Seite vorher
Seite weiter
Kapitel vorher
Kapitel weiter
Kapitelliste

 

Abermal, Kapitel 24, Seite 01

flackert


Unverstehend und sprachlos starrte Erfried den Mann an. Aufgerissene Augen. Er atmete nicht. Kehle zugeschnürt. Selbst das Herz verhielt geschäftigen Lebensschlag. Weilen dehnten wie riesiges Gummiband, warfen Worte des Bauarbeiters als taubes Rauschen, Brummen und Dröhnen zurück.

Grollendes Echo: "... unser... Gerd... Wesseling... ist... tot... tot... tot... tot!"

Ringsum versank alles. Nichts im Ohr, außer brodelndem Gewese. Nichts nahm er in diesem Augenblick noch auf, sah menschliche Gestalten schattenhaft eilig springen. Irgendwo verschwanden sie, tauchten in milchige Undurchsichtigkeit des Hintergrunds. Waberndes Rauschen in Erfrieds Ohren verschluckte deren Stimmen. - Oder rauschte es außerhalb? - Er sah nur noch das Gesicht des Mannes. Bald füllte es gesamtes Blickfeld.

"Was ist... denn... passiert?" brachte er schließlich mühsam tonlos heraus. Gliedmaßen gelähmt, Zunge wollte nicht gehorchen, Mund nicht aufgehen, Lippen kein Wort formen. Zwingen musste er sie, nach Luft ringen, Atem in Lunge pumpen. Herzschlag setzte langsam aber hart pochend wieder ein.

"He, Junge, du bist ja ganz blass geworden! Ist dir schlecht? Ich bin aber auch ein Klotz, dir das so hinzuknallen. Tut mir leid! Komm, setz dich mal eben auf die Stufen dort, bevor du umfällst. Du bist ja weiß wie eine Wand." Er hielt Erfried am Arm, wollte ihn zum Eingang der Bahnhofshalle führen.

"Danke, es geht schon wieder. Ich falle nicht um", versicherte Erfried bemüht fester Stimme.

"Wirklich?" Besorgt sah ihn der äußerlich grobe Mann mittleren Alters an, bewies einmal mehr, wie oft bloßer Anschein trog.

"Ja danke! Das habe ich nur nicht erwartet..." Erfried verstummte.

"Kann ich mir jetzt denken, Junge. Aber du hast mich so überraschend angesprochen, dass ich ohne lange überlegen rausplatzte. Bei uns ist man es halt gewöhnt, die Sachen immer gleich beim Namen zu nennen."

"Was ist denn passiert?" fragte Erfried erstickt, erinnerte Thorsten Rulands lauthals verkündete Neuigkeit, man habe eine Männerleiche gefunden.

"Das wüssten wir alle auch gern. Gerds Frau hat ihn am Sonntag vermisst, ist dann am Abend zur Polizei gegangen, soviel ich weiß. Am Montag wunderten wir uns alle, wo der Gerd abbleibt, haben uns dann gedacht, dass er vielleicht mal einen blauen Montag macht. Aber das ist eigentlich nie seine Art gewesen. Der Gerd hat sich wenigstens immer abgemeldet und seine Kumpel und Kollegen nicht einfach hocken lassen. Na ja, dann haben sie ihn gestern bei Aufräumarbeiten im Gestrüpp der großen Grünanlage in der Nähe der Sportplätze gefunden. Tot! Am Samstagabend haben die Ringer noch in ihrem Vereinsheim mit ihm gefeiert, sich auch alle gewundert, wo er am Sonntag steckt. Sein Auto stand noch immer auf dem Parkplatz in der Nähe. Sie waren die letzten, die ihn lebend sahen. Danach muss es ihn wohl irgendwann erwischt haben. Jedenfalls ist er nicht gestern erst gestorben."

"Aber Gerd schien doch gar nicht krank? Und der war doch ein sportlicher Mann. Hat man ihn denn überfallen?"

"Das weiß anscheinend keiner. Er könnte einen Stromstoß irgendwo abbekommen haben, weil seine Augen schwarz geronnen sind."

Der Räuber der Farben, der Dieb des Glanzes! Er hat Gerd umgebracht! - Heftiger Schlag durchfuhr den Jungen, zersprengte Gedanken, raubte Atem. Gerade noch fing er aufkommenden Schwindelanfall ab, starrte sein Gegenüber fassungslos an.

Der fuhr fort: "Jedenfalls hat man das so erzählt. Das könnte aber auch eine neuartige grässliche Krankheit sein. Wo die doch beim Militär mit allem möglichen giftigen Zeugs rummachen und auch mit Bazillen und so was. Vielleicht ist davon was in die Gegend gekommen? Oder vielleicht eine Atomstrahlung?" Bedacht wiegte der Bauarbeiter den Kopf.

"Schwarze Augen? Ganz und gar schwarz und ohne sichtbare Pupillen darin?" Mühselig fand Erfried Worte.

"Ich hab' sie nicht gesehen. Aber so soll es angeblich sein. Irgendwie ist das richtig unheimlich. Woher kennst du denn so was? Weißt du, was das ist?"

"Nein, ich habe nur mal ganz nebenbei gehört, dass es so was geben könne. Aber was das ist, weiß ich nicht." Erfried klang niedergeschmettert, wusste jetzt zumindest sicher, der Dieb des Glanzes zeigte weiteres Mal seine Macht. Oder jene Frau aus dem hässlichen Bungalow, welche gleichfalls Farbenräuberin sein kann, sein muss. Weibliche Ausgabe finsternder Erscheinung. Zumindest lief sie gleichermaßen herum. Dieselben schwarz saugenden Augen des Glanzdiebs. - Der arme Gerd Wesseling!



Alle Rechte vorbehalten
Mannie Manie © 1999
Unentgeltliche Weitergabe erlaubt!

weiterblättern: nächste Seite