Nächste Tage vertieften Eckarts Gefühle für Marga. Keineswegs sollte sie für Eca-Media geködert werden. Es freute ihn, wie gut er bei ihr ankam, verfiel dieser Verbindung stetig stärker, lebte fast nur noch darin. Hals über Kopf, mit Haut und Haaren, Leib und Seele, ganz und gar verliebt. Und sie offenbar auch. Marga versprach, sie wolle möglichst viele Tage in ihrer hiesigen Wohnung weilen, sogar vorzeitig aus Berlin zurückkehren. Schließlich schlug sie aus freien Stücken vor, ihr nächst fertiges Drehbuch zuerst Eca-Media anzubieten, dabei auch Regie übernehmen. Als Vergütung wolle sie lediglich angemessene Erfolgsbeteiligung. Der ,Schwarze Mann' blieb verschwunden, tauchte nicht wieder auf. Eckarts Unruhe verflog. Nicht einmal Träume bestürzten entfernt. Jedenfalls erinnerte er keine, schlief nachts tief und fest.
Carl jubelte, als er von Margas Vorschlag hörte, verlor in seiner Vorfreude etwas den Überblick über alltägliche Geschäftsdinge, schwebte schon in höchsten Höhen filmischer Flimmerwelt, gab vielgezückten Mikrofonen des Festivals sogar schwafliges Interview, plante Vorhaben, nach Eckarts Ansicht noch lange nicht spruchreif. An einem frühen Nachmittag musste Eckart wegen irgendwelcher Vertragsunterlagen in Carls Büro.
Überaus gut aussehende Dame belegte in freizügiger Beinarbeit das Besuchersofa. Sie dürfte etwas älter sein als Carl, mindestens jedoch altersgleich. Dunkelhaarige Schönheit mit hellbraunen Augen, vornehm blassem Teint und zu starkem Lippenstift. Eckart fand sie unpassend ,aufgedonnert'. Entbehrlich bei ihrem Aussehen. Trotz gewinnendem Lächeln, verrieten schwarzrandig geschminkte Augen Geringschätzung. Eckart kannte sie nicht persönlich, wusste aber wer sie ist: Senta Kallweit! Sie gehörte zur Schickeria, ordentlich reich und im Unterhaltungswesen umtriebig. Nun, dachte Eckart ergeben, irgendwann wären wir auf eine oder andere Weise ohnehin miteinander ins Gemisch gekommen. - Doch so plötzlich?
"Hallo, Eckart!" grüßte Carl leutselig, lächelte jedoch etwas unsicher. "Darf ich vorstellen? Dies ist..."
"Frau Senta Kallweit!" fiel Eckart dazwischen. "Sehr erfreut, sie einmal persönlich zu treffen. Mein Name ist..."
"Herr Eckart Umgelter", schnitt bemalte Schöne ihrerseits den Satz ab. "Ich war schon sehr gespannt darauf, ihre Bekanntschaft zu machen. Carl hat mir viel von ihnen berichtet."
"So? Wirklich? Ich hoffe doch, die Berichte fielen umfassend aus", antwortete Eckart höflich. - Grässliche Zimtziege! "Ich glaube, ich störe gerade die angeregte Unterhaltung. Ich werde später wieder hereinschauen."
"Nein, nein! Du störst ganz und gar nicht", versicherte Carl rasch. "Es ist mir durchaus wichtig, dass ihr euch einmal persönlich kennen lernt."
"Ja, lieber Herr Umgelter", bestätigte Senta Kallweit. "Ich war wirklich schon sehr gespannt auf sie. Sie sollen sehr forsch und erfolgreich sein, wenn ich das mal so formulieren darf."
Carl Bramberg schien von Sentas Art sehr beeindruckt. Offensichtlich nicht nur das. Tiefe Blicke wechselten, und sie lächelten einander nicht einfach nur freundlich an. Auch bemerkte er beidseitig rücksichtsvolles Verstummen, wenn wer einen Satz begann. - Oha! Da stak anderes dahinter, als bloßes beeindruckt sein, erkannte Eckart überrascht, besaß gutes Gespür für Feinheiten.
Wann haben die sich denn kennen gelernt? Wann knüpfte Carl diese Bande? Mir vollkommen entgangen. Wohl in aller Stille vorangekommen.
Merkwürdiges geschah. Er blickte plötzlich herab, als schwebe er an Zimmerdecke oben, sah sich selbst bei den anderen, hörte gleich fremdem Lauscher belanglose Worte aus eigenem Mund. Worte, die man halt so sagt, begegnet man wem zum ersten Mal. Kaum und dennoch ganz deutlich verstanden, was Senta Kallweit und Carl Bramberg alles redeten. Wirrer Zustand! - Schweben über Abgrund?
Am ,Boden' zurück, eilte Eckart unter vorgeschütztem Vorwand ins eigene Büro, saß flink wieder auf seinem Schreibtischsessel. Entschlossen griff er nach neu gestapelt ungelesener Post. Er stürzte in Arbeit, wollte dieses klemmende Gefühl vertreiben.
Verschlossener Brief stak zwischen geschäftlichen Anschreiben. Persönlich an ihn gerichtet und ohne Absender. Poststempel nicht entzifferbar. - Schon wieder! - Sehr sorgfältig verklebte Kanten und Laschen starken Umschlags. Er griff den Brieföffner aus poliertem Messing, stach mühselig eine Ecke auf und zerschnitt die Kante. Trockenes Ratschen reißenden Papiers, schwerer als erwartet. Innen mit Kunststofflage ausgekleidet. Eckart fingerte hinein.
Pudriges Gefühl an Fingern. Befremdlicher Geruch dunstete heraus, benebelte. Unsichtbare Wolke strömte durch Nasenlöcher unmittelbar ins Gehirn, erzeugte wabernden Schleier, verflüchtigte in tiefste Winkel und Windungen des Unterbewusstseins. Irgendwie rottig! - Briefkarte darin, behaftet mit diesem betäubenden Hauch. Unbeschrieben, leer, nichts stand da. Aber dann entdeckte Eckart kaum erkenntliche Zeichnung, wendete die Karte... Es sprang jäh an, wild, gefährlich und blutig rot.
Heiß brannte Blutfarbe in Augen, stach tief in Gehirnwindungen, rann samt entstiegenem Dunst in kleinste Äderchen, durcheilte blitzschnell jede Nervenfaser bis in Finger- und Zehenspitzen. Drohung entfuhr eckigem Zeichen, dessen spitze Formung alles verstärkte. Jeder einzelne pfeilartige Auswuchs könnte scharf durch Haut und Fleisch bohren, nachfolgende Widerhaken darin verkrallen, Gift und Krankheit entlassen. - Wenn... wenn nicht lediglich drohend rotes, beziehungsloses Bildzeichen... wenn dessen fressender Geruch nicht mählich flüchtete...
Kurze Lähmung schwand. - Nüchtern betrachtet wirkte das blutrote Zeichen sogar recht kunstvoll und ansprechend. Klare Züge und Verläufe! Weniger vertrackt könnte es Unternehmen hervorragend als Markenzeichen dienen. Doch dazu kaum gedacht, obwohl Machart des Entwurfs und Ausführung beträchtliches Können, sowie verlässliches Formenbewusstsein erforderte. Einprägsam fing es Blicke, zog in kreuzende Mitte, saugte unbedingte Aufmerksamkeit.