Vom Haus schimmerte aus vielen Fenstern Licht und die Hoflampe strahlte grell bis hierher. Gedämpft schwangen vielfältige Stimmen heraus, Musik wehte in zerbrochenen Tönen leise nach. Aber er selbst stand im nächtlichen Schatten. Niemand konnte ihn sehen. Kein Aufstand, kein Hallo, kein Alarm, kein Geschrei, keine Unruhe. Und auch sonst blieb alles gleich. Niemand stürmte aus der Tür oder anderswo in den Parkgarten, keine Lichter flammten auf, durchstachen die Nacht, blendeten nach dem Flüchtling.
Wegen verräterisch hellem Lampenschein über der Haustür wollte er durch nächste Gebüsche schlüpfen. Er versuchte es an mehreren Stellen. Aussichtslos! Gehölz drängte zähen Widerstand entgegen, raschelte und knackte hörbar. Dicht und verschlungen. Keine Wahl, außer wendig durch Lichtstrahlen huschen und hinter folgendem Strauchwerk verschwinden, erneut sein Glück versuchen. Wildes Herzbummern! Vorsichtig sicherte er vom Buschzeilenrand zum Hauseingang, streckte winziges Stück den Kopf vor - atmete erleichtert auf. Niemand hörte ihn im kratzigen Astfilz kämpfen. Schon setzte er zum raschen Sprung um nächstes Dickicht an...
Flinker Schatten schoss seitlich heran. Erfried schrak heftig zusammen. Bevor er wild flüchten konnte, erreichte ihn der Schemen, wuchs drohend hoch. "Wau! Wau! Wuff!"
Schwungvoll angesprungen und umgeworfen. - Frecke! Dieser verdammte Bernhardiner! Den vergaß er ganz. Nass flatschte breite Zunge über sein Gesicht. Das ihn liebende Hundewesen stand freudig schwanzwedelnd da und ließ nicht ab. Durch Freckes Überraschungsansprung taumelte er mitten im Licht zu Boden.
"Frecke, lass' mich gehen!" bat er unterdrückter Stimme inständig. "Hörst du nicht, Frecke? Du musst mich in Ruhe lassen! Ich muss hier weg, ganz schnell!" Aber Frecke begriff nicht, weshalb sein Menschenfreund ihn loswerden wollte, hielt es offenbar für lustiges Spiel. "Aus, Frecke, aus!" Doch auch das nutzte nichts, entlockte der treuen Tierseele nur noch mehr triefig feuchte Liebesbeweise. Erfried rappelte mühsam hoch, verwehrte dem riesigen und schweren Hund weiteres Zudringen...
Langer Schatten fiel in den Garten, traf ihn. Jede Bewegung geriet zum Kampf gegen zähe Massen, erlahmte. Und er brauchte auch nicht sehen, wer Schatten warf: Gundram! - Erfried fühlte fremden Willen, wandte langsam seinen Kopf zum Hauseingang. Aus freien Stücken? Bedeutungslos für Marionette an Fäden. Auf der Türschwelle stand im vollen Hoflampenlicht der Alp, sah starr herüber, Beine im Stand voreinander gekreuzt. Schranke! Erfried brachte eigenständig keinen Fuß voran. Aus! Gescheitert!
Vernebelte Gedanken verfluchten den Bernhardiner, dessen unschuldige Freundlichkeit alles verriet, auslieferte. Frecke verschwand zwischen Hecken und Sträuchern, tauchte in dunkle Parkgartenweite. Womöglich vorgetäuschte Anhänglichkeit und tierische Liebe? - Erfried schloss nichts mehr aus, von Ingomar offenbar seit Anbeginn an der Nase herumgeführt und betrogen. Ingomars Freundlichkeit und Freundschaft schien nur geheuchelt. Geschickt wickelte er ihn für den wahrscheinlich echten Herrn der Ronnburg ein: Lang aufgeschossener Alptraum Gundram!
Aber ich bin ja auch selbst schuld, stellte er traurig nüchtern fest. Ich musste diesem einnehmend erscheinenden Alpbruder ja unbedingt nachlaufen, freute mich noch in meiner Dummheit über dessen Zuwendung und viele schöne Worte.
Gelassen schlenderte Gundram heran, blieb vor ihm stehen, überragte lang gewachsen, lächelte wenig wonnevoll herunter. "Was machst du denn hier draußen in den Büschen?"
"Ich muss mal pinkeln", log er ungeschickt. Rest schwindenden Eigenwillens. Vergebens wollte er wenigstens gekonnt dumm antworten, wie: Ich suche Feuerholz! oder: Ich liebe Büsche bei Nacht! Aber nichts als diese platte Ausrede brachte er zustande. Dann versiegte auch das in nebligem Irgendwo. Gundram den Alp um Gnade anflehen, verbot letzter Stolz. Nützt sowieso nichts! Daran bestand für ihn kein Zweifel.
Gundrams Gesicht verzerrte. "Pinkeln? Dazu musst du doch nicht durchs Gebüsch brechen wie ein Panzer!" Er lachte leise verächtlich. "Das macht man so!" Er öffnete rasch die Hose und holte ohne Scham sein Teil heraus, zeigte es Erfried. "Was ist? Ich dachte, du wolltest pissen?"
Widerstrebend tat Erfried ihm gleich, stellte verwaschen fest, bei Gundram sei wirklich alles etwas lang geraten. Auch an dieser Stelle. Nicht nur für Vierzehnjährigen beachtlich, was zudringend herausragte. Dabei nicht einmal schmal. Umfangreicher, als kühn vermutet. Schräg nebeneinander standen sie vor einem Strauch. Im entfernten Hoflicht glitzernd aufleuchtende Strahlen spritzten hinein, plätscherten an Zweigen zu Boden. Absichtlich kreuzte Gundram seinen flitzenden Blinkstrahl plötzlich in Erfrieds.