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Abermal, Kapitel 24, Seite 04

flackert


Nachdenklich schaute Erfried hinterher. Aber dann besetzte wieder jugendliche Unbekümmertheit ihren gebührenden Platz. Alte Leute sind manchmal doch recht wunderlich, hörte er schon oft reden. Aber diese Großmutter... Ist sie denn Großmutter, hat sie Enkel? - Wenigstens eine angenehme Begegnung! Ohne weitere Gedanken darauf verwand, verließ er den Schatten betonierten Wartehäuschens in hellen Sonnenschein, wanderte abschüssig verlaufende Straße entlang.

Ringsum etwas bergigere Landschaft als gewohnt. Das kleine Dorf, eigentlich nur ein Weiler, lag weithin sichtbar auf der Hochfläche, verschwand aber bei zunehmendem Abstand hinter Bäumen. Nach langgezogener Biegung sah er auch letztes Haus nicht mehr. Inzwischen Wald bis zum Straßenrand. Bestimmt über einen Kilometer bewältigt.

Bisher fuhren nur wenige Autos vorbei. Sehr spärlicher Verkehr um diese Zeit. Niemand kam jetzt von der Arbeit nach Hause. Spät gewordener Nachmittag. Fernes Landmaschinentuckern. Wahrscheinlich ein Trecker irgendwo auf einem Feld- oder Waldweg. Ärger über ausgebliebenen Postbus verflog längst. Jetzt ohnehin, wo er im Nachmittagslicht durch fast verwunschen scheinende Umgebung wanderte. Beständig leicht bergab. Aus Nadelgehölz zwitscherten Vogelstimmen. Herbsüß harziger Duft wehte warm. Weiteren Kilometer, dann stiege das Straßenband wieder an.

Unten im weit geschwungenen Tal lag eine alte Ölmühle. Allerdings fehlte wohl schon seit weit über hundert Jahren das Mühlrad. Hölzerner Kasten erinnerte morsch an einst geschäftige Dinge. Zwar wohnten hier Leute, doch ganz sicher keine Müller. Vier beschauliche Gebäude an brausendem Sturzbach. Entsprungen aus großflächigem Stauweiher, floss dessen Wasser danach gemächlich durch schmalen Sumpfstreifen.

Schon oft lief er diese Strecke. Früher natürlich mit seiner Mutter oder seinem Vater, als dieser noch lebte. Aber seit er elf Jahre alt, strolchte er oft genug allein herum, kannte die Gegend sehr gut, wusste um Winkel und geheime Lichtungen. Verborgene Orte in umliegenden Wäldern, anscheinend selbst Einheimischen kaum bekannt, jedenfalls nicht beachtet. Nie traf er andere. Dort ganz allein mit sich und der Umgebung, hörte er Bäume flüstern, Büsche und Gräser wispern. Geheimnisvolle Wesen wanderten durch grüne Dunkelheit zwischen deckenden Gewächsen. Er sprach mit ihnen. Und sie antworteten. - Elfen!

Bald käme er in die Talsohle. Sein Blick erfasste weitab stehende Hauswände. Fachwerk schwarz gestrichener Balken, weiß getünchte Mauerflächen. Die alte Mühle! Links wich der Forst zurück, machte welligen Rübenäckern Platz. Rechterhand blieben Tannen, standen aber in etlichen Metern Abstand. Spitzwipflig nadeliger Baumbestand überzog ausgesprochen beachtliche Anhöhen aufwärts. Voraus kreuzte Waldweg ein, führte hernach zwischen nicht sonderlich weitläufigen Äckern fort. Feldweg.

Ginge er etwa fünfzig Meter in den Waldweg und dann an offenbar nur ihm bekannter Stelle ins Unterholz, käme er zu einer kleinen Lichtung inmitten halb hoher Laubbäume. Alles eingerahmt von dicken Brombeerranken und anderen Gebüschen, was dem Ort märchenhaft verzauberte Abgeschiedenheit bescherte. Richtiger magischer Schutzort voller Blüten und weichem Gras- und Moosboden. Wundervoll zum Faulenzen und in die Luft gucken. Um diese Tageszeit sogar noch von Sonnenstrahlen gefüllt.

Erfried blieb stehen und überlegte, ob er den Postbus sausen lassen solle und lieber auf Elfenlichtung lümmeln... Warum nicht? Bis zur kleinen Stadt gerade mal noch drei Kilometer Forstpfad nachher. Keine mühselige Strecke für ihn. Er verspürte jetzt ohnehin keine Lust auf langweilige Gassen, alte Mauern und muffig riechende Häuser.

Kurz entschlossen bog er ab, erreichte nur ihm bekannten Zugang, zwängte vorsichtig zwischen Dornengesträuch und anderen kratzenden Sperrästen durch. Zwanzig bis dreißig Meter gewundener Wildwechsel. Nachdem er auf seine Zauberlichtung kam, erschrak er gewaltig. Jemand hier! - Riesenhafte Überraschung: Gerd Wesseling!

Offenbar kannte Gerd diese verwunschene Stelle ebenfalls, lag vorher wohl nackt in der Sonne, hörte wen durchs Gebüsch kommen und zog windeseilig wenigstens die Unterhose wieder an. Schief hing sie ihm über Hüften. Gerd Wesseling blickte ungläubig erstaunt, dann entspannten seine Gesichtszüge. Hell aufscheinendes Lächeln verscheuchte anfängliche Beklommenheit.

"Du?!" Mehr brachte keiner vorerst heraus. Sie sahen einander entgeistert ins Gesicht. Dann lachten beide.

"Dass ausgerechnet du hier auftauchst, hätte ich wirklich am allerwenigsten erwartet." Gerd Wesseling wirkte sehr erleichtert.

"Dich zu treffen, habe ich genauso wenig gedacht", bestätigte Erfried.

"Bist du zufällig hier reingeraten oder kanntest du das hier schon? Ich hab' hier noch nie jemand anderen kommen hören oder gesehen. Nur Rehe und Igel."



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