Nachdem dreifältige Heiterkeit etwas wich und beider Freunde Kleidung neu geordnet, klärten sie Annmarie Treusch über gehabte Posse auf. Sie lachte laut und meinte: "Nein, Herr Bramberg, eine solche Mitteilung hätte bestimmt keinen sonderlichen Eindruck auf mich gemacht. Ich hätte höchstens gegackert, nachdem sie wieder fort gewesen wären. Aber Herr Umgelter und Frau Sutthoff - die Sutthoff - da kann ich nur gratulieren. Das freut mich sehr für sie, Herr Umgelter, und natürlich auch für uns alle hier. Sollen wir das mit dem Schreiben hier später machen, Herr Umgelter?"
"Oh ja, bitte, liebe Frau Treusch. Darum kümmere ich mich nachher bestimmt."
"Wir haben gerade Kaffee gemacht. Möchten die Herren auch welchen?" fragte sie lächelnd.
"Danke, Frau Treusch," antwortete Carl. "Das ist ganz zuvorkommend. Wir kommen dann rüber und setzen uns zu den anderen dazu."
"Ist gut, meine Herren", erwiderte sie, verließ Eckarts Büro, schloss die Tür.
Carl grinste seinen Partner an. "Du hast mir noch gar nicht erzählen können, was die Sutthoff'sche von dir wollte."
"Also, das geht dich doch nun wirklich nichts an, Herzensfreund."
"Ach Quatsch, Eckart! Ich würde dir doch auch so etwas erzählen. Lass doch diese alberne Geheimnistuerei. Sag schon!"
"Wir werden uns heute Abend treffen, indisch oder japanisch essen gehen, und dann sehen wir weiter...", berichtete er schließlich kurz.
"Ganz wundervoll, mein Lieber."
"Sei dir darüber im Klaren, dass es vertrauliche Zweisamkeit ist und nicht geschäftlich."
"So genau wird das nicht zu trennen sein. Außerdem, was könnte besseres sonst passieren?" Carl klopfte Eckart aufmunternd auf die Schulter.
In Margas Wohnung hob Stunden später niemand den Hörer ab, weshalb Eckart ihre Handynummer anrief. Vor einem der Uraufführungskinos des Festivals treffen, wurde vereinbart. Er bestellte in einem namhaften indischen Fresstempel lauschigen Tisch zu zwanzig Uhr. Danach las er auf seinem Schreibtisch türmende, neu eingegangene Post.
Ein Brief schien offenbar privat an ihn gerichtet. Ohne Absender. Eigenartiger Umstand. Er öffnete, fand darin eine Art Lehrbrief von Unbekannt mit dem Titel: Runen! Zeichen gewordener Weltgedanke! - Was soll das denn?
Nicht erinnerlich, er habe jemals irgendwo derartiges angefordert. Vielleicht bloß vergessen? - Nein! Sicher nicht! Anscheinend verschickte dies irgendwer ungefragt. Wo kam der Brief her? Unklar, weil Poststempel neuerdings meist auf ,Briefzentrum' lauten, statt Absendeort. Zwar prangte stets des Briefzentrums Nummer, aber erstens wusste er ohnehin nicht, welche Zahlenfolge welchem Zentrum zugeordnet, und zweitens könnte er sie gar nicht lesen. Völlig verwischter Stempel. Merkwürdige Zusendung! Obendrein namenlos. Kopfschüttelnd steckte er den Umschlag in seine Jacke auf der Rückenlehne des Schreibtischsessels. Bei nächster Mußestunde würde genauerer Augenschein Geschriebenes erschließen. Jetzt standen Geschäftsangelegenheiten vornan.
Ungeduldig fieberte Eckart dem Abend entgegen, blieb bis neunzehn Uhr im Büro, mochte nicht nach Hause fahren und verbleibende Zeit im großen leeren Haus verbringen. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu Marga Sutthoff. Versonnene Blicke durch Fensterglas auf belebte Straße, drei Stockwerke tiefer. Unten wirrten geschäftig Leute, brausten Autos ungezählt übers Pflaster. Beständig brummten verschiedenste Motoren. Ab und an drängten Hupen dazwischen. Gedämpfte Geräusche.
Irgendwie hat es mich erwischt. Ich denke nur noch an diese wundervolle geistreiche Fee. Bin ich verliebt? - Ja! Was denn sonst? Ich muss verliebt sein! Unablässig denke ich nur noch an sie.
Marga! - Beide Silben schwangen durch Eckarts Gehirnwindungen, schlüpften ins Rückenmark, sprangen Wirbelsäule entlang herunter, breiteten ins Becken, durchliefen gespannte Schenkel, hinab über Schienbeine, fluteten bis in Zehenspitzen. Dann wallte es pulsend aufwärts, durchströmte Bauch und Sonnengeflecht, sammelte in schwellenden Brustmuskeln, kam als sanfter Lauf in Kehlenbereich, erfasste Gaumen und Zunge, steigerte unwillkürlich zum gesprochenen "Marga!"
Selbst Zähne durchperlt. Darüber hinweg und vorbei glitt doppelsilbiger Name, füllte nüchtern sachliches Arbeitszimmer samt Schreibtisch und Ablageregale, sprang über in Fingerspitzen. Bereitwillig aufgesaugte Tonschwingung von Ellenbeugen in Armmuskeln geleitet. Wartende Spannung, fortgetragen zu Schultern. Schwingender Laut erfasste Rückenmuskeln, brachte gesamten Oberkörper in leichte Bewegung, drang in Bauchmuskeln. Sie spannten augenblicklich. Angenehmes Fließen seitlich des Brustkorbs hinauf unter Achseln, herunter zu den Hüften, wartete im Schoß, wo Kleidung zunehmend enger. - Marga!
Ach du lieber Himmel! Jetzt hab ich auch noch einen Ständer, dass Gott erbarm! - Eckart drückte flache Hand dagegen. Nutzlos! Nur noch strammer darunter.
Dann endlich. Alle anderen machten längst Feierabend. Eckart schloss das Büro ab, lief zum Parkplatz. Gesamte Wegstrecke wie auf Wolken, sah er gewohnte Umgebung mit ganz anderen Augen, angenehmer und schöner. - Zauber! Schönster aller Zauber: Mit Haut und Haaren rettungslos verliebt!
Er stieg in den alten Mercedes, tauchte ins Gewühle abendlichen Straßenverkehrs. Scheinwerfer entgegenkommender Wagen zwinkerten ihm scheinbar zu, als ob diese Blechwesen und deren Fahrer wüssten, er steuere besonderen Stunden entgegen. Auch Ampeln sprangen wundersam rasch in Gelb und dann auf Grün.