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Abermal, Kapitel 06, Seite 04

flackert


Noch lange lag er auf dem Bett und schmökerte, flog hinaus in seine halb kindliche Welt aus bunten Bildern auf billigem Papier. Hochherzige Helden in großartigen Burgen und gehässige Bösewichte in unheimlichen Burgen. Unweigerlich auf steilen Felsen wildromantischer Berglandschaft erbaut, samt Söller mit flatternder Fahne und Zugbrücke. Und jedes Mal selbstverständlich sehr tiefer Burggraben ringsherum. Bei den Bösen gab's natürlich stets ein schreckliches Verlies mit Folterkammer im Keller unten, während die Guten dort immer schmackhaften Wein und ehrlich erworbene Schätze oder spannende Geheimnisse verwahrten.

Nach weit über einer Stunde ging er ins Bett, las weiterhin in Bilderheften, ganzen Stapel auf einem Hocker daneben bereitgelegt. Abenteuer fesselten, welche in seiner Vorstellung immer noch stattfanden, obgleich er genau wusste, dies konnte nicht sein. Schon die Zeit, in der das alles spielte: Seit Jahrhunderten, bald einem Jahrtausend vorbei! Und ansonsten auch längst klar, wie unwahrscheinlich dies auch damals gewesen sein mag. Aber das störte in seinem Alter noch lange nicht. Warum sollte es, wenn drei oder viermal so alte oder noch ältere Erwachsene in albernen Heimatfilmen schluchzten?

In den Geschichten lief alles so einfach und klar: Die Bösen immer böse und die Guten stets gut! Hold hilflose Jungfrauen wurden alle Nase lang von edlen Rittern errettet. Heldenmütig errettet aus feisten Grabbelfingern hinterhältiger Vögte, übler Grafen oder gieriger dicker Äbte und anderer Drachen. Und am Schluss gab's immer ein tolles Turnier mit langen Lanzen, wonach der siegreiche Held das Taschentuch der geretteten Grafentochter an seine Lanze kriegte. Die Grafentöchter trugen unentwegt urkomisch anzusehende spitze Hüte mit Fahnen dran auf dem Kopf. Manch ritterliche Taschentuchsammlung musste gleichläufig ungeheuerlich angewachsen sein. Soviel Schnupfen gab's gar nicht.

An Wischtüchern litten Helden also keinen Mangel, mussten auch nie aufs Klo. Dabei tafelten alle zusammen immer sehr ausgiebig, wobei auch erstaunliche Mengen Flüssigkeit in sie reinlief. Und ihre Rosse ließen niemals Pferdeäpfel fallen, wie ordinäre Brauereigäule, obgleich mit viel Hafer gefüttert. Wo das wohl alles abblieb? - Ach ja: Die Geheimtüren nicht vergessen! Die sind das Schärfste an der ganzen Sache. Allenthalben vorhanden, nebst schauerlichen Geheimgängen mit viel Spinnweben, und immer eine Fackel drin. Und kein Terz mit dem Anzünden. Erfried hätte auch gern so eine Geheimtür.

Er ließ das Heft aufs Bett sinken, sah in eine dunkle Zimmerecke. Die Tür zu anderen Räumen der Wohnung stand absichtlich kleinen Spalt offen. Matter Lichtstrahl fiel auf den Fußboden. Reinhild lag sicher schon lange im Bett. Leise Radiomusik scholl herein. Klassische Musik. Seine Mutter mochte solche Klänge. Wie die meisten seines Alters, erübrigte er dafür nur Naserümpfen.

Hier erklang glücklicherweise sachte Kammermusik. Kammermusik fand er gerade noch erträglich, vielfach sogar sehr schön. Durchaus gefiel ihm reine alte Cembalomusik oder ebensolche Lautenstücke. Diese bombastischen Konzerte unsinnig riesiger Orchester mit lächerlich herumfuchtelnden Dirigenten verabscheute er von Herzen. Albernes Getue und viel Wind um nichts. Auch in der Schule mussten sie im Musikunterricht immer wieder mal solche Aufgeblasenheiten anhören. Überflüssiges Zeug.

Fortgetragen von Kammermusik wünschte er, knarrende Geheimtür schwinge auf, feuchter Geheimgang schwarz dahinter. Alles roh in Fels gehauen. Nur der Boden hinreichend geglättet und mit Plattensteinen ausgelegt. Dennoch bestand dringende Stolpergefahr in Finsternis.

Ich brauche eine Fackel! - Wo könnte hier eine Fackel sein?

Er ging noch einmal zurück und stand in hohem Raum. Offensichtlich Rittersaal einer Burg. Viele große, oben spitz zulaufende, bunte Butzenscheibenfenster. An unverputzten Wänden aus gewaltigen grauen Quadersteinen hingen ausladende Wandteppiche. Eingewirkte Turnierszenen darauf. Zwei blanke Ritterrüstungen warteten neben langgestreckter Tafel. Lange Bänke beigestellt, sowie Hochsitze für Burgherrn und Gemahlin am Kopfende. Rot glosten im gewaltigen Kamin dicke gestapelte Scheite, fast halbe Baumstämme. Flämmchen züngelten flink, spendeten dem Rittersaal leidliche Helle. Etliche Fackeln staken an bloßliegenden Mauerstellen in eisernen Ringen.

Rasch nahm er eine heraus und zündete sie im Kamin an. - Die Fackel rußte stark, roch im Brand durchdringend nach teerigem Harz. Aber ihr flackerndes Licht zeigte nun mehr und deutlichere Einzelheiten.



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Mannie Manie © 1999
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