist du irgendwas vor dich hinmurmelnd nach oben in dein Appartement verschwunden, wo danach die ganze Nacht das Licht brannte. So war's auch die vergangene. Und wie heute, bist du an allen vorherigen Tagen erst um die Mittagszeit wieder aufgetaucht."
"Aber..." Ich verstummte, schluckte Widerworte herunter. War ich vielleicht doch unbemerktem Fieber anheim gefallen?
Mein Bruder sah mich forschend an, klopfte mir kurz auf die Schulter und meinte: "Jetzt scheinst du ja wieder gesund."
Völlig verunsichert suchte ich meine Räume unter dem Dach auf, steckte mit zitternden Fingern alle Bandkassetten nacheinander ins Gerät und hörte an beliebigen Stellen hinein. - Überall dieselbe erzählende Stimme des Fremden. Also musste er doch hier gewesen sein! Langsam zweifelte ich am eigenen Verstand. Doch andererseits, wenn alles auf Band ist? - Nein! Ich habe mich nicht getäuscht! Der Besucher war hier gewesen!