Etwas bedrückt saß er nächsten Tags im Büro. Erneut spukte der ,Schwarze Mann' in Gedanken. Auch jene seltsam unwirklichen Erinnerungen stiegen dunkel hoch. Eigentlich nicht richtig seine! Es wäre sicherlich gut gewesen, wenigstens mit Marga über Dinge und Zustände sprechen, womit er wenig anfangen konnte. Sie stand dahingehend außerhalb, half durch andere Blickwinkel womöglich weiter. Schließlich widmete er wieder dem ,Bürokram' ganze Aufmerksamkeit. Der wollte auch erledigt sein.
Kurz vor Feierabend läutete sein Telefon. Eckart hob leicht unlustig den Hörer ab. "Umgelter!"
Die Leitung schien nicht tot. Doch außer Rauschen drang kein Laut heraus. - Atmet wer am anderen Ende? Konnte täuschen! Fernsprechleitungen erzeugen vielerlei Geräusche.
"Hallo?" rief er in die Sprechmuschel. "Hallo, melden sie sich doch!" Keine Antwort. Achselzuckend legte er auf. Kann auch Fehlschaltung gewesen sein. Oder jemand wählte falsche Nummer für Fax, dann kommt außer Gerausche auch nichts durch... Doch, es piept!
Er zog den Mantel an, nahm seinen Aktenkoffer, schaltete Licht aus und ging. Harter Druck auf leuchtenden Fahrstuhlrufknopf. Kurz danach rollte die Tür beiseite. Blick streifte zum Spiegel innerhalb der Kabine.
Sonderlich glücklich sehe ich nicht aus, stellte er nüchtern fest. Warum? - Ich werde mich daran gewöhnen müssen, dass eine vielbeschäftigte Frau wie Marga immer wieder mal für Tage, vielleicht sogar mehrere Wochen fort sein muss. Meine Güte, bin ich verknallt...
Erdgeschoss! - Herr Neubert, der Hausmeister, kam entgegen, lächelte freundlich. "Schon wieder so spät, Herr Umgelter? Sie sollten es nicht übertreiben und sich auch mal kleine Faulheiten erlauben."
"Das will ich auch bald tun, Herr Neubert", lachte Eckart. "Aber ich wollte heute nicht einfach alles stehen und liegen lassen. So etwas geht einfach nicht, wenn der Laden laufen soll."
"Oh, Herr Umgelter, sie fahren in Urlaub?"
"Nicht lange und auch nicht sofort, Herr Neubert."
"Na, dann wünsche ich ihnen trotzdem viel Freude und Erholung, und auch noch einen schönen Abend, Herr Umgelter."
"Vielen Dank, Herr Neubert, ihnen auch einen schönen Abend!" Eckart trat in Finsternis beginnenden Winters.
Empfindlich kalt. Nebelschwaden waberten durch dunklen Parkplatz, patschende Schneeflocken bildeten unangenehmen Matsch am Boden. - Nasse Kälte! Wie ich das hasse! - Fröstelnd hob er die Schultern, stapfte zum Wagen, weit entfernt abgestellt. Schmuddelige Spuren hinterblieben. Nacht drang aus eingeschlagener Richtung, winterdürre Gebüsche am Ende. Endlich bleiche, kaum erleuchtete Stelle erreicht. Er kramte in Manteltaschen nach dem Autoschlüssel, hielt unvermittelt inne.
Nicht mehr allein! Schneller Blick nach hinten. Düstere Umrisse zum Greifen nah! Zuckender Schreck riss ganz herum. - Der ,Schwarze Mann'!
Unter breitkrempigem Hut gleißte stechend ein Pünktchen. Auge des Fremden, vom fernen Straßenlaternenlicht getroffen. Langer schwarzer Mantel ließ ihn wie eine Säule wirken. Unbeweglich. Nur das glitzernde Auge verriet Leben, blieb starr ausgerichtet.
Eckart glaubte, sein Herz stolpere, stand wie festgewachsen, wagte keinen Mucks, nicht umwenden, Auto aufschließen, einsteigen und in Sicherheit der Frühwinternacht verschwinden. Kälte kroch aus mittlerweile frierendem Boden an Beinen hoch, über den Unterleib bis zur Brust, vereiste allen Atem. Er schnappte nach Luft. Heiserer Laut kratzte Kehle.
Dem hau ich jetzt eine rein, dass es nur so kracht! - Mit entschlossenem Ruck trat er auf den Lauernden zu. Misslungen! Dicker Stein im Wege, vom Schnee verdeckt. Zu spät bemerkt. Rechter Fuß knickte um, Aktenkoffer polterte dumpf in nasse Watte. Eckart stürzte seitlich zu Boden, konnte nicht mehr abfangen, prallte auf matschigen Untergrund. Scharfer Schreckschrei.
Sofort aufstehen, Angriff abwehren! - Beide Hände tauchten in eiskalten Schlamm aus Sand und nassem Schnee, stemmten hoch. Eingeknickter Fuß versagte schmerzhaft. Mindestens Sehne gezerrt, wenn nicht schlimmer. Jetzt bin ich ihm ausgeliefert! raste panisch durchs Gehirn.
Urangst brach blindlings Bahn, schallte weit über menschenverlorenes Autogewirr. Kopf ruckte herum, Augen suchten dunklen Feind. Mindestens sehen, wann verbissen letzte Gegenwehr sein musste! Kein leichtes Opfer werden, rasend kämpfen, dem Angreifer wenigstens schaden, eigene Haut so teuer wie möglich verkaufen! - Aber dort, wo er den großen Fremden wähnte, stand niemand.
Rasch nähernde Schritte. Er überfällt dich von der anderen Seite! schrie es im Kopf. Trittgeräusche verstummten neben ihm. Abwehrend hob Eckart beide Arme, drehte förmlich durch, als die Gestalt niederbeugte. Er schlug mit aller Kraft zu, ließ dumpfe Fausthiebe in den Schatten schnellen, der nur mit Mühe dem Gewaltausbruch auswich.
"Hören sie auf!" brüllte es erschrocken. "Herrgottnochmal, hören sie doch auf! Ich hab einen Schrei gehört und will doch nur helfen!" Der Unbekannte fasste ein wirbelndes Handgelenk, hielt umklammert. Im gleichen Augenblick begriff Eckart, dass dies nicht der ,Schwarze' sein konnte. Wilde Abwehr erlosch. Der andere hielt Eckarts Handgelenke fest, wollte nicht noch einmal derart schmerzhaft von Fäusten getroffen werden. "Ich will ihnen doch nichts tun. Ich hörte einen Schrei und glaubte, da passiert was. Ich bin hier Wachmann, jetzt aber nicht im Dienst. - Beruhigen sie sich erst mal!"