Kring 02, 10. Kapitel, Seite 74


"Ja und nein! Ja, weil er durch die vergewaltigende Christianisierung dazu gemacht wurde; nein, weil Urbilder durch bloße Gedankengebäude nicht ausrottbar sind, deshalb immer mitverwendet werden. Die Weiße Frau wurde zur Madonnenscheinung umgedeutet, der Schwarze Mann zum allgegenwärtigen Strafer und bekam zusätzlich den Part des Luzifer Satanas, dessen ursprüngliche Gestalt wiederum nichts von Hörnern und Pferdefüßen hatte, sondern ein schön anzusehender, altsemitischer Vaterfeind war. Ein anarchischer Freigeist, der sich gegen dumpfe Patriarchaldespotie wehrte. Der Schwarze Mann wurde später von den Klerikern hauptsächlich deshalb 'verteufelt', weil er besonders bei den germanischen Völkern 'Der Gott' allgemein war: Wotan/Odin, Licht- und Dunkelgestalt, Gott des Lebens und des Todes! Der personifizierte Wandel. Seine Entsprechungen in der Tierwelt sind Wolf und Rabe. Schwarzer Hund und Rabe! Beide sind dir begegnet und dein Verdacht trifft: Sie sind Verkappungen des Schwarzen Mannes!

Wotan/Odin ist ein Seelengott. Als Schwarzer Mann unsere dunkle oder unbekannte Seite, ein Seelenbegleiter. Wie seine Tiere, Wolf und Rabe, Seelenträger sind, welche die Seelen Verstorbener aufnehmen und forttragen. Als solcher war und wird er unterschwellig immer irgendwie gefürchtet, weil die Begegnung mit Wotan/Odin das Ende des jetzigen Lebens bedeuten kann. Aber er bringt auch die Seele zur Wiedergeburt. Berühmt berüchtigter Klapperstorch, der Schwarzstorch Adebar. Diese urbildliche Gestalt ist eben ein Seelengeleiter, was heißt, dass er als Seelenschützer tätig wird. Ob er die Seele fortführt oder nicht, schützen tut er sie immer. Und bei dir ist er als reiner Seelenschützer gekommen, hat dich gewarnt und dir beigestanden.

Wie auch die Weiße Frau, ist der Schwarze Mann zwiespältig. Aber das ist nur scheinbar so. Die Alten verstanden Geburt und Tod nicht als sich ausschließende Gegensätze, sondern als Zustandswandlungen. Es gab auch Gut und Böse schlechthin nicht, sondern Schaden und Nutzen. Und Gottespersönlichkeiten waren letztlich nur bedingt wichtig. Sie waren ja nur Kennungen. Im grundsätzlichen Buddhismus ist das praktisch genauso, im Hinduismus ganz ähnlich. Der semitisch-ägyptische Monotheismus, den wir als christliche, jüdische und mohammedanische Lehre kennen, ist dagegen wesentlich einfältiger, trotz aller literarischer Umfänglichkeit, was wohl seine durchschlagende Wirkung ausmachte. Bloß Gut und Böse ist halt bequemer, als die Notwendigkeit der Standpunktsabwägung und vollkommene Eigenverantwortung."

"Aber ich glaube doch an so etwas gar nicht", wandte Eckart ein. "Weder an dogmatische Monotheismuslehren, noch an die alten Germanenvorstellungen."

"Daran muss man nicht glauben, mein Lieber", entgegnete Hagen Wiechert sanft. "Urbilder haben - erstens! - nichts mit plattem Glauben gemein. Sie sind einfach da. Und - zweitens! - tausend Jahre klerikale Propaganda sollte niemand leichtfertig unterschätzen. So etwas hinterlässt Spuren, Narben, Verwundungen der Gruppenseele. Dabei handelt es sich beim biblischen 'Jachweh-Kult' - auch falsch 'Jehova' genannt - beileibe um keinen astreinen Monotheismus. Mindestens Luzifer Satanas ist objektiv eine Gottheit, die lediglich negativ 'verehrt' wird. Er wird im neuen Testament auch so benannt: Der Gott der Welt!

Streng nach literarischen Maßstäben verstanden, handelt es sich um eine antike Seifenoper, noch fern unter Niveau der Nibelungensagen. Ganz zu schweigen von der gebildeten Feinsinnigkeit altgriechischer Dramen. Luzifer Satanas ist der handelsübliche Bösewicht, weil er es wagte, Papa Obermotz im staubigen Wüstennomadenzelt die Zähne zu zeigen, was prompt einen handfesten Familienkrach im siebten Himmel nach sich zog, der vorläufig mit seinem fulminanten Rausschmiss endete. Aber zuvor gab's eine zünftige Prügelei in der Kajüte. Die Erzengel und Erbschleicher Luzifer, Michael und Gabriel miteinander im 'Clinch', samt 'Catch As Catch Can' verbündeter Spießgesellen. Dazwischen hampelte mordgeil der Würgengel durchs Getümmel. Nichts weiter als ein geistloser Auftragsserienkiller dieser Wüstengöttersippschaft. Fürchterlich hohlköpfig, weswegen ihm knallrote Blutzeichen an Eingangspfosten gemalt werden mussten, damit er nicht alles und jeden um die Ecke brachte, was gerade in die Quere kam. - Blutlüstern einfältig, hoch drei! - Fehlt nur noch das 'Dideldidü' der Werbeunterbrechung dazwischen. Dann kommt die Waschpulverreklame, wo sich zu aller Unnot die Markengötter Meister Proper und Weißer Riese um die 'cleane' Jungfrau Clementine Ariel balgen. Natürlich gewinnt Meister Proper, der ist nicht so eckig, und der Hintergrundchor singt: Meister Proper (Punkt) so sauber, dass man mit ihm (Punkt, Punkt) kann!"

Eleonore kicherte, und selbst Eckart musste grinsen, trotz beklagenswerten Zustandes.

"Nicht mal 'Denver-Clan' ist so schlicht gestrickt", führte Hagen Wiechert weiter aus. "Und man könnte sich auch königlich darüber amüsieren, es als blut- und glutvolle Parabel auf morgenländische Urbilder betrachten, prall aus dem Seelenleben, wenn die Verfechter dieser ernüchternden Geschichte daraus nicht tödlichen Ernst machten. Tödlich, im wahrsten Sinne des Wortes! Stellt euch vor, man will euch umbringen, weil ihr nicht an die 'Blindenstraße' glaubt, sie einfach dumm und langweilig findet, und so einer wie 'Else Kling' am liebsten sowieso nur den gefüllten Putzeimer überstülpen möchtet. Da waren die alten Abendländer von anderem Kaliber. Die hatten keine Lust, sich vom Gezänk irgendwelcher Götter nerven zu lassen und wechselten sie auch schon mal aus, wenn sie ihnen zu sehr auf den Wecker gingen. Die waren wahrhaft tolerant, denn sie wussten genau, es gibt nicht nur eine Geschichte, sondern die Möglichkeiten sind unendlich. Also ist auch die Vielfalt der Gottpersonen unendlich. - So einfach und so verwirrend sind der Schwarze Mann und die Weiße Frau."

Eckart blickte ihn lange an, dann schüttelte er den Kopf. "Das sprach eben der Esoteriker Hagen Wiechert. Aber was sagt der psychiatrische Arzt Dr. Hagen Wiechert? Ich leide doch eindeutig an überzogenen Hirngespinsten, wenn ich solche - entschuldige bitte - Spukgestalten sehe und mit ihnen sogar spreche - mit Trugbildern!"


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