Besonnene lehnen gleichfalls den viel und gern geübten Einwand ab, kulturelle Entwicklung sei nur mit gleichzeitigem Vielgebrauch von Schrift möglich. Darauf verwiesen, Kelten übernahmen Runen sehr spät von den Germanen, obwohl eng verwandt. Vermutlich erst während angelsächsischer Einwanderung und Eroberung der britischen Insel im vierten, fünften und sechsten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. - Engländer sind Angeln und Sachsen. Angelsachsen! Eindeutig Germanen, keine Kelten, aus heutigem Norddeutschland dorthin ausgewandert. - Erst von da an tauchten auf wunderbar gestalteten keltischen Kunstgegenständen Runenzeichen auf. Bis dahin verwendeten Kelten keinerlei Schrift, brauchten keine. Selbst römische oder griechische kam vorher nie in Gebrauch. Warum nicht, ist etwas schwer verständlich. Wahrscheinlich, weil Kelten wesentlich stärker mit ureuropäischen Megalithikern verbunden als andere. Kein Mensch wird deshalb schlankweg behaupten, Kelten seien dumme Barbaren gewesen.
In der alteuropäischen Megalithkultur nutzte man zu keiner Zeit eine Art Schrift. Dennoch dürfen wir beeindruckende Hinterlassenschaften im englischen Stonehenge, ausgedehnte Anlagen in der Bretagne und Irland, sowie gewaltige Tempelanlagen auf Malta und staunenswerte Steinsetzungen und Hünengräber hierzulande bewundern. Schrift wäre auf jenen unübersehbaren Denkmälern ansonsten wenigstens ansatzweise sichtbar. Diese Kultur ist gute fünftausend Jahre alt, älter als die ägyptische, bestand bereits zur selben Zeit, als Indogermanen immer weiter westlich vordrangen, vermengte schließlich in unseren Breiten mit letzteren. Erst dann tauchten auf spätestens bronzezeitlichen Werkzeugen und Kunstgegenständen Schriftzeichen auf: Runen! Lange bevor es uns bekannte phönikische, griechische oder gar römische Zeichen gab.
Megalithiker unfähige Schwachköpfe? Auch die Völker des Inkareichs in Südamerika kamen vollständig ohne Schrift aus, entwickelten nur ein Merksystem, die Knotenschnüre. Und sie schufen unstrittig Hochkultur! Will wer behaupten, dortige Völker seien hohlköpfige Ansammlungen gewesen? Nur insofern, dass sie sich von Konquistadoren überrumpeln ließen. Aber das wurden später Inder von Engländern ebenfalls, wenn auch nicht dermaßen grauenhaft.
Vorheriges all jenen ins Stammbuch geschrieben, die gern vorlaut hausieren, Germanen hätten gar keine Kultur entwickeln können, weil allgemein und alltäglich keine Schrift genutzt. Solche Herrschaften sollten erst folgerichtiges Denken lernen, bevor sie reden. - Das geht, werte Damen und Herren, das geht! - Auch viel gepriesener Einwand, man könne nicht feststellen, welche Menschen Europas wirklich germanisch, steht rasch als peinlich geistlos da. Das geht sogar sehr eindeutig: An der Sprache!
Selbstverständlich gab es keine scharfen Abgrenzungen zwischen Völkerschaften hiesiger Breiten. Sie trieben Handel und Wandel, nicht nur über Bernsteinstraßen. Warum sollten sie scharfe Grenzen setzen, volklich und sprachlich, sowie in entscheidenden Gepflogenheiten eng verwandt? Bataver und Belger, im heutigen Belgien und den Niederlanden, waren keltisierte Germanenstämme. Treverer und Rugier, wohl auch Heruler im heutigen Lothringen und Elsass, waren germanisierte Keltenstämme. Am bloßen Erscheinungsbild gemessen, hatten ursprüngliche Hellenen und Römer mit jetzigen Mittel- Nord- und Westeuropäern wesentlich mehr gemein, als heutige Griechen und Italiener meistenteils. Letzteren Zeitgenossen kann man vieles nachsagen, nur kaum große Schuld an Leistungen manchmal ermüdend gerühmter Antike. Da täte man ihnen bitter unrecht! Man braucht lediglich Statuen, Mosaiken oder andere Abbilder aus jenen längst verflossenen Zeiten aufmerksam anschauen. Besseren Beweis gibt es nicht.
Woraus schöpfte Durchsetzungskraft abendländischen Verstehens, welche eben nicht nur auf Waffengewalt, sondern zu gleichberechtigtem Teil von geistiger und kultureller Leistungsfähigkeit herrührte? Und was sagen Verständige über Runen? Sie sagen: Eignen wir uns vernünftige Folgerungen Besonnener an, schauen genau hin, was die Runen sind, dann erfahren wir alles. - Wirklich alles! - Rein geistiger Weg in Erkenntnis, den nur wahrhaft Suchende beschreiten sollen, widrigenfalls bleiche Verblendung am Ende wartet. Er steht nicht Beliebigen offen, weil Wege schon für jeden Einzelnen verschieden. Beliebigkeit ist ausgeschlossen, weil der Weltgedanke niemals beliebig sondern eindeutig. Kein überheblicher Weg, weil Überheblichkeit bereits Verblendung. Kein endgültiger Weg, weil wahrer Weg niemals endet. Kein Weg ohne Wiederkehr, weil alles Kreis ist. Kein Weg besinnungslosen Glücks, weil Besinnungslosigkeit blind macht. Es ist der Weg des Sehens, des Wahrnehmens und der Wirklichkeit. - Der Weg ins vollkommene Sein!
Bald erhältst Du weitere Briefe.
Nachdenklich und verwirrt ließ Eckart den unerbetenen Lehrbrief sinken. Er verstand, und doch wieder nicht.
Was soll das? Was soll mir damit vorgeführt werden? Hängt das mit dem beängstigenden Auftauchen des schwarz gekleideten Fremden zusammen? Möglich schon, aber keinesfalls sicher. Und was ist mit dem erschreckend geruchsversehenen Brief, gehört der auch dazu? Ich werde doch mal mit Hagen Wiechert darüber sprechen, immerhin habe ich das hier. Aber hier drin stehen Aussagen, ganz und gar nicht in dieser Weise erwartet. Eher nüchtern sachliche Darlegungen. - Wirklich seltsame Sache!
Er blickte aus rückwärtigen Fenstern des Wohnraumes, wo das Haus des Irrenarztes hinter Hecken und Bäumen sichtbar. Hell erleuchtet... Ach ja, Freitag! Hagen gibt heute eine kleine Fete für Freunde, die ihm beim letzten Renovieren mit Rat und Tat halfen. Guter Rat blieb dabei jedoch im Vordergrund, erinnerte Eckart, musste unwillkürlich leise lachen, als er an herumstehende, mit Farben bekleckerte Leutchen beiderlei Geschlechts dachte. Arbeitsam anzuschauen, gaben sie aber fast nur tolle Ratschläge an Handwerker, welche zunehmend sichtlich genervt. Dass er selbst eingeladen, verschwitzte er über zurückliegende Ereignisse ganz.
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