"Er muss hier trotz allem Helfer gehabt haben. Wie sonst hätte man dem eine solche Gruft bauen können?" Werner Lübbers nickte nachdenklich. "Und die haben ihn hier auch bestattet. Also mindestens dazu müssen welche bereit gewesen sein, sollte die Gruft schon vorher bestanden haben."
"Und mindestens einen Helfer gibt's wieder", setzte Ingomar dazu.
"Das passt zu diesem Ungeheuer, sich ausgerechnet an einem Ort seiner Morde und Marterei begraben zu lassen!" Herwig Perchten stampfte zornig auf die Steinplatte. Hohl hallte es darunter wider, verklang dumpf irgendwo.
"Weil hier auch ein Tor im Fluchtort ist", meinte Werner Lübbers ruhig. "Darum sollten wir mal anfangen und es versiegeln", scholl nachgerade befehlend aus der Kutte.
Alle sahen den Vermummten erwartungsvoll, fast ehrfürchtig an. Erst jetzt wurde Erfried richtig klar, welche überragende Bedeutung diesem düsteren Wächter zukam.
Werner Lübbers - wie lautete dessen wahrer Name? - konnte offenbar bannen und lösen, wünschen und verwünschen. Und nicht nur einfach ein paar Hürden errichten, zum Ärger missvergnügter Jenseitsgeister. Ein echter Zauberer? - Auf keinen Fall Illusionist billiger Täuschung und Fingerfertigkeit. Er wollte ganz sicher stets weitestgehend im Hintergrund bleiben, wünschte keine allgemeine Bekanntheit. Aus ihm strahlte uralte Macht, die nur er richtig anwenden und leiten konnte.
Deshalb wirkte dieser sehnige, gar nicht übermäßig bejahrte Mann alt, düster und unheimlich. Obgleich, Angst flößte er trotzdem nicht ein. Ingomar fürchtete Werner Lübbers offensichtlich nicht im Mindesten, nannte ihn vorher flapsig sogar Blödmann. Und sehr viel älter als Ingomar konnte er nicht sein. Höchstens zehn Jahre. Dennoch verursachte er Scheu, erzeugte Gänsehaut, eisigen und zugleich heißen Schauder, sahen seine glitzernden Augen jemandem genau ins Gesicht. Und dann dessen rabenschwarze Kutte... Unter weiter Kapuze glühten geradezu heiß brennende Kohlen, deren hohe Hitze in blauen Brand mündete. Durchaus vorstellbar, dieser Blick wirke auf Feinde tödlich.
Werner Lübbers wies seine fünf Gefährten in genaue Kreisabstände, blieb als Radachse auf der schmutzigen Grabplatte. Sie schlossen den Ring, hielten einander an Händen, warteten reglos. Lichtkegel kleiner Stableuchten tanzten auf feucht glitzernden Quadern oben. Gleißendes Augenpaar im Kapuzeninnern verlosch hinter geschlossenen Lidern. Summender Grundton schwoll aus der Kutte, füllte das Gewölbe, wurde allerdings nicht lauter.
Unbewegt stand der Wächter, wie Gestalt gewordener Tod. Unscharfe Umrisse verschmolzen. Ringsherum zitterte stickige Luft, schlug feine Wellen. Langsam erschien aus einem weiten Ärmel jener Gegenstand, womit schon zuvor Hürden und Sperren errichtet. Eine Art Dolch, sogenannter Zungendolch. Erfried von Abbildungen in Büchern über bronzezeitliche Gegenstände bekannt. Golden blinkte dessen Klinge, vom Gewölbe matt zurückgeworfen. - Nachbildung oder echtes altes Stück? - Vermutlich keine Nachbildung.
Der Träger der schwarzen Kutte zeichnete knapp vor den Fußspitzen aller einen Kreis, dessen Nabe er selbst. Nicht wirklich berührte der Dolch schmutzige Steinplatten. Dennoch schloss glimmender Bogen zum richtigen Rund. Jetzt glitt blinkendes Werkzeug langsam über Kruzifix und Namen. Übliche angenagelte Leiche blasste, kaum noch sichtbar, nebst Buchstaben darunter.
Kein Kruzifix mehr! Dennoch richtiges Kreuz, wie man es allgemein kennt. Uraltes Zeichen, seit undenklicher Vergangenheit geläufig. Jede Mutter zeigt es ihren Kindern, wenn sie Arme ausbreitet, darin einschließen will. Jeder Mensch zeigt es, wenn sie oder er andere friedfertig begrüßt, ihnen gegenübertritt, einlädt und aufnimmt.
Der Träger der schwarzen Kutte vollendete das Siegel, zeichnete auf gleiche Weise fünfzackigen Stern, dessen Spitzen genau gleichmäßigen Abstands in fünf Fußpaare am Kreis wiesen. - Drudenfuß! Zeichen von Wiederkehr und Bann!
Beständig kräftiger summte Grundton, flackerte durch angespannte Leiber, strömte in Quader, Boden, Grabplatte, drang abwärts. Dann verschwand der Zungendolch. Mit dem langen Nagel des kleinen Fingers zog der Träger der schwarzen Kutte angedeutete Zeichnung rasch nach. Stetig heller leuchteten gedachte Furchen samt altem Kreuz. - Sperrsiegel!
Plötzliche Bewegung belebte alte Steine. - Atem? - Aus modrigem Untergrund stiegen winzige tanzende Funken, schwangen langsam hin und her. Ohne Ordnung. Wollten auch keiner gehorchen. Unvermittelt zu säulenartigem Wirbel vereint, zerflossen vor fünf Nasenspitzen und Augenpaaren. Genau vom Kreis begrenzt, verbargen sie den Träger der schwarzen Kutte, sprangen zur Gewölbedecke, summten durchdringenden Grundton. Fremder Gesang.
Urgewaltiges Krachen! Greller Lichtblitz blendete. Irrsinnige Kraft schleuderte von unten gegen Kreis, Siegel und Grabplatte, hob tonnenschweres Steinmetzwerk. Giftig grünliche Lichtstrahlen schossen aus Tiefen, stachen ins Gewölbe. Tobendes Brüllen zerriss Gedanken.
"Keine Angst! Ich bin bei dir!" Letzte Eindrücke. - Gundram?
"Keine Angst, ich bin bei dir! Keine Angst, ich helfe dir... helfe dir... helfe... dir... dir... di... d... ..."