Kring 02, 10. Kapitel, Seite 75


"Auch als Arzt fällt meine Beurteilung nicht anders aus. Trügerischer als anderes sind Urbilder auf keinen Fall. Eher im Gegenteil! Sie sind ausgesprochen verlässlich. Was wird uns seit Jahrhunderten nicht alles für ein Blödsinn erzählt, von heutigen Wissenschaftlern teilweise immer noch ernst genommen? Dummdreiste Journalisten gehen mit ähnlichem Unfug gern hausieren, überfallen ihr wehrloses Publikum mit blöden Pseudoargumenten über die Echtheit des Turiner Grabtuches oder gammliger Bretter vom Kreuz Christi. Und niemanden, der diesen Quatsch ernsthaft glaubt, steckt wer in Zwangsjacken oder entmündigt Lourdes-Pilger. Da müsste zuerst der Papst samt Kurie in Irrenanstalten eingeliefert werden. Aber die glauben diesen Schwachsinn bestimmt nicht selbst. Falls doch, sind sie erschreckend doof. Aber für doof halte ich die nicht."

"Wieso, was ist denn mit dem Turiner Grabtuch?" fragte Eckart neugierig.

"Das angebliche Grabtuch Jesu, worin man ihn nach der Kreuzabnahme einwickelte. Aber das kann nur kompletter Schwindel sein, weil die sogenannten Stigmata, die Nagelwundmale an unmöglichen Stellen liegen. Spätestens nach einem Tag wäre die Jesusleiche runtergeplumpst, weil das dort aus rein anatomischen Gründen ganz schnell völlig ausleiert und durchreißt. Angeblich hing der doch drei volle Tage da dran. Ausgeschlossen! Und die nächste Argumentation solcher Grabtuchspinner, bis übers Mittelalter hinaus habe man solche plastisch dreidimensionalen Darstellungen gar nicht beherrscht, wie sie auf dem Grabtuch sichtbar, ist die wohl frechste Lüge. Jeder unvoreingenommene Archäologe weist auf hunderte Porträts aus der Zeitenwende hin, welche in Kunst und Darstellung Renaissanceporträts nichts nachstehen, volle Tiefenwirkung haben, also dreidimensional sind. Und wenn man wundervollste Plastiken herstellen konnte, die in ihrer Ausführung perfekt naturgetreu, dann beherrschte man das damals zumindest für Skizzenvorlagen längst genauso. Und die Abdrücke auf dem Turiner Grabtuch liegen weit unter diesen Möglichkeiten, sind außerdem als reine Körperabdrücke platter Unsinn. Das sähe niemals so aus. Da wären nur sehr breitflächig unkenntliche Flecken zu sehen.

Was für ein frecher Schwindel! Ebenso die angeblichen Splitter oder Bretter vom Jesuskreuz. - Die Römer kreuzigten gar nicht, sondern banden oder nagelten ihre Opfer haufenweise an dicke Pfähle und ließen sie da verrecken. So viel Aufwand trieben diese Massenmörder, Plünderer und Sklavenjäger damit nicht. Schon deshalb kann es keine heilsamen Splitter oder schützende oder Macht verleihende Bretter vom mystischen Kreuz Jesu geben oder je gegeben haben, weil es niemals ein Jesuskreuz gab. Alberner Schwachsinn! Das ist noch dümmer als der Atlantiskram aus angeblich mehr als zehntausend Jahren. Und der Jesus, den man uns allgemein vorgaukelt, ist in erster Linie nichts als ein ausschließlich literarischer Protagonist, frühestens im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung von christlichen Propagandisten erfunden und erdacht. Wie vieles, gründet dies sicherlich auf eine ehemals lebende Person. Aber die uns angetragene Figur unterscheidet sich nicht von Wilhelm Tell. Wilhelm Tell lebte niemals wirklich, ist Schillers Dichterei entsprungen. Und trotzdem meinen erschreckend viele geistige Kleinrentner, den habe es gegeben. Alles Unsinn und billiger Theaterdonner!

Was das Kreuz anbelangt, so übernahm man es kurzerhand aus dem abendländischen Bereich. Das ursprüngliche Zeichen der Christen war der Fisch. Aber das Kreuz war und ist im Abendland stets ein mystisches Zeichen gewesen. Es stellt den hingegebenen Menschen mit ausgebreiteten Armen dar. Das war immer ein Sinnbild des Friedens, Gebens und Empfangens. Was lag den machtlüsternen Verfechtern faschistoider Ideologie, genannt Monotheismus, näher als dessen Übernahme? Damit köderten sie unbedarfte Leute damals wie heute. Auch das Kreuz ist so ein hochwirksames Urbild.

Urbilder sind keine Hirngespinste! Wie ich vorhin schon sagte: Urbilder sind einfach da, da beißt keine Maus einen Faden ab! Sie können einem wie Trugbilder erscheinen, weil wir heutzutage nicht mehr daran gewöhnt sind, mit unserem verschütteten Erbe umzugehen. Aber: Sie sind keine Einbildung, keine Halluzination! Das kann ich dir als Arzt versichern und dazusetzen, dass, solange du nicht rettungslos verstandesumnachtenden Ängsten verfallen bist, sondern immer noch folgerichtig deine Lage und Umwelt einschätzen kannst, deine geistige Gesundheit nicht in Gefahr ist. - Ganz klar, nein!"

Eckart fielen Mühlsteine vom Herzen. "Und was ist mit dem Namen Wolfram?"

"Wolfram ist ein alter Doppelname. Er setzt sich zusammen aus Wolf, eindeutig zu verstehen, und Ram. Ram ist die Verkürzung von 'Hraban' oder 'Rabm' und heißt Rabe. Der Name Wolfram bedeutet Wolfrabe. Wölfe und Raben, die Tiere des Wotan/Odin. Die Wölfe 'Gier' und 'Fraß', und die Raben 'Denken' und 'Wissen'. Sie sind die ständigen Begleiter des Götterkönigs und höchsten Zauberers. Diese sind dir in den Lebensweg getreten, als schwarzer Hund und hungriger Rabe. Wolfram als deinen wahren Namen nennen, bezieht sich darauf, dass für dich ein neuer und entscheidender Lebensabschnitt eingetreten ist, in dem du nicht mehr die alte Persönlichkeit sein kannst und auch nicht sein wirst.

In alten Zeiten hatten die Menschen sich ganz selbstverständlich einen neuen Namen zugeordnet, wenn eine derartige Lage eintrat. Namen sind Programmierungen, Vorprägungen, sie haben eine feste Bedeutung, die in ihrem Klang schwingt und sich auf die Seele auswirkt. Die Alten wussten das und gaben ihren Kindern nicht irgendwelche Namen, weil es gerade Mode war, Nicole zu heißen oder so was doofes, sondern sie suchten sorgfältig aus. Später benannten diese sich selbst, bei Eintritt ins Erwachsenenalter zum Beispiel, gaben sich damit ein eigenes Programm, prägten sich selber. Oder sie erhielten den Namen aus ihrem Umfeld, von dem sie geprägt und bestimmt wurden. Gibt es ja auch heute noch, sogenannte Spitznamen. Kamen sie dann in Umstände, die unabweisbare Veränderungen erforderten, nahmen sie einen weiteren Namen an und legten den alten meist ab. Heute ist so etwas kaum noch machbar, jedenfalls nicht nach geltendem Recht. Doch das braucht einen nicht hindern, für sich selbst und Vertraute einen passenden Namen annehmen und den amtlichen als Verhüllung führen.


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