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Abermal, Kapitel 06, Seite 03

flackert


"Es tut mir wirklich leid für dich, Erfried. Wer das gewesen sein könnte, weiß ich nicht. Deine kleine Schwester sicher nicht. Du weißt, dass sie die Tür noch gar nicht aufkriegt. Dazu ist sie zu klein, lange noch nicht kräftig genug. Außerdem haben nur wir den Schlüssel zum Boden hier." Nach kopfschüttelndem Blick in die Runde fiel ihr Augenmerk auf kleine Dachluke, zur Belüftung leicht geöffnet. "Vielleicht ist ein Vogel... Nein! So ein Chaos kann kein Vogel anrichten der durch diesen Lukenspalt passt. - Ein Marder, Erfried! Es muss der Marder gewesen sein, der hier in der Nachbarschaft schon seit Tagen sein Unwesen treibt."

"Hier gibt's einen Marder?"

"Ja! Frau Wohltmann von nebenan sagte mir das gestern. Der treibt sich hier seit einiger Zeit herum und hat schon so manchen Keller und Dachboden und sogar Wohnungen heimgesucht."

"Kann den denn keiner totmachen?"

"Ach, Junge, wo denkst du hin? So ein Marder kommt durch schmalste Schlupflöcher und kann sich fast überall bestens verstecken."

"Dann muss man den eben suchen!" beharrte Erfried angesichts vernichteter, heiß geliebter Schmökerhefte.

"So ein Marder ist auch nützlich", belehrte seine Mutter. "Zuhause in Westpreußen haben wir die in Ruhe gelassen, weil sie Ratten jagen."

"Hier sind doch genug Katzen in der Gegend", maulte Erfried traurig.

"Man merkt, dass du nicht auf einem Hof aufwachsen durftest, sondern hier in dieser Kleinstadt, Sohn. Hauskatzen jagen keine Ratten oder nur sehr selten. Wildkatzen, die ganz ähnlich aussehen, tun das. Hauskatzen so gut wie nie. Und Wildkatzen gibt es kaum noch."

"Ich weiß, Mama. Die würden auch nicht in Dörfer und schon gar nicht in Städte kommen."

"Siehst du! Aber Marder, Wiesel oder Frettchen tun das und jagen dann die Ratten. Hier gibt es nun mal Ratten, wegen der Fleischerei drüben. Das zieht diese unschönen Biester magisch an."

"Ach, Mama... meine schönen Schmöker... und dieses alles hier..." Erfried schluchzte kurz trocken, verbiss aber weitere feinsaitige Anwandlungen. Er wollte vor seiner Mutter jetzt nicht mehr als greinendes Kind erscheinen.

Eleonore Gundeleit wusste erst nicht recht, was sie nun machen sollte. Nahm sie den Jungen tröstend in mütterliche Arme, konnte es ihm in seinem Alter womöglich nicht recht sein. Nicht in dieser Art. Völlig fehl am Platze: Gar nichts tun! Noch lange kein Erwachsener, lebte das einstige Kind weiterhin im Untergrund des fast dreizehnjährigen Jungen. Also wählte sie mittleren Weg, nahm ihn kameradschaftlich am Arm und meinte begütigend: "Tut mir ja wirklich sehr leid, Erfried! Ändern können wir den angerichteten Schaden leider nicht mehr. Aber wir können zusammen das gröbste Durcheinander gleich mal beseitigen. Vielleicht findest du noch das eine oder andere heile Heft. Hilfst du mir bitte?"

Offenbar traf sie genau richtigen Ton. Erfried nickte nur und hievte als erster die umgeworfenen Regale wieder hoch. Gemeinsam räumten sie auf. Tatsächlich fand er noch überraschend viele heile oder weitgehend unbeschädigte Schmökerhefte. Restliches konnte er abschreiben.

Am meisten tat es ihm um seine Sigurdsammlung leid. Sie musste ordentlich Federn lassen. Ob der Marder den ritterlichen Helden Sigurd hasste? Warum nicht genauso Tom Prox oder Billy Jenkins? Denen passierte nicht so viel. Aber die lagen vorher ganz unten und obenauf Sigurd und Falk.

Nachdem das Schlimmste beseitigt, sorgfältig alle Dachluken geschlossen, nahm Erfried teilweise zerfledderte Reste mit in sein Zimmer und sichtete den Schaden. - Geringer als befürchtet! stellte er fest, leidlich versöhnt mit harschem Schicksal. Ein großer Stapel türmte geordnet auf dem kleinen Tisch.

Gerade besah er vollbrachtes Werk, als Reinhild fragend durch Türspalt schaute. "Mama hat gesagt, was passiert ist. Ist es sehr schlimm?" Langsam kam sie näher. "Das tut mir ja so leid für dich, Erfried. Dieser blöde Marder!"

Gerührt vom ehrlichen Kindermitgefühl: "Es geht gerade noch, Reinhild. Tut mir übrigens leid, dass ich dich beim Abendessen so angeschnauzt habe. Freunde?"

"Klar doch! Mama sagte, dass du jetzt gar kein Kind mehr bist und langsam erwachsen wirst. Und das sei ganz komisch für dich, weil du dich erst daran gewöhnen musst."

"Das wird dir auch so gehen, Reinhild. In zwei Jahren ungefähr schon. Bei Mädchen geht das ein bisschen früher los, als bei Jungs."

"Das werde ich nicht machen, wenn man sich davon so komisch fühlt", sagte sie entschlossen.

"Das geht ganz von allein. Das kann keiner verhindern."

"Mama auch nicht?"

"Nein. Außerdem wird sie das auch gar nicht wollen. Da kannst du sie ruhig nach fragen. Sie war doch auch mal ein Kind und wurde erwachsen und schließlich unsere Mutter. Das ist so. Danach wurde sie nicht gefragt, weil man einfach erwachsen werden muss, wenn man größer wird."

"Bist du dann nicht mehr unser Erfried? Du sprichst auch schon ganz, ganz lange so tief, gar nicht mehr wie früher. An Weihnachten vor zwei Jahren war das noch nicht. Das weiß ich noch ganz genau." Fast ängstlich sah sie ihren älteren Bruder an.

"Doch, bestimmt! Ich werde dann eben ein junger Mann sein oder so... erwachsen eben oder so..."

"Erwachsene sind aber oft so doof! Ich will nicht so doof erwachsen sein!"

"Wenn du dir ganz fest vornimmst, nicht doof erwachsen zu sein, dann wirst du zwar sicher erwachsen, Reinhild, aber nicht doof erwachsen."

"Du bist schon so gescheit, Erfried." Bewundernd sah sie ihren fast vier Jahre älteren Bruder vertrauensvoll mit großen Augen an.

"Siehst du? Das wirst du dann auch sein."

"Na gut. Mal sehen, wie das ist. Ich geh' jetzt mit meinen Puppen spielen."

"Mach das, Schwesterchen!"

Unbekümmert kichernd witschte sie durch den Türspalt hinaus.



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