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Abermal, Kapitel 15, Seite 01

flackert


Fortgeschrittene Abendstille. Lediglich einige späte Vogelstimmen zwitscherten hin und wieder verschlafen durch offenes Fenster. Gedämpfte Geräusche von Autos und vermischte Gerüche. Fetzen irgendwoher klingender Radiostimmen und folgender Musik. Nur noch schwach leuchtete im ersten lauen Frühsommerabend gewesener Tag über Dächer. Matt schwindende Helle am Himmelsrand.

Unruhig schaute Eleonore Gundeleit wiederholt zur aufdringlich tickenden Uhr. Bereits zehn Uhr abends und Erfried immer noch nicht zurück! Draußen rückte Sommernacht über das Haus, eigentlich längst hereingebrochen. Auch die Kirchturmuhr schlug vom Marktplatz unüberhörbar die Stunde. Reinhild brachte sie vorhin zu Bett. Nun saß sie am kleinen Tisch in ihrer Küche, beschienen von tief hängender Schirmlampe darüber, las in einer Illustrierten irgendein dummes Zeug über irgendwelche albernen Königshäuser. Ärgerlicher Unsinn.

Was für ein grässlicher Quark! Was gehen unsereinen gekrönte und ungekrönte Häupter, aufgeblasene Filmstars und andere Wichtigtuer oder Geldsäcke dieser Welt an? Dafür kann schließlich keiner etwas kaufen, außer jene lästigen Leute und Macher geistfinsternden Käseblatts. Hirnloser Tratsch in Druckbuchstaben! Ungnädig warf sie buntes Zeitungsheft klatschend auf kunststoffüberzogene Tischplatte und lehnte zurück.

Wo steckt dieser Bengel nur? Sie bat ihn doch dringend, er solle gegen neun Uhr Zuhause sein. Natürlich kommt so ein Junge im Alter von fast dreizehn nicht pünktlich nach Haus. Ganz normal. Aber Erfried machte das eigentlich nicht, abends reichliche Stunde verspäten, sagte zumindest Bescheid, wenn er noch woanders hinging. Nicht, weil er abschreckend liebes Kind, was auch sie einigermaßen wesensfremd fände, sondern weil er es nicht verscherzen mag. Schließlich lehne sie ohnehin nicht ab, wollte er am Sonnabend noch bei einem Freund fernsehen, wird es danach nicht gerade Mitternacht. Das wäre nun doch unangebracht.

Nicht ausgeschlossen, bei sehr spannendem Film in der Flimmerkiste vergaß er es vielleicht.. - Dem werde ich aber die Meinung geigen!

Sie blickte zum Fenster hinaus. Endgültig dunkel draußen. Sorgenvoll sah sie erneut zur Uhr. - Schon zwanzig nach zehn! Erfried könnte etwas passiert sein, sonst käme er mittlerweile oder gäbe wenigstens Bescheid. Vielleicht fuhr ihn ein Auto an oder überfuhr ihn sogar. Bei den rücksichtslosen Autofahrern heutzutage weiß man nie. Dann liegt er womöglich ohne Bewusstsein im Krankenhaus.

Aufgeregt sprang sie auf. - Ich werde aber vorher bei Meinrads fragen. Wenn, dann hängt er doch meistens dort herum. Ausgerechnet in diesem schlampigen Haushalt! Rasch schaute sie noch nach Reinhild. Die Kleine schlief selig. Leise ging sie hinaus, Treppen hinunter auf nächtliche Gasse.

Wunderschöne laue Nacht. Aber dafür fehlte ihr jetzt jeder Sinn. Sorge um Erfried überdeckte alles. Im Schein gelblicher Beleuchtung eilte sie über die kleinere Ladenstraße, stand einige Minuten später vor dem Meinrad'schen Haus.

Familie Meinrad bewohnte in einer der vielen schmalen Gassen ganzes Haus allein. Wo Eleonore Gundeleit das Wohnzimmer wusste, brannte Licht und im ersten Stock oben gleichfalls. Aus halb offenem Fenster ersten Stockwerks drangen Fernsehergeräusche. Entweder Kriegsfilm oder Western. Sie klingelte, trat einen Schritt auf den Gehsteig zurück und wartete.

Schattenhafte Frauengestalt erschien am Wohnzimmerfenster. - Frau Meinrad erkannte, wer draußen stand, winkte knapp und verschwand. Augenblicke später fiel aus offener Haustür Lichtschein auf Gehsteigpflaster. "Guten Abend, Frau Gundeleit! Was für eine Überraschung, um diese Zeit. Aber kommen sie doch herein!"

"Nein, Frau Meinrad, danke! Guten Abend auch! Ich wollte fragen, ob Erfried vielleicht bei ihnen hier ist oder..."

"Erfried? Nein, Frau Gundeleit", unterbrach Frau Meinrad. Sie erkannte beunruhigten Unterton sofort. "Aber ich frage mal rasch den Günter, ob der vielleicht weiß, wo Erfried sein kann."

"Das wäre sehr lieb von ihnen, Frau Meinrad. Bitte tun sie das. Ich mache mir schon solche Sorgen, weil Erfried sich mindestens gemeldet hätte, wenn er länger irgendwo bleiben wollte. Er ist nämlich schon seit dem frühen Nachmittag fort."

"Ach du meine Güte, Frau Gundeleit! Hoffentlich ist nichts passiert. Warten sie, ich hole rasch den Günter." Schnell ging sie im hellen Flur nach hinten, ließ die Haustür weit offen.

Frau Meinrads Stimme ertönte im Hausinnern. Andere Stimme antwortete. Wahrscheinlich Günter, längst Zuhause. Frau Meinrads und Günters Umrisse eilten zum Hauseingang. Derweil trat Eleonore Gundeleit unruhig von einem Bein aufs andere.

"Guten Abend, Frau Gundeleit!" grüßte Günter höflich. "Ich weiß leider nicht, wo Erfried jetzt sein könnte. Ich hab' ihn zuletzt in der Schule gesehen. Bis vor einer halben Stunde war ich noch mit ein paar Freunden im Kino."

"Er sagte, er wolle vielleicht noch zu Familie Perchten im Haus an der Ronnburg, käme dann etwas später nach Hause. Aber so spät käme er nie. Und so gut kennt er diese Leute doch nicht, dass er dort gleich übernachtet. Außerdem hätte er etwas gesagt oder Bescheid gegeben. Weißt du vielleicht etwas davon, Günter?"

"Zur Ronnburg?" Frau Meinrad sah erstaunt auf, dann ihren Sohn an. Auch im Dunkeln verriet ihre Miene mindestens große Überraschung. Verwundert schüttelte sie den Kopf.



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