"Ich bin sicher, sie werden ihre Meinung bald ändern, junger Mann!" rief Paulin hinterher. "Fragen sie ihre Freundin nach Tanja Mößner und Ferdinand Kammbach!"
Eckart schaute über rechte Schulter hinweg rückwärts. "Wer ist Tanja Mößner?"
"Sie kennen diese Namen nicht? Noch nie gehört?"
"Ferdinand Kammbach habe ich einmal kennen gelernt", antwortete Eckart unwillig. "Aber sonst... Würde ich dann fragen? Wer ist Tanja Mößner?"
Paulin wiegte bedeutungsvoll den Kopf. "Sie hat nie darüber gesprochen?"
"Nein! Warum sollte sie denn? Können sie mir das mal sagen?"
"Fragen sie Marga Sutthoff selbst. Anscheinend will sie ihnen was verschweigen..." Eckart stützte abwartend auf seine Schistöcke, neugierig geworden. Von Paulin offenbar beabsichtigt. Befriedigtes Lächeln breitete in teigige Gesichtszüge. "Tanja Mößner arbeitete mehrere Monate als Hauswirtschafterin und Dienstmädchen bei Sutthoff. Ein lebenslustiges junges Ding und sehr hübsch. Man munkelte, sie wäre nicht nur als Hausangestellte tätig, sondern sie, die Sutthoff und der Kammbach hätten nicht nur unter einem Dach gelebt..."
"Das ist eine widerwärtige Geschichte! Und wenn sie mehr miteinander verband, als nur ein nüchternes Arbeitsverhältnis, na und? Solche muffigen Moralaposteleien sind schlimmer."
Paulin hob eine Hand. "Oh bitte, sie haben noch nicht alles gehört. Lassen sie mich doch ausreden. Sie scheinen ein wohlerzogener Herr zu sein, seien sie doch nicht so unhöflich, einem einfach ins Wort zu fallen."
Dieser Mensch ist nicht ganz zurechnungsfähig oder einfach nur ein lästig popeliges Landei. So eine blöde Tratschgeschichte. Lächerlich! Soll er nur zudringlich werden, ich ziehe ihm kräftig eins über, schwor Eckart düster.
"Fragen sie ihre Marga Sutthoff einmal nach Tanja Mößner", riet Paulin dringlich. "Fragen sie doch einmal, wo das junge Fräulein abgeblieben ist. Ohne Grund hat sie den Namen dieser bedauernswerten Person nicht verschwiegen."
"Was meinen sie mit bedauernswert?" hakte Eckart schroff nach.
"Niemand weiß, wo sie abgeblieben ist. Man hatte sie öfter mit diesem Herrn Kammbach im Auto gesehen. Aber eines Tages war sie einfach verschwunden. Von einem Tag auf den anderen. Sie ist nie wieder gesehen worden. Von Niemandem. Finden sie das nicht auch reichlich eigenartig? Das junge Ding stand ganz allein da, hatte keine Familie, keinen Besitz, nichts. Keiner vermisste sie, niemand kam auf den Gedanken nachzuforschen, keiner wollte wissen, was aus ihr geworden war, niemand suchte sie. Vom Gespann Sutthoff/Kammbach wurde ausgestreut, sie wäre fortgegangen. Ich bin mir sicher, dass sie immer noch in diesem Gemäuer ist."
"Außer mir und Marga Sutthoff wohnt dort gerade niemand", stellte Eckart angriffslustig klar.
Ungewöhnliches Aufblitzen in Paulins Miene. "Wohnen... ja sicher, in den Räumen des alten Hauses wohnen sie beide zur Zeit. Aber was wohnt in den Mauern? Oder besser, wer wohnt in den Mauern, verborgen im Untergrund? Tanja Mößner? - Leben tut sie da bestimmt nicht mehr."
Es reichte Eckart. Diesen Unsinn wollte er nicht länger hören. Schistöcke stakten fest und kraftvoll in Schnee, stießen voran, fort von diesem wirren Bösredner. Paulin machte nicht leisesten Versuch, ihn aufhalten oder gar angehen. - Schneller auf Schiern voran, zügig zum Haus. Eckart wütete unterdes innerlich.
Marga eine Mörderin! Der blödsinnigste Quatsch, der jemals aufgestellt wurde. Schwachsinn! Tobias Paulin scheint nicht ganz dicht. Kein Wunder, der ist ja auch Lehrer, Schulleiter dazu! Dieser Paulin muss am Haus herumgeschlichen sein. Wie hätte er sonst wissen können, wer außer Marga derzeit dort wohnt? Es sind bestimmt dessen verstohlene Schritte gewesen, die mich aufschreckten. Ob dieser Kerl gefährlich wird? Hatte er mir gezielt aufgelauert? Vielleicht sollte ich mit Marga einmal darüber sprechen. Ja, ich werde ihr davon erzählen und dabei auch gleich nach Tanja Mößner fragen, zumindest ihren Namen erwähnen. Bin doch gespannt, was Marga dann... Mist! Jetzt bin ich doch mit Misstrauen angesteckt. Darauf hatte es dieser Schwätzer von Paulin wohl angelegt. Was ich auch mache und denke, von nun an betrachte ich Marga und ihr Verhältnis zu Ferdinand Kammbach mit anderen Augen und Gedanken im Hinterkopf. Argwöhnisch werde ich beobachten. - Dieser Paulin ist wirklich ein Mistkerl!
Endlich angekommen. Er stellte seine Schier neben die Eingangstür und trat ein. Schnell in angenehm warme Hausschuhe geschlüpft. Anschließend saß er nachdenklich auf einem Sofa neben der Heizung in der Halle. Völlige Stille wehte durchs Gebäude. Totenstille! behauptete dringlich innere Stimme, schwang höhnisch durch Gedanken. Wer wohnt hier noch alles? schlich lästige Frage hinterher, ärgerte zugleich maßlos, weil er sie nicht unterdrücken konnte. Wer wohnt in Mauern und webt in Räume? Tanja Mößner? Andere ungezählte Opfer mörderisch verflossener Jahre? - Jetzt muss ich erst Zeit totschlagen, bis Marga ihre Arbeit für heute beendet. - Zeit totschlagen... Totschlagen? Was wurde in diesem Hause noch totgeschlagen, außer Zeit? Tanja Mößner? Und wer noch und von wem? Wirklich von Marga und Ferdinand Kammbach, sozusagen als wirklichkeitsnahe Vorübung für Drehvorlagen?
Eckart hieb rechte Faust auf gepolsterte Lehne antiken Sitzmöbels. "Nein!" sagte er laut, und wieder in Gedanken: Blödsinn! Was sind das für irrsinnige Vorstellungen? Marga und Ferdinand Kammbach... Unsinn! Er musterte Wände ringsum. Können vergangene Geschehnisse in diesem Haus, von dessen Mauern gespeichert und aufgesogen sein? Vermögen uralt erstarrte Steine sie nach und nach abgeben, neuen Bewohnern übertragen?