Beide lachten lauthals, eingedenk mühseliger Poseure in kühnen Verrenkungen und Grimassen vor der Kamera, die eher unfreiwilligen Klamauk vollbrachten.
"Was auch noch größte Probleme bereitet," beklagte Eckart, "ist die Sprechweise, die beim Theater verwendet wird. Sie ist meist fürchterlich gestelzt. So spricht einfach kein normaler Mensch. Wer hat denn schon eine derartige Sprechausbildung? Ich meine, allein durch den unabdingbaren Zwang, sehr genau und deutlich zu sprechen, hebt sich ja auch die Sprechweise im Film von der des gewöhnlichen, keineswegs ungebildeten Menschen stark ab. Aber dieses Deklamieren... Einfach grauenhaft unecht! So spricht vielleicht Graf Dracula."
"Ja," pflichtete Marga lachend bei, "und dann häufig dieses Stakkatosprechen, womit Eindringlichkeit hergestellt werden soll. Das wirkt auch immer entsetzlich falsch und überdreht. Unfug! Kein normal Sterblicher fände Gelegenheit, Worte und Sätze vorher so genau einzustudieren. Wie auch, in plötzlichen Situationen? Jeder würde sich heillos verhaspeln, ungeheuer albern dastehen. Deswegen findet so etwas auch praktisch nie statt. Nicht mal die Schauspieler selbst könnten es, ohne auswendig gelernten Text und endlos viel Übung vorher. Aber man sage ihnen das mal, diesen Bühnenbrettbohrern. Himmel, sind sie dann beleidigt!
"Nun ja, liebe Marga, wir wissen ja beide, das Theater benötigt selbstverständlich stärkere Überzeichnungen in Sprache, Bewegung, Gestik und Mimik. Dort sind die Darstellenden, obwohl unmittelbar vorhanden, viel weiter von Augen und Ohren des Publikums entfernt, als im Film oder Fernsehen. Obgleich ich mich bei vielen gesehenen Aufführungen fragte: Was soll das überflüssige Getue? Aber das liegt auch an den Regisseuren und Dramaturgen. Schließlich ist es vielfach und einzig nur die Schuld der Ausbildungsstätten. Diese sind auf Theaterschauspiel fixiert. Insbesondere hierzulande. Und ohne wahnwitzig hohe Subventionen öffentlicher Hände wäre Theaterschauspielerei eine reichlich brotlose Kunst. Aber niemand wagt offen die Frage zu stellen, was das Ganze eigentlich noch soll, wenn's nicht einmal die eigenen Kosten deckt, weil's nicht genügend Leute sehen wollen? Da gilt man sofort als Banause. Obwohl ich mich des anschleichenden Eindruckes mittlerweile nicht mehr erwehren kann, dass es genau umgekehrt ist: Staatstheater ist Pflege akademischen Banausentums mit teuer bezahlten Steuern!"
"Tja, da ist was Wahres dran, lieber Eckart. Gemessen am öffentlichen Aufwand, dürften Hollywood-Produktionen nicht nur keine Chancen haben, sondern die USA müssten von hier mit Kulturerzeugnissen überrollt werden. Nur, es ist nicht entfernt so! Und die bestimmenden Herrschaften lamentieren zwar laut, aber sie nehmen die wahren Gründe einfach nicht zur Kenntnis. Betrachten wir mal ein ganz besonderes Beispiel verunglückten Filmschaffens: Den letzten Film zum Thema 'Haarmann', mit Götz George in der Hauptrolle! Zweifelsohne ein überragender Mime, auch und besonders im Film. Aber was nützt das? Diese ganze Sache ist mal wieder so richtig bierernst und verplumpst deutsch. Da hat man ein Thema, in dem nun wirklich fast alles drinsteckt, was das Cineastenherz begehren könnte: Horror, Sex und Irrsinn! Und was wird daraus gemacht? - Ein verlabertes Kammerspiel! Todlangweilig! Als Theateraufführung wäre es in Dramatik und Tiefgreifenheit vorzüglich. Dieser George ist wahnsinnig gut und ausdrucksreich, ebenso sein Gegenpart. Aber das, als Kino- oder Fernsehfilm? - Vollständig daneben! Noch mehr kann man gar nicht daneben sein."
Offenbar passten sie menschlich und beruflich gut zueinander. Entsprechend verlief ihr Beisammensein im 'Radscha'. Sie sprachen über gehegte Wünsche und Sehnsüchte, über Zukunftspläne und Vergangenes, beendeten das vorzügliche Menü mit wirklich sehr gutem Wein. Zeit verging im Fluge. Und als sie zufällig die Uhr bemerkten, brach bereits letzte Tagesstunde an.
"Mit dir verliere ich mich vollkommen", sagte Eckart verträumt.
Sie nickte stumm, meinte dann: "Es geht mir ganz genauso. Solche Abende, wie den gestrigen, aber ganz besonders jetzt diesen, habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Du entführst wunderbar in andere Räume und Zeiten."
"Ich habe auch diesen Eindruck. Bist du in Wirklichkeit eine heimliche Fee?"
"Vielleicht?" lächelte Marga vielsagend.
"Leider geht unser Abend nun langsam zu Ende", bedauerte Eckart, hauchte selbstvergessenen Kuss auf Margas Hand.
Marga strich ihm zart über die Wange. "Der Abend bestimmt, mein Lieber, aber nicht unbedingt unsere Zeit..."
"Soll ich das so verstehen, dass..."
"Still", flüsterte sie, legte ihren Finger an seine Lippen. "Rede nicht mehr, lass einfach wirken."
Eckart küsste sie erst scheu, dann fordernder und immer leidenschaftlicher. Schweigend bedeutete er nach langen Minuten, er müsse nun die Rechnung bezahlen, schließlich habe er eingeladen und nicht umgekehrt. Sie nickte, zerbrach knisternde Spannung mit keinem Laut. Arm in Arm verließen sie das ,Radscha', bestiegen Eckarts alte Mercedeslimousine. Wortlos verständigt, dass sie zu Margas Wohnung fahren, gemeinsame Nacht verbringen wollten. Verwunschene Fahrt folgte.