Eckart hingegen, entsetzten solche Antworten echt, zumal er früher vergleichbare Sichten vertrat, jedoch niemals überdachte. Bei dumpfer Antwort, das gehöre sich einfach so... und wegen der Kinder..., konnte leicht entgegengehalten werden, dies läge einzig an Gesetzen. Aber Gesetze sind nicht für die Ewigkeit. Gesetze kann man ändern, so man wirklich will. Hinsichtlich Sicherheit... Verpflichtung... und ...keine Lust mehr..., befiel nur gelindes Grausen.
Da redeten diese Leute großartig von Liebe, wollten aber nicht sehen, dass sie daraus beißende Klammer machten. Sie sangen Hohelieder der Bindung, widmeten sie uneingestanden in schnürende Fesseln um. Und sie schwärmten kuhäugig von Treue und Vertrauen, stellten aber misstrauisch Fallen, denen entrinnen, viel Gut, Geld und Leiden kostet. Und auf Gut und Geld lief dieses ,Ganz-in-Weiß-mit-einem-Blumenstrauß'-Affentheater letztlich hinaus. - Nichts anderes!
Warum nicht billigen, Vernunft habe hierbei Gefühlen gleichwertige Rolle? Warum hellauf entrüstet dagegen vom Leder ziehen, Ablehnung rechtsgeschäftlicher Eheschließung unmoralisch schimpfen, somit sich selbst und andere betrügen und belügen? Auch Selbstbetrug ist Betrug! Das sollte moralisch sein? Wenn man zum Liebesbeweis heiraten MUSS, kann es von der einen oder anderen Seite damit nicht sehr weit her sein. Braucht wahre Liebe Versicherungsscheine? Und wer bezahlt die Beiträge? Wie bezahlt man Gefühle? In Geld? In Gold? Vielleicht in Aktien? Wären Grundstücke geeigneter? Oder Kinder? - Grauenhaft!
Nach seiner Scheidung schwor Eckart: So - nie wieder! Damals lernte er ausführlich wahre Inhalte des Eherechts kennen. Haarsträubendste Tatsache: Heirat verpflichtet nicht einmal zur mindesten menschlichen Zuwendung an unheilbar kranke Partner! Gattensiechtum, heißt dies amtlich. Seit vielen langen Jahrhunderten althergebrachter Scheidungsgrund, selbst von hartherzig gestreng Römischer Kirche anerkannt. Schneller geht keine andere Scheidung. Kein Trennungsjahr, nichts. Nur Nachweis des Siechtums beim Scheidungsgericht, ärztliches Attest reicht, und in fünf Minuten vorbei. - Welche Herzenswärme!
Eckart erinnerte fröstelnd, wie sehr er nach dieser Erkenntnis endgültig von den Socken. Seitdem überzeugt, für Feier von Gemeinsamkeit brauche niemand kostenträchtig gefühlsduseligen Hokuspokus von Standesamt und Altar. Innerhalb vergangenen Jahres unabweisbare Einsicht gewonnen, dies stelle eine der widerwärtigsten Verlogenheiten und grausamsten Selbsttäuschungen dar, worauf man dumpflastig hereinfällt. Hochzeit kann mit vollem Menschenrecht auch so gefeiert werden. Liebeszauber genügt! Eckart machte an diesem Abend beiden Kuhäugigen keinen Hehl daraus. - Wütend starrten sie ihn an. Feindliche Blicke! Wenn Blicke töten könnten... Wahrscheinlich eher deshalb erbost, weil insgeheim ertappt.
"Trösten wir uns damit, dass Scheidungsrichter auch hierzulande eine ausgeprägt sichere Art haben, Unvernunft ihrem verdienten Ende anheim zu geben", lachte Ralf Küppers. - Das saß! Endgültig Stimmung verdorben.
"Ganz und gar unrichtig ist das Gesagte nicht, meine Lieben", bestätigte Hagen Wiechert, wiegte bedenkend den Kopf, lachte dann auf. Seine allgemeine Fröhlichkeit brach durch. "Hört bitte auf, jetzt hier irgendwelche unerfreulichen Erfahrungen zu erörtern", forderte Hagen unernst. "Aber geschichtlich betrachtet, gibt es die Ehe, wie wir sie jetzt kennen und praktizieren, noch nicht sehr lange. Ungefähr erst seit zweihundert Jahren. Und noch bis in die Zwanzigerjahre hinein sah man in der Ehe vorrangig eine Versorgungseinrichtung für Frauen. Davor und in alten Zeiten war die vertragliche Ehe, also die jetzt geltende Standesehe, eine hauptsächlich wirtschaftliche Angelegenheit. Reine Liebesehen waren die viel besungene, sehr seltene Ausnahme. Nur deswegen machte man sich nicht die Mühen und Kosten, die ja mit einer Standesehe zwangsläufig verbunden waren und auch noch immer sind. Liebesbeziehungen galten zwar auch als Ehe, aber selbst die alte Kirche betrachtete sie bereits mit der reinen Übereinkunft beider Partner als geschlossen. Nach purem Bibelverständnis konnte einfach durch ganz privaten Scheidebrief wieder getrennt werden.
So etwas gab es aber im Abendland nicht. Das ist altsemitisches Recht, weshalb man dazu überging, die Einehe vor dem Altar schließen zu lassen, dafür kräftig abkassieren und sie als untrennbar erklären. Das kam dem abendländischen Empfinden fast vollständig entgegen, wo die Einehe selbstverständlich. Im vorderasiatischen Raum weder jetzt, noch früher der Fall. Die biblischen Könige Salomo und David waren vielhundertfach verehelicht, hielten sich - Klartext gesprochen - eigentlich ein ganz privates Bordell in Betrieb. Auch der angebliche Stammvater Abraham war mehrfach zur gleichen Zeit verheiratet. Es gibt auch in der Bibel kein Vieleheverbot, wie immer gern behauptet wird. In den apostolischen Briefen des Neuen Testamentes wurde es lediglich Bischöfen untersagt, ursprünglich nur Gemeindevorsteher, vielfach verheiratet sein.
Das hatte seinen Grund darin, dass ansonsten der Konflikt mit abendländischer Bevölkerung des römischen Reiches vorprogrammiert. Das hätten die nicht hingenommen. Niemals! Und Standesehen wurden bei allen abendländischen Völkern, ob sie nun im römischen Reich lebten oder nicht, aus sachlichen Gründen geschlossen. Natürlich war man der Ansicht, dass die beiden sich wenigstens gut leiden müssen, Liebe würde dann von ganz allein kommen. Aber vor allen Dingen zählte die ausschließlich rechtliche Seite, welche beiden Teilen Sicherheit gewähren sollte. Die beteiligten Sippen und Familien schlossen einen regelrechten Vertrag, in dem alles festgelegt war, angefangen von der Mitgift bis hin zu den Trennungsmodalitäten, sollte es doch nicht hinhauen. So ein Vertrag wurde ja auch beschworen und konnte nur in gegenseitigem Einverständnis oder nach grober Verletzung wieder aufgehoben werden.