Kring 02, 07. Kapitel, Seite 52


Nächsten Tag ließ allgemein knackende Kälte zwar etwas nach, aber es schneite fast ununterbrochen. Von scharfem Wind getrieben, fegten fein gleißende Schneeflocken über bereits gebreitetes Leichentuch Mutter Erdens. Durch hohe Fenster betrachtete Eckart wirbelnden Eisfederfall, lauschte fauchenden Böen hinterher. In heimeliger Wärme des Hauses ungemein beruhigend. Nicht entfernt langweilig, im tiefen Sessel lümmeln, aromatischen Tee schlürfen, Gebäck knabbern oder eine seiner französischen Schwarztabakzigaretten rauchen, über deren Geruch Marga beständig lautstark klagte. - Von Herzen missachtet.

"Du redest doch sonst nicht so laut und so viel", stellte er lediglich ungerührt fest und sah wieder ins winterliche Schauspiel. Mutter Natur zog glitzerndes Brautkleid an, bereit für ihren Bräutigam, den blauen Frühling. Aber bis dahin noch lange Zeit.

Erst Leichentuch, dann Brautkleid? Womöglich sogar umgekehrt oder beides zugleich? Eckart grinste, kicherte leise.

Wer kargen Speisezettel frostiger Zeit aufbessert, vergaß der Rabe nicht. Er flatterte am Küchenfenster hoch. Deutlicher Hinweis! Eckart lachte über die Schläue des Fiederlings, glaubte erneut an Worte aus dessen Schnabel. Doch der Vogel wiederholte nichts, krächzte lediglich. Auch der schwarze Hund kam zur Hintertür, bellte hungrig, fand anscheinend irgendwo in kleinen Nebengebäuden angenehmen Schlupfwinkel.

Nachdem das Schneetreiben erlosch, hielt Eckart nichts mehr im Haus. Allerdings herrschte überraschende Kälte draußen. Marga wollte lieber ihrer Arbeit nachgehen. Verständlich, verbrachten sie ansonsten doch alle Stunden miteinander. Eckart fand es auch sehr gut, weil dadurch sicherlich großartige Filmdrehvorlage für Eca-Media bald fertig wäre. Und wenn es ihr derzeit gerade so viel Spaß machte, warum denn nicht?

Still eingefroren weite Landschaft. Sanfte Hügel und einzelne Waldstücke unterteilten weiße Fläche. Ebenso bezuckert wirkende Tannen ahnten kommende Weihnacht. Ab und an ragten einsame Baumriesen, Büsche reihten zu Weghecken. Knisternder Reif kränzte kleine Äste nebst verbliebenen toten Blättern. Ferne Häuser verschmolzen im Winterzauber, ließen Geheimnisse vermuten, nur in solchen Tagen möglich. Selbst nüchterne Strommasten samt hängenden Leitungen wirkten vorfestlich. In deren Nähe hörte aufmerksames Ohr leise dröhnendes Summen fließenden Kraftstroms. Elektrisch flüsternder Weihnachtsgesang. Er genoss die Anstrengung in kalter Luft früh angebrochenen Winters. Helle Atemfahnen wehten aus Mund und Nase, fetzten. Eisiger Wind biss Gesichtshaut, rötete sie. Unentwegt glitten schlanke Schier, gaben gleichförmiges Geräusch. Zumeist einzig vernommener Laut in verwunschener Gegend.

Stunden später sah er auf seine Uhr, staunte reichlich, wie viel Zeit bereits seit Aufbruch verfloss. Mählich neigte sogar der Tag, Wolken zogen von Westen, finsterten zusätzlich. Bald käme Nachtschwärze, schließlich Jahreszeit kurzer Tageshelle. Ihm gar nicht recht, eingedenk Margas Warnung, in flachem Gelände seien bei Dunkelheit kaum Anhaltspunkte gegeben, woran Weg und Richtung sicher erkannt würden. Besonders, wenn einem nähere und weitere Umgebung zumeist gänzlich fremd. - Unbehagliches Gefühl!

Im zunehmenden Dunkel glaubte er an Umrisse des Landhauses, klein und verschwommen, noch weit, weit entfernt. Nächste Nacht zog schneller heran als erwartet. Unklar tauchte jene Buschzeile ins Blickfeld, wo ihm Tobias Paulin begegnete. Menschlicher Schatten löste aus ästeligem Gewirr.

Etwa wieder dieser unsägliche Paulin? Was treibt der sich denn immer hier herum? - Eckart fiel ein, dass öffentlicher Weg einschwenke. Es konnte sonst wer sein, gleichfalls von unvermutet aufkommender Dämmerung überrascht. Und falls doch Tobias Paulin? Sollte er dann einfach weiter oder stehen bleiben und diesem Burschen gehörig die Meinung geigen, genüsslich eine reinhauen?

Weiter! Was sonst? Ich will nach Hause!

Längst hinderte Schummer meiste Sicht. Abstand schrumpfte auf wenige Meter. - Das ist nicht Paulin... Breiter Hut... Gleitender Schritt in Eckarts Zielrichtung sperrte den Weg. Finstere Säule wartete reglos.

Der ,Schwarze'! Er ist doch hier, hat mich gefunden!

Niederbrettern, ihm irgendwelche Knochen brechen! - Kopf gesenkt. Wütend rammten Schistöcke in wattigen Boden. Eckart jagte voran. Zischende Kufen. Schatten über hellerem Schnee...

Kein harter Zusammenstoß. Kein erwarteter Aufschlag. Kein Schmerzruf, kein Laut. Nichts außer fliegendem Atem und pochendem Puls in Kehle und Brustkorb. Fahrwind jaulte an Ohren, Schier rauschten. Überrascht stoppte er seine Schussfahrt, äugte verwirrt zurück. - Unmöglich! Ich hätte genau in den Kerl reinrasen müssen...

Scharfer Schreck! - Seitlich stand urplötzlich hoher Schemen, näherte krallige Hand seiner Schulter. Grabschende Klaue! Bis zur Haut drang schmorende Strahlung durch Stoffe.

Lass dich nicht anpacken!! schrie es im Hirn, brüllte allen Verstand fort. Panisch herumgeworfen. Stöcke wild in Untergrund gehauen, kopflos davon. - Weg hier! Weg von der Hand! Wen sie fasst, verfällt!

Er achtete nicht darauf, wohin er genau flüchtete. Strecke dürfte grob stimmen. Keuchend stieß er vorwärts. Immer und immer wieder stachen eiserne Spitzen leichenblasse Decke. Nachgiebig wie Fleisch, worein er eigentlich stoßen wollte: Ins Fleisch des Verfolgers! Dennoch sicher, damit könne niemand den Dunklen töten. Nicht einmal verletzen. Gehetzter Blick nach hinten.

Unheimlichen Fremden verbarg längst graues Wabern zwischen Buschwerk. - Plötzlich anderes Fahrgeräusch der Schier. Beide Bretter bohrten ins Bodenlose, Schistöcke versanken einfach, gaben keinen Halt. Eckart prallte dumpf auf, Gesicht presste eiskaltes Kissen, er selbst brach nach unten durch.

Volle Fahrt in Graben! Glücklicherweise minderten Schneepolster schlimmste Wucht.


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