"Wer kaut denn schon auf Briefen herum oder steckt sie in die Nase oder sonst wo rein?" zweifelte Eckart und schüttelte den Kopf.
"Tja, das ist der hinterhältige Trick dabei. Der Umschlag enthielt offenbar viele zusammenbackende Blätter, was gewöhnlich dazu veranlasst, einen Finger mit Speichel zu befeuchten um die Blätter auseinander zu kriegen. Bei vielen Blättern macht man das ziemlich oft. Und bei entsprechend hohem Giftauftrag oder Eintränkung... tja." ,Spion' ließ den Satz absichtlich unvollendet.
Eckart saß wie vor den Kopf geschlagen, starrte die beiden Beamten entsetzt an. "Das ist ja... das ist ja... unglaublich!"
"Allerdings, Herr Umgelter. Und darauf muss man erst einmal kommen. Außerdem lässt sich das kaum erkennen und somit schlecht nachweisen. Einzig der alte Dorfdoktor vermutete Tollkirsche, wegen der riesig geweiteten Pupillen von Frau Sutthoff. Die Krankenhausärzte wären selbst niemals darauf gekommen. Glücklicherweise lagen Brief und Blätter neben dem besinnungslosen Opfer, konnten untersucht werden. Ergebnis: Höchstwahrscheinlich Knollenblätterpilz- und Tollkirschengift!"
"Ich muss sofort hin, meine Herren! Ich will bei ihr sein!" Eckart sprang auf.
"Das wird nicht gehen, weil Frau Sutthoff schnellstens in eine Spezialklinik verlegt wird. Wahrscheinlich wurde sie schon mit Hubschrauber ausgeflogen. Sie schwebt in Lebensgefahr!"
"Aber irgendetwas muss ich doch für sie tun, ich kann sie doch nicht allein lassen!"
"Im Augenblick können sie gar nichts tun, Herr Umgelter. Bestenfalls beten. Tut uns sehr leid! Auch wir überbringen nicht gern scheußliche Nachrichten."
Man verglich noch Schriftarten unerbetener Lehrbriefe und deren Umschläge mit dem sorgfältig eingeschweißten Giftumschlag. Alles offenbar von PC-Druckern. Ansonsten keine Übereinstimmung. Aber bei derart hinterhältigem Verfahren wird wohl kaum wer jedes Mal denselben Drucker oder dieselbe Schreibmaschine benutzen. Wenn, dann verfertigte man solches gleich in allgemein zugänglichen Kopierläden. ,Spion & Spion' nahmen aber trotzdem die Lehrbriefe mit. Genauere Untersuchung ergebe womöglich zufällig Hinweise, meinten sie. Und genauso zufällig erinnere vielleicht jemand nebensächlich erachtete Vorgänge dadurch. Könnte immerhin helfen
"Passen sie künftig auf, welche Briefe sie bekommen", mahnten sie noch, verschwanden wieder in Kälte draußen.
Eckart blieb voller Sorge und überschlagender Gedanken zurück. - Marga in Lebensgefahr! - Schließlich raffte er hoch, fuhr ins Büro. Trübselig herumsitzen ginge auch am Schreibtisch. Und dort wenigstens nicht allein.
Bei Eca-Media summte es wie in einem Bienenkorb. Annemarie Treusch leitete als Fels in Brandung alles in geordnete Bahnen, bewies eingehend ihre Fähigkeiten. Eckart schwirrte zuerst der Kopf. Aber dann fand er keine Zeit mehr für Trübsal, stürzte gezwungenermaßen in Strudel liegengebliebener Arbeit. Eine Besprechung folgte auf die nächste. Hauptsächlich Angelegenheiten, welche eigentlich Carls Gebiet. Etliche Male musste er mangelnde Ahnung eingestehen, vertröstete teilweise ungehaltene Leute auf Carls baldige Genesung oder versprach rasche Rückfrage an dessen Krankenbett.
Carl Bramberg schien eindeutig auf dem Wege der Besserung. Sie sprachen kurz fernmündlich miteinander. Besuchen konnte Eckart ihn nicht. Einfach keine Zeit! Carl lachte leise. "Dann kannst du mal leibhaftig nachfühlen, was ich alles sonst um die Ohren habe."
"Ich war nie der Meinung, dass du faulenzt, lieber Freund. Genau deshalb trennten wir unsere Aufgaben. Was hältst du davon, wenn wir schnellstens unserer Frau Treusch Prokura oder sofort wenigstens Handlungsvollmacht erteilen? Die ist echt fähig! Und in solchen Fällen kann sie dann übergangslos übernehmen." Carl stimmte sofort zu.
Annemarie Treusch zeigte sichtlich Freude über ehrliche Anerkennung ihres Könnens. Sie kannte Eca-Media's wirtschaftliche Lage, erwartete vorläufig keine Gehaltsaufbesserung. Schließlich strichen ihre ,Chefs' oft genug nur Verluste oder vergleichsweise wenig ein, bezahlten Gehälter, ihnen selbst in solcher Höhe verwehrt. Frau Treusch versprach, sie werde alle bisherigen Aufgaben in vollem Umfang weiterhin erledigen. Sekretärin, sinngemäß übersetzt: Vertraute, im wahrsten Sinne des Wortes! Man könne bei künftigen Gewinnen Tantiemenanteil absprechen, statt höherem Festgehalt. Sehr vernünftige Frau.
Eckart bat, sie möchte für ihn ein Vieraugengespräch mit Senta Kallweit vereinbaren. - Unbedingt Gewissheit verschaffen und Senta Kallweit selbst gegenübertreten. Sollte sie tatsächlich nicht diejenige sein, welche er und Carl kannten, dann... Ja, was dann? Welche ist dann die richtige? Und was folgt daraus?
Auf jeden Fall müssen andere Maßnahmen getroffen werden! - Aber welche?
Frau Treusch stutzte etwas, erledigte es jedoch umgehend, bekam tatsächlich Zusage. Erstaunlich! Rechnete er doch eher mit schlichter Ablehnung oder Vertrösten auf Sankt Nimmerlein, nachdem die Kallweit Carl Bramberg einfach rauswerfen ließ. Morgen Nachmittag habe Frau Kallweit eine Viertelstunde Zeit. Und er soll bittschön außerordentlich pünktlich sein. Am besten noch gestern, gell? - Allerhand!
Zwischendurch rief er wegen Marga mehrfach im genannten Krankenhaus an, behauptete kurz angebunden, sie seien verlobt. Man erteilte daraufhin bereitwillig jede gewünschte Auskunft. - Was dieses dusselige Zauberwort doch alles an Hindernis aus dem Wege räumt? staunte Eckart. - Marga Sutthoff liege im Koma, wurde noch vergangene Nacht mittels Hubschrauber in Sonderkrankenhaus ausgeflogen. Dortige Ärzte übten fernmündlich zweckdienliche Zuversicht, trösteten mit geschäftsmäßig einfühlsamen Worten. Allerdings redeten sie ihm nachhaltig aus, sofort losstürzen und an Margas Bett wachen wollen. Das bringe nur unnötige Umstände für die Patientin. Sie werde ständig überwacht und von ganzem Schwarm Pflegekräften und Ärzten betreut.