Beim Abschied wusste er, wie falsch er den unscheinbar wirkenden Jungen vorher einschätzte, fühlte echte Verbundenheit. Innerhalb kurzer Zeit wurden sie sogar so etwas wie gute Freunde. Er gab ihm die Hand und stieg vorsichtig enge Treppe abwärts, wollte Bernds Mutter Auf Wiedersehen sagen.
Sie werkelte gerade wieder im Wohnzimmer herum, sah ihn lächelnd an. "Das ist ja schön, dass es dir so schnell wieder gut ging. Ich machte mir schon Sorgen, dir könnte ernsthaft was fehlen."
"Es ist alles vorbei und in Ordnung, Frau Kaiser. Es ist wohl so, wie sie sagten, dass es am Wachstum liegt. Meine Mutter sagte auch mal so was in der Art. Ich muss jetzt aber so langsam los, Frau Kaiser. Vielen Dank für alles!"
"Du kannst gerne wiederkommen, Erfried. Ich glaube doch, du und Bernd versteht euch gut. So fröhlich, wie heute, habe ich den schon lange nicht mehr erlebt."
Wundert mich überhaupt nicht, dachte Erfried, verschwieg wohlweislich seine Ansicht. "Ich fand es bei ihnen hier auch sehr nett, Frau Kaiser. Und Bernd ist ein wirklich netter Kamerad. Ich komme ihn bestimmt wieder besuchen."
"Grüße auch deine Eltern von uns allen. Die sind beide gleichfalls eingeladen, uns einmal näher kennen zu lernen", lächelte Frau Kaiser rotbäckig.
"Ich habe nur noch meine Mutter. Mein Vater ist vor zwei Jahren gestorben."
"Ach, das tut mir aber leid, mein Junge! Darum ist deine Mutter umso herzlicher eingeladen. Ich glaube, sie würde sich auch in der Bethlehem-Gemeinde sehr wohl fühlen. Richte ihr also bitte unbedingt aus, sie solle uns besuchen."
"Ich werde meiner Mutter von meinem Besuch viel erzählen und ihre lieben Grüße ausrichten", versicherte Erfried schlitzohrig. "Auf Wiedersehen, Frau Kaiser!"
"Auf Wiedersehen, lieber Junge!"
Mama hierher lotsen? - Ich werde mich hüten! Das werde ich ganz bestimmt nicht tun! Das stand für Erfried völlig außer Frage. Seit sein Vater starb, zeigte seine Mutter immer wieder eigentümlich kirchliche Anwandlungen, weshalb er schließlich in der Kirchenjugendgruppe landete. Einmal die Woche ging sie zu einem Bibel- und Gebetskreis der Kirchengemeinde. Danach wallte in ihr stets beunruhigender Drang, Mahlzeiten auf jeden Fall mit nicht ganz kurzem Gebet einzuleiten und beenden, sowie ein Morgen- und ein Abendgebet veranstalten. Erfreulicher Weise verging unrühmlicher Anfall immer bis zum Abend folgenden Tages. Alles wieder ganz normal und Gundeleits eine glückliche Familie. Ihren Betabend besuchte sie Freitags, weshalb dann der Sonnabend zum familiären Frömmigkeitsausbruch missriet. Aber am Sonnabend gab es sowieso immer nur Eintopf. Freitags allerdings, stets Fisch...
Ob das am Fisch liegen konnte? Ist das Zeug irgendwie giftig? - Es roch auch meist so streng hinterher. Hartnäckig blieb der Fischgeruch haften, bis man fürchtete, das Haus müsse ausgeräuchert werden. Und christliche Seiten empfahlen solcherlei Speise allseits wärmstens. Gab es da vielleicht eine Weltverschwörung zur schleichenden Vergiftung und Umnachtung der Menschheit? Macht Eintopf einfältig und Fisch denkfaul? Aber er liebte doch Grüne-Bohnen-Eintopf, sauren Hering in Gelee und Bückling.
Erfried verfolgte begierig den Erdkundeunterricht. Er wusste daher, nur am Fisch allein konnte es nicht liegen, weil beispielsweise die Japaner hauptsächlich Fisch aßen. Und im Verlauf vergangener Jahrhunderte erwiesen jene wuselig gelben Fleißwesen bewundernswürdige Widerstandskräfte gegen allerhand Beschwatz aus staubigen Gefilden Vorderasiens.
Als erste Jesuiten gewohnt schlechten Benimms seelenfangend bei ihnen einfielen, verboten sie denen kurzerhand herumzureisen und das Land unsicher machen. Heimgesucht von Taifunen, Erdbeben, Springfluten und Vulkanausbrüchen, genügten den Japanern eigene Naturkatastrophen völlig. Da konnte man solchen Seelen räubernden Liederlingen und deren Scheiterhaufen getrost entraten. Wie man Scheiterhaufen schichtet, wusste man auf den Inseln der aufgehenden Sonne längst besser. Nachdem es aber nichts fruchtete, die Jesuiten weiterhin ungehobelte Manieren an den Tag legten, sperrten sie diese einfach ein und warfen sie schließlich aus dem Land.
Aber auch Mohammedaner riefen in Japan ungemein wenig Gegenliebe hervor. Nutzlose Pilgereien zu abgegriffenem Meteortrümmer im arabischen Mekka? - Wozu? Trümmer gab es auf ihren vielen Inseln reichlich. Japaner fanden dagegen den Bischof von Rom etwas weniger umständlich, trotz dessen spitzer Mütze und angenagelter Leiche in der Hand.
Auch atomare Hölle von Hiroschima und Nagasaki änderte daran nichts, ließ höchstens siedend heiß begreifen, man verfahre in vorwiegend protestantischen Landen auch nicht gerade zimperlich. Allerdings schien ihnen christlicher Atombombenangriff geringeres Graus, denn misstönende Muezzine vom Minarett. Es galt schließlich alte Kultur zu verteidigen, weshalb man lieber abendländische Tüfteltechnik bestaunte, hurtig übernahm und fabelhaft ausfeilte.