Kring 02, 08. Kapitel, Seite 60


Sie trafen in unter- und oberirdisch verlaufender Passage auf viel Kundenumtrieb und spielende Kinder. Und immer wieder Wachleute und Posten, genauso schwer bewaffnet. Diese äugten misstrauisch, brachten ihre Schießeisen in Anschlag, ließen sie jedoch langsam sinken, als beide achtlos an ihnen vorbeigingen. Keine Schusswechsel. Jedoch einige Male fast. Grimmig blickten die Wächter der Tiefen und überdachten Gänge. Finstere Fluchten verschluckten Gewühle menschlicher Schaulust, blass begrenzt von breiten Schaufensterflächen. Teilweise bereits geschlossene Läden. Dafür andernorts drangvolles Gewusel.

Schließlich verließen er und sein Freund zunehmend düster werdende Einkaufsgänge, traten auf Straßen oberirdischer Stadt. Riesengroße Stadt, worüber bleiern verdunkelnder Himmel spannte, drückende Luft in Häuserschluchten presste. Auch hier bewaffnete Wachen gegenwärtig.

Sie marschierten an vereinzeltem Wächter vorbei, der vor Eingängen lichtlosen Ladens Augenmerk schweifen ließ, sofort aufsprang als sie näherten. Noch im Sprung richtete er sein Schnellfeuergewehr auf sie. Vollkommen ungesicherte Waffe, unmittelbar schussbereit. Nur Finger krümmen würde genügen, blutvoll lebende Leiber löchern, zweierlei warmes Menschenfleisch Abendkühle übereignen. Doch der Wächter erkannte, die Freunde wollten nicht überfallen oder angreifen. Mit unbewegtem Gesichtsausdruck ließ er drohend stählerne Rohrmündung wieder sinken.

Beide Freunde wechselten wenige Worte, gingen am Wachmann vorbei, beachteten ihn nicht weiter. Gegenwärtiger Belagerungszustand verwunderte keinen. Selbstverständlicher Alltag! Man nahm das Misstrauen gemieteter Kampfbereiter abgebrüht zur Kenntnis. Zwar beachteten sie diese, blickten aber gleichgültig in drohend wachsam grimmige Gesichter.

Gefährlich drahtig gedrillte Männer, deren gut gewachsen kernige Erscheinung keinerlei Sinnlichkeit beinhaltete. Ganz zu schweigen von irgendwem möglich geweckter Begierde. Wohlgestalten als einziges Ergebnis unausgesetzter Stählung zur Tödlichkeit. Kein Mann würde den Freund in ihnen suchen, keine Frau den lustvollen Liebhaber, der ihr berechtigtes Heißverlangen löschen mochte. Zweifellos vorhandene und teilweise sicher nicht unansehnliche Geschlechtsteile dienten zweckgebundener Ausscheidung von Flüssigkeiten, wie Harn und Samenfluss durchs Glied, oder zur Ausschüttung von Steuerstoffen und Samenfäden aus Hoden. Lebensfreude verschenkten sie nicht. Geölte Maschinen! Formschön, gleich jenen schlanken Waffen in rank starken Händen.

Beide Freunde auf Heimweg zu verschiedener Behausung. Mittlerweile glitt schweres Nachtdunkel in lastgraue Dämmerung. Eckarts Freund ging voraus, eilte geradezu, blickte fragend einige Male zurück, wartete kurz, verfolgte dann noch rascher eingeschlagene Richtung. Eckart wollte nicht durch weiterhin stark belebte Innenstadt. Sein Begleiter fragte, wo er denn langgehen möchte, ob hier gleich durchs Gewühle eilender Leute - kürzeste Strecke - oder kleinen Umweg machen, weniger bedrängend. Er meinte, es sei auf jeden Fall friedlicher, Menschenballungen meiden.

Eckart pflichtete bei und sie marschierten zusammen los. Nach kurzer Zeit lief sein Freund schon ganzes Stück weiter vorn. Eckart schleppte dieses schwere Maschinengewehr. Es hinderte nicht nur Schritte, sondern schnitt und scheuerte mit dem Gurt die Schulter. Dennoch leichter, als es erster Blick vermuten ließ, nur sehr unhandlich.

Zwei Männer kamen entgegen, mischten ihren Weg zwischen seinem und vorauslaufendem Freund. Zwei junge Männer. Einer ebenfalls mit Maschinengewehr. Maschinengewehre besaßen in dieser Häuseransammlung offenbar besondere Reize. Fast alle bislang Angetroffenen besaßen unterschiedlichste Arten davon.

Urplötzlich dessen Schusslauf geradewegs auf Eckart gerichtet! Runde Schwärze vielfach genutzter Mündung starrte blank geputzt und ölig. - Schmauchiges Auge! - Schneller Blick in tödliches Loch, fünf Meter entfernt.

Eckart nahm blitzartig Deckung hinter großem Straßenlampenpfahl, eigene Waffe im Anschlag, konnte jederzeit schießen. Metallisch klickende Entsicherung. Plötzlich spuckte blitzendes Feuer aus Mündung anderer Maschinenwaffe. Geschosse prasselten hässlich gegen dicken Betonpfosten, pfiffen jaulend in wirre Richtungen, zischten heiß vorbei, trafen nicht. Steinstaub und -splitter spritzten, bissen in Haut. Er konnte nicht sagen, ob absichtlich ungezielt oder Unvermögen des schlechten Schützen.

Ursprünglich hielt Eckart auf Füße, wusste aber, er sollte jetzt erschossen werden. Mit neuerlichem Angriff musste er sowieso rechnen, hob den Lauf seiner Waffe und drückte ab. - Ratternd entfuhren harte Geschosse. Flackernde Grellzungen mähten beide Entgegengekommenen nieder. Nach kurz vergeblichem Fluchtversuch sanken sie verrenkt und todgeweiht in Staub und Schmutz grauen Gehsteigs. Blutig gelöcherte Kleidung zeigte Umrisse sickernder Flecken auf dunklem Untergrund.

Leidenschaftslos fremden Sturz in Zwischenraum zweier abgestellter Autos angesehen. Achtlos und ohne weiteres Bedauern verließ er die Todesstätte, holte seinen Freund ein, folgte ihm in harrende Dunkelheit kleiner parkartiger Anlage. Niemals sonst wäre er hier durchgegangen...

...scharf blendete gelbliches Licht. Rauschende Stille. Kneifende Schmerzen im Rücken. Eckart fror erbärmlich. Seitlich brannte die Leselampe, unter deren Lichtkegel er im Schlaf rutschte. Verkrampfte Hände hielten nichts. Der Lehrbrief glitt während unfreiwilligen Schlummers zu Boden. Lediglich dessen harter Umschlag lag verknautscht neben Eckarts linkem Schenkel im Sessel. Von draußen kroch diesjährig frühe Winterkälte herein. Er musste lange hier geschlafen haben, gemessen an schmerzlicher Unbequemheit und beißendem Kältegefühl. Was für ein irrwitziger Traum eben! Auch Kopf wenden verursachte widriges Ziehen in unterkühlten Muskeln. Die Uhr zeigte...

"Was? Drei Uhr nachts?" entfuhr Eckart unwillkürlich laut und schier entsetzt.

Diese verdammten Landbullen haben auch nicht angerufen. Jetzt weiß ich immer noch nicht, was mit Marga ist. Mist, verfluchter! - Soll ich vielleicht trotz vorgerückter Uhrzeit dort auf der Wache anrufen? - Lass es! Da hängt bestimmt nur irgendein verpennter Heini rum, nuschelt irgendwas ins Telefon und hat sowieso keine Ahnung. Falls die Wache nachts überhaupt besetzt ist. Das ist in so einer abgelegenen Gegend sogar ziemlich zweifelhaft.

Anrufversuche bei Marga endeten mit bisherigem Misserfolg. Er verzichtete auf weitere Umstände, sah genau nach, ob auch alle Fenster und Türen verschlossen. Nach kurzem Rundgang durchs Haus schälte er aus verknitterter Kleidung und ging endlich ins Bett.


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