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Abermal, Kapitel 12, Seite 07

flackert


Das ist bestimmt keiner! dachte Erfried und beobachtete erstaunt, welch ausgiebigen Schluck die alte Gräfin Almuth von Dahlendorf, geborene Freifrau von Rischkau an den Tag legte. Wohl kaum zarter Port, sondern was erheblich härteres. Vermutlich teurer französischer Cognac. Die gute Gräfin tarnte es nur in Worten, glaubte sicherlich selbst weniger, ihre Besucher wüssten oder ahnten nicht, sie goss da keinen Port, sondern handfestere Schlucke hinter Binden. Keineswegs gerade mal am Glasboden befüllt, wie Cognacschwenker allgemein, sondern ursprünglich doppelt, schien gläsernes Trinkbehältnis erstaunlich unübersehbarer, als normale Kelche jenes Zwecks. Und vom vormaligen Inhalt blieb nach einigem gräflichen Nippen wenig, mittels Karaffe umgehend ausgeglichen.

Die Gräfin stellte ihr abermals tiefer gepegeltes Glas ab. "Mein Enkelsohn berichtete, es stehe nach Forschungsergebnissen über die Geschichte der Ronnburg der Sinn?"

"Ja, Frau Gräfin. Darüber hätte ich gern mehr erfahren."

"Ich werde leider eine Enttäuschung bereiten müssen. Hier sind wahrscheinlich keine solchen Abhandlungen. Nur in der Bibliothek auf dem Gut. Hier ist lediglich ein Teil der gesamten Sammlung untergebracht."

"Ach, das ist ja schade!" bedauerte Erfried dritten Fehlschlag des Tages.

"Ja, das tut mir auch wirklich sehr leid. Aber herbeizaubern können wir diese alten Bände im Augenblick leider nicht. Wurde das denn nicht im Unterricht hinreichend behandelt?"

Erfried erzählte, was er aus dem Schulunterricht über die Ronnburg wusste. Wirklich nicht viel, sah man von wenigen rein altertumswissenschaftlichen Erkenntnissen ab.

"Das ist doch schon eine ganze Menge", versetzte ihn die Gräfin in Staunen.

"Ich hätte aber gerne etwas über die Geschichte der Gegend dort erfahren und wozu die Ronnburg wirklich gedacht war. Nur als Fluchtburg für die alten Dörfer damals, scheint sie doch nicht groß genug. Es gibt ja noch eine zweite, wesentlich ausgedehntere Wallanlage weiter oben am Reichenberg. Und die Ronnburg ist doch Teil eines privaten Grundstücks. Das ist doch ungewöhnlich. Normalerweise gehören solche Sachen aus dem Altertum niemandem."

"Niemandem gehören sie nicht. Sie gehören dann der Allgemeinheit, weil sie Kulturdenkmale sind", bemerkte die Gräfin. "Und in der Bibliothek des Gymnasiums gibt es nichts darüber?"

"Ich gehe nicht aufs Gymnasium, Frau Gräfin."

"Wie bitte? Ein so aufgeweckter, gescheiter und wissbegieriger junger Mensch geht nicht zur Oberschule? Ich hoffe, das ist kein alberner Scherz."

"Keineswegs, Frau Gräfin. Das würde ich mir ihnen gegenüber nicht so plump erlauben." Erfried schilderte die Gründe, weshalb ihm höhere Schule verwehrt blieb, dass es nur an mangelnder geldlicher Ausstattung lag.

"Also, das darf so nicht stehen bleiben", meinte Gräfin Dahlendorf entschieden. "Da muss eine Lösung gefunden werden. Ich werde mich einmal umtun und bestimmt eine Lösung finden. Wenn es einzig an vergleichsweise geringen Finanzaufwendung liegt... Es wird sich ändern! Aber mich würde interessieren, was den Wissensdurst hinsichtlich der Ronnburg so sehr weckte?"

Erfried berichtete kurz. Keineswegs innerste Gedanken, schon gar nicht, jene Geschichte mit dem Bahnhof, wo alles anfing. Erst wirklich anfing.

"So, bei Familie Perchten im Hause zu Gast gewesen und den Herrn Ingomar kennen gelernt", sagte die alte Gräfin gedehnt.

"Sind sie mit den Herrschaften irgendwie bekannt, Frau Gräfin? Alle Leute bisher behaupten, die kenne niemand oder wollen sie aus irgendwelchen Gründen nicht kennen." Erfried sah seine Gastgeberin gespannt an.

"Mit dem Haus Perchten bekannt sein, wäre zuviel gesagt, entspräche auch nicht der Wahrheit. Selbstredend kenne ich diese Herrschaften, schließlich bin ich hier längst eine Einheimische geworden, lebe seit zweiundsechzig Jahren hier. Und ich stehe einem alten Geschlecht als Oberhaupt vor. Da muss man schon wissen, ob und welche Herrschaften hier wer sind."

"Und Perchtens sind wer?"

"Aber selbstverständlich!"

"Mir erzählten verschiedene Leute, die vom Haus Perchten seien sehr seltsam. Ich konnte aber gar nichts sonderlich Seltsames entdecken. Ingomar Perchten wirkte zwar nicht alltäglich und unterscheidet sich sicherlich von den Leuten in unserer kleinen Stadt allgemein. Aber seltsam? Nein, er war ziemlich normal. Ein sehr liebenswürdiger junger Herr. Auch, dass die Perchtens sich unbedingt abschotten, kann ich nicht finden. Schließlich lud mich Ingomar Perchten ein, seinen jüngeren Bruder kennen zu lernen, weil wir ungefähr im gleichen Alter seien."

Ruckartig sah Gräfin Dahlendorf hoch, fasste Erfried scharf ins Auge. Überraschung im Blick. Sie nahm sofort wieder vorherige Haltung an, bemerkte betont beiläufig: "Eine Einladung, so!"

"Würden sie mir bitte etwas über die Geschichte der Familie Perchten sagen, Frau Gräfin? Die sollen doch schon seit sehr, sehr langer Zeit hier ansässig sein. Da ist es doch seltsam, wenn andere Alteingesessene behaupten, sie wüssten nichts."



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