Senta Kallweit kam wieder näher, blickte Eckart scharf aufmerksam ins Gesicht. "Ich nehme einmal an, dass sie beide tatsächlich einer Schwindlerin aufsaßen. Aber dazu müsste ich doch mehr erfahren als nur ihre jetzigen Ausführungen."
"Haben sie nach dem Besuch von Carl Bramberg nicht bei ihren Bediensteten in dieser Hinsicht nachgefragt?"
"Wie komme ich dazu? Ich frage doch nach einer Reise meine Angestellten nicht, ob ich zwischenzeitlich womöglich mal eben hier war? Na hören sie! Das wäre doch wirklich etwas... hm... eigenartig, finden sie nicht?"
Eckart musste unwillkürlich lachen, dachte daran, wie Frau Treusch ihn nach solcher Frage ansähe. "Entschuldigung, Frau Kallweit! Da haben sie selbstverständlich völlig recht! Ich käme mir auch seltsam vor, fragte ich bei Angestellten oder auch nur im Freundeskreis so etwas. Die würden Augen machen!" Er lachte wieder. Auch um Senta Kallweits Mund spielte verhaltenes Lächeln und Wilfried Dirschau gluckste belustigt. "Aber vielleicht sollte unter Anführung bedenklich aufgetauchter Gründe ausnahmsweise nachgefragt werden", schlug Eckart vor. "Haben sie etwas bemerkt, Herr Dirschau?"
"Ich war bis vor drei Tagen im Jahresurlaub", schüttelte dieser den Kopf. "Hier kann ich leider nicht weiterhelfen. Soll ich vielleicht mal unauffällig bei den anderen gesprächsweise nachforschen, Frau Senta?"
Hinter Senta Kallweits Stirn arbeitete es sichtlich. Sie zögerte. "Na schön!" Unbegeisterte Zustimmung. "Aber bitte sehr verhalten, Wilfried. Ist ja peinlich: Die Chefin weiß nicht, ob sie nun hier war oder woanders! Du lieber Himmel!"
"Sie können sich auf mich verlassen, Frau Senta! Brauchen sie mich jetzt?"
"Sie wissen, Wilfried, dass ich ihnen vertraue. Bringen sie mich bloß nicht in Verlegenheit, danke!"
"Wären sie bitte so freundlich, Frau Kallweit, und schildern sie mir, was geschah, nachdem mein Freund und Partner so überstürzt ihr Haus verlassen musste?" bat Eckart, nachdem Wilfried Dirschau geschmeidig davon.
"Setzen wir uns erst einmal", lud sie wesentlich freundlicher ein. "Tja, wie soll ich sagen, Herr Umgelter. Ich selbst bekam nichts großartig mit, hörte nur ein fernes merkwürdiges Geräusch ohne Ähnlichkeit mit quietschenden Reifen. Es klang eher wie durchdringendes Sägen. Vielleicht mit einer Bohrmaschine zu vergleichen, die gerade dazu benutzt wird, ein Dübelloch in eine Wand zu bohren? Aber sehr fern. Allerdings berichtete meine Empfangsdame, dies Geräusch sei bei ihr am Empfang sehr laut angekommen. Verwundert darüber habe sie draußen nachgeschaut, weil ihr nicht geläufig, dass irgendwelche Arbeiten an der Straße durchgeführt würden. Wir sind hier etwas aufmerksamer, wegen möglicher dunkler Machenschaften unguter Elemente, wissen sie?"
"Verstehe! Und was geschah dann?"
"Nun, sie ging nach eigenen Aussagen zur Straße, sah Herrn Bramberg halb auf dem Rinnstein liegen. Sie wollte nachschauen, was mit ihm sei, wurde aber von einer großgewachsenen Frau fortgehalten, mit der Begründung, es sei bereits ein Krankenwagen hierher unterwegs und sie könne im Augenblick ohnehin nicht helfen."
"Großgewachsene Frau?"
"Sie fiel ihr wegen beachtlich hohem Wuchs und wenig geläufiger Bekleidung auf."
"Was meinte ihre Empfangsdame mit wenig geläufiger Bekleidung?"
"Diese große Fremde trug einen fast bodenlangen schwarzen Kapuzenmantel, behielt sorgfältig die Kapuze über den Kopf geschlagen. Außerdem schien sie sehr befehlsgewohnt. Meine Empfangsdame wagte offenbar keine Widerrede und ließ sie gewähren."
Kapuzenmantel! - Erneut entstand in Eckarts Kopf schon mehrmals empfundenes Bild: Nächtlicher Straßenrand, Autoreihen, unkenntlicher Schattenriss springt plötzlich an, schwerer Sturz, dann Schwärze und schließlich gleichfalls eine auffallend hochgewachsene Frau mit solchem Kleidungsstück... Er fror, obwohl in Kallweit'scher Bibliothek keineswegs kalt. Beängstigend fremde Erinnerung rasch verscheucht. Sie gehörte nicht zu ihm. Aber auf irgendeine unheimliche Weise doch.
"Haben sie sich nicht gewundert, wie mein Freund überhaupt zu ihnen vordringen konnte? Er kam doch sicherlich nicht großartig angemeldet."
"Stimmt! Darüber dachte ich noch gar nicht nach, sah einfach keinen Anlass. Ich vermutete, er meldete sich mit Hinweis auf Eca-Media an."
"Kannten sie unser kleines Unternehmen vorher?"
"Nur sehr entfernt. Der Name kam mir irgendwann einmal unter. Man wildert ja in ganz ähnlichem Bereich." Sie lächelte. "Aber erst danach ließ ich von Wilfried nähere Erkundigungen einziehen."
"Könnte doch sein, dass ihre Empfangsdame meinen Partner bereits kannte, dessen Kommen womöglich für blanke Selbstverständlichkeit hielt?"
Senta Kallweit schwieg kurz. "Hm! Das ist nicht ganz auszuschließen."
"Bleibt nur die Frage: Wie kam er an ihrem Sekretär vorbei?"
"Ach, das ist einfach erklärt. Ich war gerade bei Wilfried im Büro, als Herr Bramberg ohne anklopfen hereinkam und sehr vertrauliches Benehmen an den Tag legte..." Sie wandte ihren Blick zur Tür. "Oh, schon zurück, Wilfried?"