Wie viele Ohren hörten das Gespräch? - Zu viele! Swantraut sprach laut genug. Erfried brauchte jetzt nicht mehr übermäßig schleichen, stieg gewohnt Treppen hinab, sicherte aber weiterhin ängstlich ins Rund. Möglichst keinem in die Arme laufen. Man muss es ja nicht darauf anlegen. Jetzt stand er bereits vor der breiten Balustrade über dem großen Eingangsraum, hörte Stimmen und Lachen unten. Weitgehender Überblick. Dort mussten Türen anderer Räume offen stehen. Wahrscheinlich zum großen Wohnzimmer und zur Küche, vielleicht auch zum Speisezimmer. Er käme also kaum unbemerkt vorbei.
Glücklicherweise erschien bei Tag das Haus der Perchtens nicht so verschachtelt verworren und unübersichtlich, wie letzte Nacht. Anscheinend traten verwirrendste Ecken, Winkel und Treppen nur ins Blickfeld, wenn geeignete Stunde für freie Zugänge in jenseitige Räume gekommen. Hoffentlich!
Im rückwärtigen langgezogenen Gang hörte er plötzlich Geräusche. Er fuhr herum, lugte vorsichtig um eine Ecke und sah zwei Gestalten auf den Flur hinaustreten, eine Tür schließen und näher kommen. Wie der Wind witschte er in türlosen Eingang rechts der Empore, lichtloser Rachen hinter ihm. - Sie durften ihn nicht sehen!
Mit angehaltenem Atem wartete er im Rahmen verborgen. Herzklopfen! Füße tappten über einige knarrende Dielen, Schritte drängten dumpf näher. Zwei Gestalten kamen auf die Balustrade. Ein Mann und eine Frau. Sie stiegen sofort hinunter, sprachen fremde Worte und Sätze, welche er schon gestern abend hörte. Nicht Englisch, nicht Französisch. Dann erkannte er, wer da gerade hinunterstieg, fast schon unten angekommen.
Die bretonische Freundin des Hauses, welche man gleich einem Geburtstagskind hochleben ließ. Wie hieß sie? - Nolwenn! Und der Mann, jener fremdländisch ausschauende Kerl, der am Ausgang Pferdezähne zeigte. Dort sprach gesamte versammelte kleine Gruppe in dieser Sprache.
Was könnte es sein, wenn nicht Französisch oder Englisch oder sonstig bekanntes? Nach slawischer Zunge klang es überhaupt nicht. Finnisch oder andere baltische Sprache? Ungarisch? Wäre möglich. - Augenblick! Diese Nolwenn ist doch aus Frankreich, aus der Bretagne. Bretonisch! Ja, das wird es sein!
Erfrieds Vater erzählte vor langen Jahren von seiner Zeit als Besatzungssoldat in Frankreich. Unter anderem auch in der Bretagne. Jedenfalls versicherte Papa Gundeleit, die Leute redeten dort miteinander nicht französisch, sondern ihre eigene Sprache: Bretonisch! Und Bretonisch habe mit Französisch fast nichts gemein. Ursprüngliche Keltensprache und vollkommen eigenständig, wie auch das Walisisch im britannischen Wales. - Darum sah dieser Mann so fremdländisch aus, dabei aber eigentlich nicht wie ein Südländer. Wohl richtiger Kelte alter Herkunft. Kalat!
Unten angekommen verschwanden beide. Vernehmliches Hallo klang auf. Sie mussten in einen der offenen Räume gegangen sein.
Was mach' ich jetzt? Da unten durch den Eingangsraum komme ich nicht ungesehen zur Haustür. Obendrein ist sie wegen des Unwetters zu. Ich müsste also erst aufmachen. Bliebe kaum unbemerkt, selbst wenn mich niemand zuerst beachtet. Was ist das hier eigentlich für ein Durchlass?
Erfried spähte in lichtlos gähnende Dunkelheit nach hinten. Langsam ans Dunkel gewöhnt, zeigten ihm seine Augen einige schwummerige Umrisse. Offenbar ein Gang, drängend eng und eigenartig hoch. Allerdings erkannte er dessen Decke oben nicht zuverlässig.
Wohin führt er wohl? - Jedenfalls in Gegenrichtung, in den hinteren Teil des Hauses. Ich werde mich da mal umschauen, vielleicht finde ich einen Ausgang und komme ungesehen hier raus.
Vorsichtig tappte er voran, konnte schon viel mehr im fast lichtlosen Schlauch sehen. Wenige niedrige Türen. Fern am Ende ließ kleines Fenster spärliche Tageshelle hereinschweben, jetzt vom unwetterverfinsterten Himmel zusätzlich gemindert. Beinah fiel er, sah gerade noch rechtzeitig die schmal niederführende Treppe, hielt am kalten metallenen Geländer knapp sein Gleichgewicht. Angestrengt äugte er abwärts.
Nicht viel heller, wie er enttäuscht sah. Aber es blieb nichts anderes übrig, er musste hässliche Treppe in andere Düsternis hinab. Im ersten Stock fände er sicherlich keinen Ausgang nach draußen. Und hinter eine der geduckten Türen im Gang hier oben wagte er keinen Blick. Wer weiß, was dort scheußlich wartet? Also los! - Er stieg mutig über dunkel liegende Stufen abwärts, erkannte beim kleinen Fenster ähnliche Stiege. Sie führte nach oben, zeigte wenig deutliche Umrisse. Fahles Licht.
Überrascht stand er unten im sattsam bekannten hinteren, niedrigeren Flur des Perchtenhauses, zwei bis drei Schritte neben der Hintertür. Die einige Meter entfernte Tür zum Badezimmer stand weit offen. Licht brannte darin und ein Wasserhahn plätscherte. - Da ist jemand drin! Nichts wie weg hier!
Zwei lange Schritte reichten zur Hintertür. Hoffentlich ist sie jetzt nicht verschlossen! betete er inständig. Gundram verriegelte sie vergangene Nacht sorgfältig, wusste er noch. Er drückte die Klinke. - Das verdammte Ding gab nicht nach! Füße scharrten über Badezimmerboden, plätschernder Wasserhahn verstummte. Gleich käme dieses Wesen heraus und sähe ihn, schlägt Krach oder stürzt sofort auf ihn los! - Wohin kann ich jetzt ganz schnell verschwinden?