Auch folgenden Tag aufreibender Umtrieb bei Eca-Media. Erst am Mittag schwand allgemeine Hast etwas. Viele Zeitgenossen saßen irgendwo hungrig beim Essen.
"Vergessen sie ihren Termin um vierzehn Uhr bei Senta Kallweit nicht", erinnerte Frau Treusch. "Ich werde jetzt erst mal einen Happen essen, wenn nichts anderes vordringlich anliegt."
"Danke, Frau Treusch! Gehen sie ruhig essen. Ich werde auch gleich nachkommen." Eckart nickte angestrengt lächelnd.
Sonst allgemein übliches "Mahlzeit" galt hierorts als vollkommen daneben und grausam peinliche Entgleisung. Wer dies unsägliche Unwort wagte, musste nachmittags alle mit Kaffee und Kuchen bedienen. Gleichgültig, ob weiblich oder männlich. Das vertrieb oberdumm grässliche Unart ausgesprochen rasch. Wer mochte schon mit Spitzenhäubchen und Servierschürzchen behangen durch Räume traben, "Frollein" gerufen werden und mit Knicks klirrende Kaffeetassen und Kuchenteller hinstellen? Ganz abgesehen davon, erkundete so manch rührige Hand knackiges Hinterteil und alles grinste noch tagelang anzüglich.
Nach dem Essen rief Eckart zum wiederholten Male das Krankenhaus an, in welchem Marga Besserung angedeihen sollte. - Keine Änderung! Weiterhin lag die Ärmste bewusstlos, versorgt über Schlauchleitungen, bewacht von allerlei rotgeränderten Augen. Es sei zumindest keine ersichtliche Verschlechterung ihres Zustands eingetreten, vertrösteten diensthabende Oberschwester und Stationsarzt. Sobald andere Befunde vorlägen, wolle man Eckart umgehend benachrichtigen.
Wenig aufmunternd! Er bangte um seine große Liebe, erzählte Carl jedoch nichts davon. Zwar längst auf bestem Genesungspfad, sollte ihm dennoch keine derart schlechte Nachricht zugemutet werden. Wer weiß, welche Folgen das nach schwerer Gehirnerschütterung habe? Übermäßig ansteigender Blutdruck konnte verheerend wirken. Aufstehen durfte Carl noch lange nicht. Nach wie vor flach im Bett. Eiskalte Bettpfannen und ebenso unbequeme ,Enten' entsorgten untergeschoben wichtigste Notdurft. Fütterung unerlässlich, schließlich konnte der Gute nicht aufs vorgelegte Tablett sehen oder aus gebräuchlichen Tassen und Gläsern trinken.
"Entsetzlich erniedrigend und langweilig!" stöhnte Carl ins Telefon.
Gegen halb zwei brach Eckart auf, steuerte Senta Kallweits Ansiedlung in teurer Lage entgegen. Erstaunlich schnell Parkplatz gefunden. Offensichtlich allseits Sorge getragen, Besucher mögen rasch hinter dreifach mannshohen Hecken neugierigen Augen entzogen werden. Hier befahl kein Geldmangel! Umso erstaunlicher, wie auf davor verlaufender, sehr übersichtlicher Straße jemand einfach angefahren würde. Dazu gehört außerordentliche Unachtsamkeit am Steuer. Und wer den Unfallwagen lenkte, verriet selbstredend keine amtliche Stelle. Auch Carl wusste nichts.
Und wenn es kein Auto war...? Aber was dann? Der ,eilige' Geist?
Staunend stand er vor klotziger frühwilhelminischer Villa mit fetten Säulen am vorspringenden Eingang. Das alte herrschaftliche Gemäuer musste allein über zehn Milliönchen wert sein, wahrscheinlich sogar viel mehr. Zwar bedrückend riesenhaft ausgeführt, erschien der Bau keineswegs kunstlos oder gar hässlich. Einzig damals wohl unvermeidbar klassizistischer Vordergiebel mit Relief und Fresko. Allerdings kein geistiger Abgrund deutscher Lande. In sämtlichen europäisch geprägten Städten geplagter Welt blindet genauso missraten gelagerter Frevel selbiger Zeiten.
Übertrieben, geschmacklos und oberpeinlich! - Baumeister Schinkel verbrach im alten Preußen vieles und weitaus schlimmeres solcher Scheußlichkeit. Leider wurde er dafür niemals bestraft, stattdessen mit unverdienten Ehren zugedröhnt und albernen Orden bestickert.
Hier wanden in giebeliger Aussparung sattsam bekannte Nacktheiten beiderlei Geschlechts. Antik bollerig gebildet räkelten breithüftig weitgesäßige Weibspersonen, am Gesäuge liederlich minderbemittelt. Wahre Planschbecken. Da muss infolge Schwerkraft was runtergerutscht sein! Hinzugesellt bärtige Adonisse wirkten vielmehr unförmig knotig dick, denn muskulös. Ihnen mangelte schreiend traurig an hinreichendem Gemächt zwischen überfrachteten Oberschenkeln. Bärbeißig blickten allesamt auf Ankömmlinge herab. Schaurige Ansammlung altgriechisch geahmter Menschgestalten. Unfreiwillige Sagenungeheuer.
Warum hämmert dies kein mitleidiges Herz endlich von schandbarer Höhe? - Wahrscheinlich steht genau dieser klassizistische Müll unter Denkmalschutz!
Eckart schüttelte den Kopf, trat unter Überbau und drückte gegen riesigen Flügel doppelter Eingangtür. Vergebens. Wahrscheinlich muss erst einer der beiden löwenmäuligen Klopfer betätigt werden. Er griff zum rechts angebrachten. Ihr Götter, ist das Ding schwer! Gewaltiges Donnern kündete einlassheischenden Willen nach drinnen.
Gerade wollte er abermals Gewittergott spielen, als über bösartigem Raubtier aus Bronze vergittertes Guckloch aufschwang. Zuerst erkannte er nur helleres Augenpaar, dann dazugehörende Gesichtszüge. Verunehrter Frauenblick stach bis in tiefstes Knochenmark. "Sie wünschen?"
"...Frau Kallweit zu sprechen, Verehrteste! Wir haben uns zu vierzehn Uhr heute vereinbart. Eckart Umgelter von Eca-Media!"
"Etwas Geduld! Ich muss erst fragen, ob Frau Kallweit tatsächlich..."
"Dann machen sie das, Verehrteste", fiel ihr Eckart ins Wort. - Schreckschraube! Guckt einen sofort an, als habe man sie beleidigt.