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Abermal, Kapitel 25, Seite 04

flackert


"Ich glaube es auch nicht!" knurrte der Junge, fühlte jedoch Verunsicherung schwach keimen. Wollte Gundram nicht den ganzen grässlichen Abend etwas sagen, erklären? - Er wusste es nicht mehr genau.

"Bedenke bitte, wenn man in einem solchen grauenvollen Angstzustand ist, wie du ihn leider erlebtest, wird alles zur schreienden Gefahr für einen selbst gedeutet. Die hilfreichste Geste, das freundlichste Wort, das liebenswürdigste Lächeln und sogar eine ganz und gar ehrliche Liebeserklärung geraten zur grausigen Bedrohung. Auch, wenn es in Wirklichkeit ganz anders ist. Was unter anderen Umständen harmlos oder sogar sehr schön, lustig oder albern erscheint, jagt dann nur noch eiskalte Furcht ein. Glaubt man ganz fest, man werde von harmlosem Pudding krank, dann wird man irgendwann davon auch krank. Das ist so, glaube mir, Erf. Wären ich oder Gundram solche grässlichen Alpe, wie du denkst, dann hätte ich eben sicher Mittel und Wege gewusst, alles ganz einfach zu unterdrücken. Glaubst du, ich fand deinen lautstarken Aufstand vorhin sonderlich angenehm? Meinst du wirklich, wenn ich, wenn wir finstere Jenseitswesen wären, dann ließe einer von uns es zu? Nicht einen Gedanken daran könntest du fassen! Keinen Mucks machen!"

Überrascht sah der Junge den Alp an. Dessen Einlassung, er habe in seiner Angst alles und jedes als Bedrohung und Bosheit gedeutet, klang folgerichtig und stimmig. Einmal schmerzhaften Stromschlag erhalten, fürchtet man jedes Kabel und jeden Stecker und alles was an Strom erinnert. Gebrannte Kinder scheuen das Feuer... Dennoch schwieg er beharrlich. Gedanken jagten.

Ingomar hat eigentlich recht damit! Meine Ansicht über die Alben kann nicht ganz stimmen! - Mit den verfolgten Hexen im Mittelalter verlief es ähnlich. Bei derartigen Zauberkräften landeten diese armen Frauen und Männer niemals vor der Inquisition oder einem anderen Gericht. Wer sollte gegen sie etwas ausrichten, so mächtig und so böse, wie ihnen angelastet? Das ginge alles gar nicht, weil solche Hexen ganz sicher Mittel, Wege und Künste wüssten, mithilfe derer ihnen niemand auf die Schliche käme.

Es sei denn... ja, es sei denn, ihre Feinde verfügten selbst über derartige dunkle Fähigkeiten. - Dann unterschied sie nichts! Sie räumten nur unliebsame Konkurrenz aus dem Wege, wonach sie ungehindert schalten und walten konnten. Entweder einfach nur boshaft und verlogen oder schlicht verblendet, nimmt man noch Bestes an. Aber sind Leute, die anderen solche grauenvollen Qualen antun oder antun lassen, nur verblendet? - Kaum! Dazu muss man grausam, kaltherzig und herrschsüchtig sein. Oder schlicht böswillig.

"Na, was ist, Erf? Du siehst mich so eindringlich an. Fällt der Groschen jetzt bei dir? Aus mir jetzt völlig verständlichen Gründen, hast du in allem, was geschah, was Gundram machte oder sagte, was alle anderen taten oder nicht, nichts als feindlichen Vernichtungswillen sehen können. Und die Feuerfeier muss dir als grausig finstere Machenschaft vorgekommen sein, auch ohne Blutopfer. Ich habe dich eben nicht dazu gezwungen, mir deinen gesamten Kummer zu erzählen, Erf. Du musst doch zugeben, dass jemand mit solcher Macht alles mit anderen veranstalten kann, ohne dass es denen sogar auffiele, nicht wahr?"

Der Junge nickte kaum merklich. "Ganz falsch kann das nicht sein, was du eben gesagt hast. Ich werde jetzt also nach Hause gehen."

"Nichts und niemand von uns wird dich daran hindern. Schon gar nicht ich! Auch wenn's mir leid tut, dich so einfach deinem Kummer zu überlassen. Aber, wenn du willst... Bitte, geh nach Hause. Auf Wiedersehen, Erf!"

Erfried stand auf, nickte kurz und ging weg. Wenige Schritte später rief ihm Ingomar nach: "Du hattest bei uns deinen Schlüsselbund liegen lassen!"

Der Junge blieb stehen, wandte nur wenig den Kopf halb rückwärts. "Der wird ja bei euch wohl nicht verloren gehen, oder?"

"Nein, das nicht! Aber ich habe ihn hier!" Ingomar hielt einen Schlüsselbund hoch, klingelte damit vernehmlich herum.

Erfried schaute jetzt zurück. Sein Schlüsselbund! Jedenfalls sah es auf diesen Abstand so aus. Er ging zur Bank. "Dann kann ich ihn doch sicher auch gleich wiederhaben, oder?"

"Aber selbstverständlich! Darum habe ich ihn doch dabei. Ich wollte ihn eigentlich bei euch in der Bachgasse abgeben oder mit einer kurzen Nachricht in euren Briefkasten werfen, sollte niemand zuhause sein." Ingomar hielt dem Jungen den Schlüsselbund hin.

"Danke!" Erfried steckte das metallen klirrende und klimpernde Gebinde in die Hosentasche.

"Gundram fand ihn im Badezimmer und dachte gleich, es muss dein Schlüsselbund sein. Eigentlich wollte er ihn dir selbst zurückgeben, dachte und hoffte aber wohl, du kämst sowieso am nächsten Tag vorbei. Er wollte nicht aufdringlich erscheinen und gleich wieder bei euch in der Bachgasse einfach aufkreuzen, nachdem er und ich am Sonntag dort deine Frau Mutter besuchten. - Eine sehr liebenswürdige Frau, übrigens. Aber wohl ein bisschen altmodisch, wie? Sie darf und soll bestimmt nicht alles wissen, was du so erlebst und treibst, stimmt's? Wahrscheinlich will sie es auch gar nicht so genau wissen oder hätte kein Verständnis dafür. Sie ist wirklich sehr gutbürgerlich."



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