Marga Sutthoff machte durchaus glücklichen Eindruck, was sicherlich auf eigenem Erfolg gründete. Berechtigtes Selbstbewusstsein! Sie wirkte rundweg zufrieden, erzählte von ihrem weitläufigen Landhaus inmitten sehr großen Grundstücks, vor wenigen Jahren gekauft, schwärmte richtiggehend. "Ich bin sehr gerne in ländlicher Umgebung, fühle mich darin eingebettet. Allein schon verschiedene Jahreszeiten unmittelbar erleben... Fast eine Welt für sich. Die ganze überflüssige Aufgeregtheit der Großstädte fällt dort ab und ich bin zufrieden mit mir. Niemand kann mich stören oder mit Herumlärmen belästigen."
"Das klingt wirklich sehr schön." Eckart lächelte Marga Sutthoff versonnen an.
Sie nickte, erwiderte sein Lächeln. "Es ist wirklich so, wie ich es sagte. Sie sollten sich das Gesamte mal bei Gelegenheit anschauen. Ich bin überzeugt, sie möchten dann gar nicht mehr zurück und am liebsten dort wohnen bleiben."
"Vorstellen kann ich mir das auch. Aber leider werde ich das nicht tun können. Da bleiben, meine ich. Das könnte ich meinem Partner und Freund Carl nicht antun und mir auch gar nicht leisten. So gut gehen unsere Geschäfte noch lange nicht, dass es möglich wäre, uns teilweise zur Ruhe zu setzen."
"Na, ich habe mich keineswegs teilweise zur Ruhe gesetzt", lächelte Marga. "Aber meine Tätigkeit ist ja auch etwas anders gelagert. Jedenfalls ich verstehe heute nicht mehr, wie es mir möglich war, es derart lange in Großstädten auszuhalten. Besonders in Berlin, wo ich zuletzt gelebt - nein, gewohnt habe. Erst als ich von dort weg aufs Land zog, begann ich wieder richtig zu leben, zu atmen. Nach Berlin begebe ich mich nur noch dann, wenn mir beruflich gar nichts anderes übrig bleibt. Häusermoloch!"
"Vielleicht werden sie ihre Meinung irgendwann ändern", vermutete Carl, setzte das Glas ab, aus dem er eben einen Schluck nahm. "Sie sind Großstädte gewohnt. Und Berlin ist doch immerhin 'die' Hauptstadt, eine Weltstadt noch dazu. Dieses Lebensgefühl, der Atem der Internationalität, der lebendige Hauch einer Weltmetropole mit seiner vielseitigen Lebensweise. Weltläufigkeit, liebe Marga!"
Sie lachte, was sie ungemein anziehend erscheinen ließ. "Mein lieber Carl Bramberg, diese Lobeshymnen kenne ich seit Kindesbeinen. Besonders die auf Berlin. Bitte seien sie mir nicht arg, wenn ich gestehe, dass solche Seligpreisungen mich entsetzlich anöden. Schon immer angeödet haben. Lieber Freund, man wird ganz bestimmt nicht weltläufig, weil man an einem bestimmten Ort sein Leben fristet. Wer sich damit schmücken muss, hat es sicherlich bitter nötig! Echte Weltläufigkeit äußert sich auf eine so billige Art ganz gewiss nicht. Wer wirklich von Welt ist, hat das alles gar nicht nötig. Das tun nur die, die es nicht sind und erzeugen dabei eine Sonderform übelster Provinzialität. Nein, nein, bitte vergeben sie mir, aber das schreckt mich eher ab, als dass es mich irgendwie reizen könnte."
"Aber mindestens hinsichtlich beruflicher Dinge sind dort die Möglichkeiten wesentlich besser, schon wegen vieler verschiedener Leute und Einrichtungen", gab Carl dazu und wiegte bedächtig den Kopf.
"Was die beruflichen Angelegenheiten anbelangt, so hat Berlin mit Babelsberg sicherlich sehr große Bedeutung. Aber 'der' Mittelpunkt ist es dahingehend schon lange nicht mehr. Zudem waren Ufa und Defa als reine Politpropagandaunternehmen gegründet, was sich auch in ihren Erzeugnissen unangenehm niederschlug, zwangsläufig fortsetzen musste. Man kann seinen Wurzeln nicht einfach entfliehen; sie wirken, auch wenn man es selbst nicht bemerkt. Bis auf wenige Ausnahmen, die ich gern rühme, war der Filmausstoß inhaltlich flach bis platt, quälend bieder oder zumeist einfach nur schlecht. Entsprechend auch die Akteure. Marlene Dietrich hat sich ja nicht wegen der Hitleristen nach Hollywood verabschiedet, sondern schon Jahre zuvor. Kann ich gut verstehen. So viel deutschamtliche Tumbheit kann eine Person solchen Formates umbringen. Zu Defa-Zeiten war es auch nicht anders. Nur die Propagandaschlagworte ausgewechselt. Und jetzt vernehme ich aus dieser Richtung immer wieder, wie gerne man doch an diese sogenannten 'Glanzzeiten' deutschen Filmschaffens anknüpfen will. Mich schaudert es, wenn ich das höre! Sollen sie es meinetwegen tun. Mittelmaß, bestenfalls, und Nichtssagenheit sind damit verbürgt. Will man dort nicht gründlich andere Wege gehen, kommt letztlich unvermeidbare Pleite oder dumpf hallender Ruf nach Geldern öffentlicher Hand. Herrliche Aussichten, vielen Dank dafür! Aber bitte ohne meine Wenigkeit."
Bestechende Schlussfolgerungen. Trotz durchaus begründeter Einwände, folgerichtig. Verpuffte Einlassung, Deutschland sei halt kein so großer Markt wie USA. Schließlich gelang in England, Frankreich und Italien vielfach Glänzenderes, bei unbestreitbar kleinerem Markt als Deutschland. Auch unsäglichste Hollywood-Schinken verfügten häufig über mehr Charme, als viele bemühte Machwerke heimischer Herstellung. An Geld oder mangelnden fähigen Leuten allein kann es nicht liegen. Staatsbetriebe schöpfen aus dem Vollen! Und viele einheimische Schauspieler und Regisseure bewiesen im Ausland, welche Klasse sie wirklich besaßen, so man sie nur machen ließ. Nein, Marga Sutthoffs Urteil über Wurzeln hiesigen Filmschaffens hatte unstreitig Hand und Fuß. Wie sonst erzeugten dermaßen fett mit Geld gepolsterte Rundfunkanstalten, eben öffentlich-rechtliche in Deutschland, so viel ,anspruchsvoll' hausbackenen Tand, den im In- und Ausland kaum jemand haben will? Anschließend gezwungen, selbst Bedrückungen nach Art 'Dallas' und 'Denver' fremd kaufen, weil in eigener kulturamtlich muffiger Langeweile zündende Ideen nicht möglich oder noch schlichteres herauskäme.
"Wann wollen sie wieder in ihr Arkadien zurück?" fragte Eckart.
"Ungefähr in zwei Wochen. Leider muss ich kommende Tage länger nach Berlin. Geschäftliche Verpflichtungen zwingen dazu."