Breite Schwelle. Hoch ragte Türrahmen selbst über Ingomar hinweg. Kein Laut drang heraus. Nur in Bäumen zwitscherten zaghaft wenige Vögel, wisperte leichter Wind in Blättern. Im späten Licht sinkender Sonne leuchteten dämmrig und neblig einige Elfenbrücken zwischen Bäumen und Gebüschen. Stäube und Dunsttröpfchen tanzten verwunschenen Reigen. Beklommen betrat Erfried den großen Vorraum, blieb sonderbar angerührt darin stehen.
Hier erlebte er Schrecken, bis dahin nicht gekannt. Nicht in dieser Weise. Aus Erinnerung stiegen deutliche Bilder hoch, als stünden wieder ängstigende, unheimliche fremde Gäste an der Garderobe oder anderswo, als warte Gundram der Alp abermals und sperre ihn in zwingende Gedanken. Auch das Gesicht der Germania auf riesigem Gemälde sprach davon. Allerdings sah sie jetzt ganz normal aus, soweit man dies von solchem Bildnis überhaupt sagen kann. Keine Miene verzog ihre gepinselten Züge. - Lächelte sie vor Tagen nicht zufrieden böse?
Ingomar stellte Erfrieds Schultasche auf die große Truhe darunter, sah aufmerksam seinen Gast an. "Mulmiges Gefühl, was? Kann ich verstehen, mein Lieber. Du brauchst aber wirklich keine Bedenken haben. Du bist in Sicherheit! Stell doch deinen Rucksack erst mal hier mit ab. Wir müssen noch meinen Eltern Bescheid sagen. Und dann wollen wir doch noch ein Zimmer für dich aussuchen. Ich nehme ja an, du willst bestimmt lieber ein eigenes Zimmer haben und nicht bei Gundram einziehen."
Erfried nickte zustimmend, wagte kein Wort, stellte zaudernd den Rucksack neben seine Schultasche, schaute herum. Ohne Kopfbewegung, nur mit Augen. Ungutes Gefühl. Doch entsetzlich unheimlich kam es ihm jetzt gar nicht mehr vor. Auch Ingomar strahlte nichts irgendwie Bedrohliches aus. Aber dann schrak Erfried heftig zusammen. Schattenwurf am Balustradengeländer oben: Gundram! Sofort wieder im Dämmerlicht des Hintergrundes verschwunden. Geräuschlos.
Ingomar bemerkte ihn. "Gundram!"
"Was ist denn?" Zögerlich fragend aus entfernt unsichtbarem Mund.
"Wir haben miteinander zu reden!"
Gundrams Umrisse erschienen. "Oh, guten Tag, Erfried! Das ist wirklich sehr schön, dass du wieder bei uns zu Besuch bist. Ich freue mich sehr, dich zu sehen. - Hallo, Ingomar! Was gibt es denn?"
"Das weißt du ganz genau, du Bursche!"
"Meinst du? Hat es nicht bis nachher noch Zeit? Ich wollte gerade..."
"Nein, hat es nicht! Komm bitte runter zu uns!"
"Kann ich nicht erst..."
"Sofort!"
"Na schön." Gestalt gewordenes schlechtes Gewissen auf zwei Beinen stieg breite hölzerne Treppe herab. Gundram quietschte absichtlich mit dem an einer Stelle leicht lockeren Geländer. Den Kopf etwas geduckt, streckte er Erfried zaghaft und unsicher lächelnd seine Rechte hin. "Ich freue mich wirklich sehr, dich zu sehen! Ich glaube aber, dass ich dir nachher was erzählen muss..."
Erfried wusste kein richtiges Verhalten in diesem Augenblick, stand wie eingemauert, sah seinen vormaligen Peiniger starr an und rührte keinen Finger. Gundrams hingestreckte Hand sank langsam.
"Du wirst nicht nachher was erzählen, sondern gleich was erklären, Bruderherz!" forderte Ingomar scharf. "Was hast du dir eigentlich bei deiner Veranstaltung mit Erf gedacht, hm?"
"Ich hab's doch nicht böse gemeint", entschuldigte Gundram, wand dabei sichtlich unwohl hin und her.
"Wen interessiert das? Am wenigsten unseren Freund Erf!" grollte Ingomar.
"Jetzt stauchst du mich auch zusammen", jammerte Gundram.
"Wieso, ich auch?"
"Weil Mutter und Vater mich schon in der Mache hatten und auch Swantraut, diese Furie."
"Weshalb? Wegen Erf und dem Mist, den du gebaut hast?" Gundram nickte. "Versuche bloß nicht, dich bei mir rauszureden", drohte Ingomar. "Woher wissen die denn das alle?"
"Swantraut hat's geahnt und heute schließlich rausgefunden. Du kennst sie doch und ihre eindringliche Art und Weise. Der kann man doch auf Dauer nichts verheimlichen. Und dann hat sie mir sogar eine Kopfnuss verpasst und mich regelrecht zusammengeschissen. Mann, hat die getobt."
"Ich fang' auch gleich an zu toben, wenn du dich nicht augenblicklich bei Erf entschuldigst!" schnauzte Ingomar.
"Wie soll ich denn das machen, wenn du mich die ganze Zeit anschreist? Ich würde doch so gerne mit ihm reden, wenn er es auch will." Bittend und hilflos sah er Erfried an, der weiterhin versteinert dastand. "Bitte, Erf, ich weiß, dass es blöd von mir war. Wollen wir miteinander reden?"