Eckart fand nicht viel Zeit zu Sorgen, voll beschäftigt und eingespannt. Als letzter verließ er sehr spät die Geschäftsräume, fuhr innerlich ausgebrannt endlich nach Hause. Tiefes Nachtdunkel lagerte über seinem Haus und auch im Nachbargrundstück von Hagen Wiechert. Aus keinem Fenster schimmerte auch nur schwaches Licht herüber. Bloß matter Widerschein aus Straßenlaternen spiegelte.
Hagen offenbar heute Abend nicht hier oder kam womöglich noch gar nicht zurück? - Nein, dessen herzliebste Eleonore würde ihn um diese späte Stunde sicherlich erwarten! Sie müssen also beide aushäusig sein.
Quietschendes Garagentor verschlossen, stand Eckart kurz davor, starrte leeren Blicks in Finsternis. Schließlich wandte er herum, ging an dichten Gebüschen entlang ums Haus. Auch neuerlicher Augenschein zum Nachbarn ergab nur lichtlose Fensterflächen. Prüfend rüttelte er an der Gartenpforte in den Grenzhecken. Eingerastet aber nicht abgesperrt. Üblicher Zustand.
Eckart erstarrte unerfindlich. - Etwas schien plötzlich völlig anders. Fast gewaltsam erzwang sein Wille, forschenden Blick zur Seite... Eiskalter Schreck!
Hohe Gestalt des schwarzen Fremden im Zwielicht längst gestorbenen Tages!
Wie aus dem Boden gewachsen ragte lichtloser Schatten, sog unentrinnbar Leben, vertrat allen Weg, verweigerte jedes Weiterkommen. Glühend glitzerte scharf ein Auge unter breiter Hutkrempe, bannte an saugende Stelle eigener Stapfen in Schnee.
Jetzt hat er mich! - Gelähmt und gebannt vom kalt glitzernden Funkeln des Auges gelang Eckart keine Regung. Alles eingefroren, vereist in winterlicher Nacht. Bleischwer Füße im Griff gehalten, verklebten Sohlen zäh am Grund. Kälte kroch aufwärts, lähmte jeden Muskel. Unendlich fremder Körper, nicht sein eigener. Atem stockte, Herzschlag verstummte, bremste Blutfluss. Stillstand.
Atme ich noch? - Ohne Herzschlag. Keinerlei Gefühl. Nicht kalt, nicht warm, nicht hell oder dunkel. Nur hochgewachsener Gestaltschatten, dessen Umrisse und Augenglitzern... Ich kann mich nicht bewegen! Tierische Angst brandete durchs Gehirn, hallte aus Seelentiefen wider, brauste ungebremst gewaltsam ins Bewusstsein. Dröhnend raubte sie fast alle Sinne. Hilflos kreischende Furcht gefangenen Tieres tobte, ließ zittern. - Zittern? - Beklommene Frage. Unmöglich, den Blick senken, eine Hand rühren, feststellen ob es stimme oder grausame Gaukelei. - Aber ich stehe! Wenn ich stehe, dann muss mein Herz irgendwie noch pumpen. Wenn ich stehe, bin ich noch lange nicht tot. Vielleicht der Bruchteil des Augenblickes vor dem Tod, zerdehnt in schiere Unendlichkeit? Halten unbekannte Kräfte des Fremden, des ,Schwarzen Mannes' aufrecht, fällt man erst später losgelassen tot um?
"Wer sind sie? Warum lauern sie mir immer wieder auf? Was wollen sie von mir?" Gepresst und verängstigt klang eigene Stimme aus rauer Kehle. - Ich spreche, also habe ich Atem! Ich kann noch Zunge, Mund und Stimmbänder bewegen, Luft aus Lunge nutzen. - Kaum spürbare Erleichterung hüpfte. Weiterhin fesselte unbarmherzig kaltes Glühen des Auges wirksamer als erdenklich anderes.
"Du weißt, wer ich bin!" Hohle Stimme brach sprachlose Bahn in Ohren. - In Ohren? Wessen Ohren?
"Ich habe nicht die geringste Ahnung. Bitte sagen sie es mir doch!" Sprechen lässt er mich. Wenigstens das! - Woher sollte er wissen, wer dies ist? Immer nur als Schatten gesehen, Gesicht vom Schattenwurf des Breithutes verborgen. Und auch sonst stets schlechte Sicht. Er konnte nicht entfernt raten, wie der ,Schwarze Mann' aussähe, außer sehr groß und bedrohlich.
"Doch, du weißt es! Du kennst mich besser, als du wahrhaben möchtest", stellte dringliche Stimme klar, ließ keinen Zweifel an der Richtigkeit dieser Behauptung. "Aber nun kommt Zeit des Wandels, Wolfram!"
"Wieso Wolfram? Ich heiße nicht Wolfram! Mein Name ist Eckart. Eckart Umgelter! Sie müssen mich verwechseln!" Rasche Worte flogen über Lippen. Gering keimte Hoffnung: Vielleicht möglich, den Fremden überzeugen, dass er die ganze Zeit irrte, fälschlich verfolgte?
"Ich verwechsle dich nicht", machte Grabesstimme winzigen Hoffnungsschimmer sofort zunichte. "Ich weiß, wer du bist. Ich kenne deinen Namen, muss ihn kennen, weil du mich kennst. Meinen Namen ahnst du noch nicht, aber bald wirst du eine Ahnung davon erhalten. - Dein WAHRER Name ist Wolfram!"
Unfähig zu Antworten stand Eckart weiterhin festgebannt auf derselben Stelle. Versagter Stimme lautloser Schrei: Kann mir niemand helfen? Rettet wer aus diesem Irrsinn? Das darf doch nicht wahr sein! Er hat kein Recht, mein Leben zu fordern!
Einzig Gesichtsinn bewies, er stehe noch immer hinterm Haus bei der Grenzhecke zu Hagen Wiecherts Grundstück. - Gnadenlos festgenagelt! - Und dieser Gesichtssinn nahm jetzt langsame Bewegung des Fremden auf, leitete zum Verstand. Augen sahen, wie der ,Schwarze Mann' beide Handflächen gemessen hochhielt, wieder senkte.