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Abermal, Kapitel 01, Seite 08

flackert


Schlag sieben Haustür geöffnet, fuhr ich erschrocken zurück. Wie aus dem Schuhabtreter gewachsen stand dieser merkwürdige Lehrer undurchdringlicher Miene vor mir. Seine Augen stachen geradezu. "Schönen guten Abend!"

"Äh, ja, guten Abend", stotterte ich heraus, fing mich schnell wieder. "Das tut mir aber leid, wenn sie schon länger gewartet haben. Wie unhöflich von mir. Bitte um Entschuldigung!"

"Ich bitte sie! Gerade eben erst habe ich meinen Fuß vor diese Tür gesetzt."

"Dann ist es ja gut. Bitte, kommen sie doch herein! Wir müssen aber ganz nach oben. Die Treppen kann ich ihnen leider nicht ersparen."

"Das macht mir wirklich nichts aus", versicherte der Besucher.

Ich ging voraus, damit er auch den Weg ins Dachgeschoss fand, beim Aufstieg innerlich kopfschüttelnd über so viel Pünktlichkeit. Fast schon unnatürlich! Ich käme mit Sicherheit zehn Minuten später. Allein, um meinen Gastgebern Verlegenheiten zu ersparen, falls sie doch noch nicht ganz vorbereitet sein sollten. Außerdem stellte ich mich nicht unmittelbar vor die Tür, wo man unversehens in einen reinrennen konnte. - Na ja! Lehrer, Beamte! dachte ich nur und führte den Besucher in weitere Höhen meines Elternhauses. Oben sank er leichter und gleitender Weise in angebotenen Sessel. Supermodernes Ding, aber erstaunlich bequem.

"Was bevorzugen sie als Getränk?" Hoffentlich keine Milch! Kälbernahrung gibt's bei mir nicht.

"Machen sie keine besonderen Umstände. Ich nehme das, was sie auch nehmen."

"Einen Darjeelingtee, flowery orange-pekoe, high-tippy, dazu japanisches Reisgebäck und als Ergänzung einen hochfeinen Cognac, gut abgelagert?"

"Ganz, wie sie meinen", versicherte er, lächelte merkwürdig.

Kochendes Teewasser stand im Küchengelass bereit, weshalb mein Gast kaum über fünf Minuten warten brauchte. Samt Tablett voller Angebot kehrte ich zurück und goss snobistisch Tee in Porzellanschalen. Der Besucher verkostete dampfend heißes Getränk.

"Das ist wirklich eine ganz ausgezeichnete Teesorte", lobte er nachdrücklich.

Aber ich wurde eigenartiges Gefühl nicht los, er wolle nur nicht unhöflich erscheinen, entspreche deshalb meinen Bewirtungsmühen. Gespannt wartete ich ab. Draußen wurde es dunkel. Längst ging die Sonne unter. Ende September und schon merklich kurze Tage. Allerdings herrschte noch angenehm warmes Wetter. Altweibersommer aus dem Bilderbuch. Ich schaltete eine Stehlampe an.

Zurückgelehnt im Sessel, sah mich mein Gast mit seinem durchdringenden Blick an. "Ich hoffe, sie haben viel Zeit. Die Geschichte ist nicht gerade sehr kurz und schnell erzählt. Auch wird sie ihnen merkwürdig vorkommen. Ja sogar unglaubwürdig. Ich kann ihnen aber versichern, dass ich sie nicht zum besten halten will oder ihnen einen billigen Bären aufbinden möchte. Bitte halten sie sich mit Zwischenfragen zurück, weil dies den Fluss unterbricht. Die Antworten werden alle im Verlauf des Erzählten selbst gegeben. Wir werden uns an insgesamt drei Abenden zusammensetzen müssen, mit dem heutigen selbstredend. Ist es ihnen so recht?"

"Oh, so umfangreich? Aber mir macht das nichts aus. Die Frage ist da vielmehr, ob es ihnen so behagt, Verehrtester?" versicherte ich maßlos erstaunt über angekündigte Zeitlänge. Drei Abende! Ich rechnete eher mit ein bis zwei Stunden, alles Gespräch eingeschlossen. "Dürfte ich dann unsere Unterhaltung zugleich auf ein Langspielband aufnehmen?"

"Wenn es keine Lästigkeiten ergibt, bittesehr!"

"Keinesfalls! Das Gerät läuft volle zehn Stunden ohne Unterbrechung und macht fast kein Geräusch."

"Dann nützen sie das getrost aus", nickte er und lächelte fein.

Ich verband ein Hochleistungsmikrofon mit dem Videorekorder, legte die erste Fünfstundenkassette in Langspielschaltung ein und überprüfte alles. Dann saß ich wieder meinem Gast gegenüber. - Was kommt mir an dem bloß so bekannt vor? - Dabei konnte ich ihn gar nicht kennen. Nie sind wir einander zuvor über den Weg gelaufen. Er wäre mir aufgefallen. Auf eigentümliche Weise schien er... wie soll ich sagen...? Durchscheinend? Mir fällt kein besseres Wort ein. Dennoch balgte dummes Gefühl, ihm irgendwo oder irgendwann schon einmal begegnet zu sein.

Seine Stimme schnitt alles Überlegen ab. "Ich werde ein gutes Stück vor der Zeit anfangen, bevor auch sie im Bericht auftauchende Ereignisse erkennen. Allerdings haben sie darin keine ausgesprochene Hauptrolle."

"Das ist zwar ein wenig enttäuschend für mich," lächelte ich verstehend, "aber sie wollten mir ja auch von meinem Schulfreund und seinem Leben erzählen, nehme ich doch an. Und da müssen andere Dinge und Personen zuletzt eine Hauptrolle gespielt haben."



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