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Abermal, Kapitel 16, Seite 07

flackert


"Nein, ist schon in Ordnung! Danke dir für das Angebot. Ich verschwinde jetzt von hier. Wenn mir erst mal frische Nachtluft und dann der kühle Fahrtwind um die Nase weht, dann bin ich sowieso wieder klar. Hier drin ist die Luft inzwischen auch zum Schneiden dick geworden. Wiedersehen, Gerd!"

Rudolf Welzer wartete keine Entgegnung ab, griff seine dicke Motorradlederjacke und floh regelrecht aus dem Gesellschaftsraum des Sportlerheims. Einige sahen ihm verwundert nach, als er eilig und grußlos durch die Schwingtür stürmte. Etliche Male schwang das Türblatt hin und her, pendelte letztlich aus, sperrte letzte Sichtritze nach draußen. Nachdenklich schaute Gerd Wesseling zum Ausgang.

Was war mit dem denn plötzlich los? Ob ich ihm nicht besser nachgehen sollte? - Lass' es! entschied er. Das ist Rudi womöglich gar nicht recht, sonst hätte er sich eben nicht so verhalten.

"Was war denn eben mit Rudi los?" Ein älterer Ringerkamerad kam herüber und sah Gerd fragend an. "Hast du dem Ärmsten ein unsittliches Angebot gemacht? Der hat ja richtig die Flucht ergriffen", grinste er breit.

"Was?" Gerd Wesseling schreckte aus Überlegungen hoch, bemerkte den anderen erst jetzt. "Unsittliches Angebot? Nein, leider nicht. Quatsch! Wegen so was würde der auch nicht flüchten wollen. Ich weiß nicht, was mit Rudi plötzlich los war. Ich hatte den Eindruck, dass ihm nicht gut ist, bot ihm an, ihn nach Hause zu fahren. Aber er wollte nicht und ist einfach losgestürmt."

"Seitdem sein Bruder tot aufgefunden wurde, ist er immer seltsamer geworden", meinte der andere nachdenklich.

"Wir sollten uns mal mehr um ihn kümmern. Immerhin ist er unser Sportsfreund und Kumpel. Und außerdem einer unserer besten Ringer im Mittelgewicht", meinte ein Nächststehender von anderer Seite her.

"Daran habe ich auch eben gedacht", bestätigte Gerd Wesseling. Dann schüttelte er trübe Gedanken um Rudolf Welzer fort, fragte Letzteren: "Wie ist es eigentlich, gehst du morgen auch auf die Matte?"

"Na klar! Die Jungs vom MSV1893 lass' ich mir doch nicht durch die Finger gehen. Mit denen macht es immer mächtig Bock, zu Ringen. Die sind gut und prima Kerle."

Lange noch redeten sie über morgiges Freundschaftsturnier, besprachen Einzelheiten der Organisation, klopften einander ob heute, eigentlich gestern, errungenen Pokalsieges weidlich auf Ringerschultern und hoben sogar noch kräftig einen. Zufällig sah Gerd zur großen Uhr hinter der Theke. - Fast halb zwei! Unbemerkt deutlich geleerter Saal.

"Ich werde mal auch jetzt los, Leute. Feiert nicht mehr so lange, damit ihr morgen nicht durchhängt. Bis Morgen dann!"

"Alles klar, Gerd! Gute Nacht!" johlten verbliebene Unentwegte gutgelaunt.

Gerd Wesseling trat in sternklare Nacht, atmete tief ein. Wirklich nicht gerade beste Luft mehr da drin, stellte er fest, blinzelte zur grellen Lampe hoch, schloss geblendet sofort die Augen.

"Grässliches Gerät!" brummte Gerd, sah angewidert gesamtes Glasrund längst voll verklebt von toten Fliegen, Nachtfaltern und anderem schwirrenden Viehzeug. Unermüdlich zuckten weitere durchs grelle Licht, tanzten um heiße Glühbirne übergroßen Ausmaßes, klackten dagegen. Das eine oder andere fliegende Nachtgetier ereilte dabei sein Schicksal, fiel mit letztem Flattern versengt herab, gesellte sterbend zu bereits am Boden und auf Türschwellen liegenden Kerbtierleichen. - Ist noch ein gutes Ende bis zum Parkplatz, überlegte Gerd unbegeistert, zuckte kurz die Schultern und schritt geschmeidig voran.

Vorbei am Dickicht halb verwilderter Anlage führte der Weg. Unter Sohlen knirschten Sand und Kies. Rückwärtig verblasste nach einer Biegung die Beleuchtung beim Vereinsheim hinter Bäumen. Durchbrochen schimmerte sie noch, spendete aber kein echtes Licht. Gut hundert Meter weiter bot andere Laterne spärliche Helle, blakte gelblich zwischen Blättern und Ästen herüber. Abgekühlte Nachtluft roch nach totem und frischem Strauchwerk und feuchtem Boden. Irgendwo dunstete Benzin.

Mitten der Strecke überkam Pinkeldrang. - Daran hätte ich auch im Vereinsheim denken können! Ärgerlich steuerte er zu abseits des Weges wachsenden Büschen. In fast völlige Dunkelheit. Gerds Blase drückte ordentlich und wollte unbedingt entleert werden. Schnell schaute er noch, ob nicht irgendwie störende Leute kämen. - Niemand! Und um diese Uhrzeit auch wenig wahrscheinlich. Außerdem sähe man ihn kaum in seiner sehr dunklen bis schwarzen Kleidung.

Aber sie könnten mich hören, grinste er, öffnete geübt den Hosenstall, holte erwartenden Schwengel heraus, ziepte dabei ein Schamhaar und fluchte leise. Kaum befreit und an frischer Luft, zischte umgehend heißer Strahl in dicht belaubten Busch, plätscherte an Ästen und Ästchen herunter zum Erdboden. Erleichterung! Er beugte nach hinten, sah zum Nachthimmel voll ungezählter Sterne. - Wie viele mögen gerade matt durch Dunkelheit flitzenden Pinkelstrahl von oben beobachten?



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Mannie Manie © 1999
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