Fünf Tage später nahm er eine Woche frei, kam letzten Tag nur kurz ins Büro. - Neuer Brief von Unbekannt! Eckart bat Annemarie Treusch, sie solle alle offenbar an ihn gerichteten Briefe gesammelt an Margas Anschrift nachsenden.
"Werde ich machen, Herr Umgelter." Ganz sicher durchforsche sie sämtliche Post mit Argusaugen.
Wahre Perle! Gescheit, gebildet, verschwiegen und kundig vertrat sie gewandt und erfolgreich Eca-Media, falls ihre ,Chefs' gerade nicht greifbar. Alltägliche Aufgabe ordentlicher Sekretärin. Und nicht etwa nur tippen oder Kaffee kochen und Nägel feilen, wie merkwürdige Leute oft glauben. Richtige Sekretärinnen sind keinesfalls bloße Steno- oder Phonotypistinnen, abschätzig Tippsen genannt, sondern arbeiten ihren Vorgesetzten zu. Ausgesprochene Vertrauensstellung! Sie brauchen umfassend kaufmännische Kenntnisse, müssen mindestens Handelsenglisch beherrschen. Stenografie und flottes Maschinenschreiben sind selbstverständlich.
Einige Bedenken blieben. Carl Bramberg lief seit längerem manchmal wie ein Schlafwandler durchs Büro, machte teilweise geradezu alberne Fehler. - Ob Nächte mit Senta Kallweit dermaßen schlauchten? - Eckart grinste verstohlen, glaubte aber, innerhalb einer Woche dürfte deshalb kaum Schaden für Eca-Media entstehen. Das verhinderte schon die fabelhafte Treusch. Eigentlich schade, dass Annemarie Treusch sich so gar nichts aus Männern machte. Sehr elegante Dame von ansprechendem Äußeren und ausgesprochen fröhlichem Wesen.
Eckart reiste mit Marga zu deren Landhaus, Schier dabei. Immerhin versprach der Wetterbericht durchgehend Frost und ausreichende Schneefälle, selbst im Flachland. Diesmal behielten die Wetterfrösche anscheinend recht. Beständig rieselten weiße Flocken herunter, deckten verschmutzten Altschnee mit sauberem Tuch. Bleich graue Tageshelle. Scharfer Winterwind fegte durch Großstadtstraßen, biss wütend in ungeschützte Haut. Innerhalb altertümlicher Mercedeslimousine spürten beide nichts davon. Deren Heizung wehrte eisige Angriffe ab. Eckart steuerte. Margas flotter Flitzer blieb hier.
"Ich habe dort noch einen Rover mit Allradantrieb. Der ist fürs Land sowieso besser geeignet", erklärte sie.
Wuselnder Großstadt Rücken gekehrt.
Nachdem sämtliche Vororte im Dämmer verschwanden, längst auf der Autobahn, schaute Marga kurz zu ihm. "Na, mein Lieber, wie fühlst du dich jetzt?"
"Wunderbar! Warum fragst du?"
"Vielleicht fürchtest du Langeweile auf dem Lande?"
"Nein! Was ich an Abwechslung brauche, sitzt neben mir."
Offensichtlich gern gehört. "Ich habe das Gefühl, dass ich ein tolles Drehbuch schreiben werde. Du regst mich unheimlich an."
Eckart lachte leise. "Bin ich so etwas wie ein 'Muser', das männliche Gegenstück einer Muse, der dich tief küsst und dir Eingebungen spendet?"
"Ganz sicher, mein Lieber. Wenn nicht sogar mehr. Nur wenn alles übereinstimmt, kann etwas geschaffen werden. Aus Seele! Und jede Seele ist ungeheuer viel einfallsreicher als man annimmt, so man sie nur lässt."
Zweieinhalb Stunden später blieb rasender Autobahnverkehr zurück. Sie fuhren auf recht beschaulicher Landstraße. Links und rechts dehnte flaches Gelände, nur wenig unterteilt von sanften Hügeln und spärlichen Wäldern. Heideartig abwechselungsarme Gegend im früh hereingebrochenen Winter. Aber auch solche Landschaften besitzen Reiz, sind nicht trist.
"Gleich sind wir da", verkündete Marga, seit geraumer Fahrzeit ins Einsilbige verstummt. Sie lebte jedoch sichtlich auf, je weiter die alte Mercedeslimousine in einsame Gefilde vorankam.
"Wenn man so aus der Großstadt hierher kommt, könnte man meinen, man käme in die Urwildnis", bemerkte Eckart scherzhaft. "Gibt es hier noch Wölfe oder wenigstens Wegelagerer?"
"Würde dich das reizen, mein Lieber?" fragte Marga lachend.
"So lange wir sicher in der warmen Stube beieinander sitzen, bestimmt", meinte er gutgelaunt. "So ein grauser Wehrwolf oder böser Räuber erhöhen die Romantik ganz ungemein. Ich käme gar nicht umhin, dich alle Nase lang retten zu müssen."
"Das würde mit der Zeit nicht nur ziemlich anstrengend, sondern auch reichlich eintönig", lachte Marga. "Außerdem gehöre ich nicht zu der Sorte Filmjungfrauen, die auf Stöckelschuhen durchs Moor wanken, ständig in den Matsch plumpsen, dann aber wie aus dem Ei gepellt, als seien sie eben ihrer Modeboutique entfleucht, vom starken Helden gerettet werden, der so gut und geschniegelt aussieht, dass man meinen sollte, er komme gerade vom Friseur, mit dem er ganz sicher ein Intimverhältnis im Fitnesscenter angefangen hat." Beide lachten über Margas unvermitteltes Kurzfilmdrehbuch.
Laublos tote Bäume säumten Straßenränder, reckten kratzende Äste in finsternden Himmel. Schneeladungen rieselten, vertieften bleiches Leichentuch auf Feldern. Trotz trüben Anblicks, fühlte Eckart Erleichterung. Endlich ein paar Tage Ruhe, kein bimmelndes Telefon, kein trillerndes Handy, keine redseligen Geschäftsleute, kein ,Schwarzer Mann'!
"Wir sind bereits da! Hier fängt schon mein Grundstück an." Margas Stimme verriet unverkennbar Stolz.
Eckart verlangsamte die Fahrt, schaute aufmerksam aus Wagenfenstern. Marga zeigte, wie weit ihr Besitz reiche. Eckart staunte. "Das ist nicht wenig, meine Liebe."