"Nun mach doch mal voran, Junge, komm!" forderte Carl Bramberg ungeduldig. "Wenn, dann ist der Knilch hier längst getürmt, hat vor dir mehr Angst als Vaterlandsliebe, schließlich bist du kein Halbstarker."
Alles richtig. Aber weiterhin nagten Bedenken. - Dieses aufgeblitzte Bild eigenartiger Ereignisse! Hin und wieder geschah es, er kannte, sah oder nahm Dinge wahr, von denen er nichts wissen konnte. Vermeintliche Erinnerungen schossen auf, die gar nicht zu ihm gehörten. Auch schien häufig, er stehe neben allem, betrachte sein eigenes Leben außenstehend. - Bin das wirklich ich selbst?
Noch nicht völlig überzeugt, schwang er hinters Steuer, ließ den Motor warmlaufen. Scheinwerfer an. Draußen finsterten dunkle Wolken späten Herbsttag. Langsam rollte der alte Mercedes aus seinem Unterstand. Carl knipste Garagenlicht aus, verschloss grässlich quietschendes Tor und stieg gleichfalls ein. Als blasse Scheinwerferstrahlen die hohe, sonderbar teilentlaubte Grenzhecke streiften, glaubte Eckart kurz, dahinter stünde wieder jener groß gewachsene Schatten. Doch so schnell wie diese Umrisse ins Blickfeld gerieten, so rasch auch wieder verflüchtigt. Bei genauerem Hinsehen nichts mehr, worüber er unruhig werden sollte.
Ich habe in letzter Zeit wirklich zuviel Stress gehabt! Und dann noch Nathalie, dieses leidige Frauenzimmer...
Carl nannte Eckarts geschiedene Frau nie beim Namen. Er konnte Nathalie von Anfang an nicht ausstehen - und sie ihn nicht. Beruhte auf Gegenseitigkeit. Carl fand unverblümt, Nathalie sei so ein typisch unnützes Frauchen, sehr niedlich aber geistfrei. Nathalie studierte Sozialpädagogik. "Schwachsinn!" bemerkte Carl kurz angebunden und erntete ihre unverbrüchliche Feindschaft.
Drei Jahre nach Hochzeit und zwei Kinder später musste Eckart einsehen: Carls vormals flinke Einschätzung lag nicht sehr falsch! Studium ist kein Beweis echten Verstandes. Nathalies Intellektuello-Geschwätz ging ihm allmählich wahnsinnig auf den Geist. Fast alles bedeutungsloses hohles Zeug. Es klang lediglich hochintellektuell. Genauer besehen, völlige Dünnbrettbohrerei. Als Ehefrau und Partnerin weder willens, noch fähig, Eckarts geschäftliche Mühen stützen. Und ihre Freundinnen und Bekannten? Alberne Schnattergänse oder lächerlich schwaflige Softmacker gleichen Schlages. Immerhin ergatterten einige überbezahlte Amtspöstchen in öffentlichen Schulen oder anderen Staatsstellen. Stets auf Steuersäckels Kosten!
Nach Geburt ihrer Tochter forderte Nathalie ,Selbstverwirklichung', verweigerte sogar Frühstück machen, warf stattdessen viel Geld für überflüssige Jogakurse zum Fenster hinaus. Anschließend verfiel sie auf den tumben Gedanken, Flamenco tanzen lernen, nachdem in Kino und Fernsehen so ein blinder Film mit diesem lächerlichen Getrampel hochgejubelt wurde. Iberischer Schuhplattler! Dann gelüstete es nach Pferden und Reitkursen. Ponyhof für gelangweilte Hausfrauen! Nathalie verstieg sogar zur selten dämlichen Behauptung, solches und alles andere könne "als Weiterbildung von der Steuer abgesetzt werden". Ins Ohr geblasen von widerwärtiger Busenfreundin ,Nicole', was in Wahrheit ,Nie Kohle' heißen musste. Ähnlich nichtskönnendes Frauenzimmer, das auf Kosten dusseligen Ehemanns großspurig durchs Leben schnorrte.
Zum ersten Mal kamen Eckart harte Zweifel und gehöriger Ärger ob seiner Ehewahl, blieb jedoch zurückhaltend, erklärte haarklein, dies ginge ganz sicher nicht. Und selbst wenn, dann bedeute "von der Steuer absetzen" keineswegs, man dürfe besagte Kosten einfach von Steuern abziehen. Von Steuern dürfe niemals etwas abgezogen werden. Kriminell! Strafbare Steuerhinterziehung! Absetzen bedeute lediglich, geminderte zu versteuernde Einnahmen.
"Pass mal auf, meine Liebe", meinte er mühsam beherrscht, "wenn du beispielsweise tausend Taler oder was auch immer zu zehn Prozent versteuern musst, also hundert Taler Steuern, und rechnest beispielsweise zweihundert Taler als Absetzung, dann müssen immer noch zehn Prozent Steuern für achthundert Taler berappt werden. Also achtzig Taler, statt vorher hundert! Bei der Steuer werden dabei nur zwanzig Taler gespart, bleiben in unserer Beispielsrechnung also hundertachtzig Taler Kosten übrig. Und die sind futsch! Futschikato! Zum Fenster rausgeflattert! Denn hättest du für tausend Taler zehn Prozent Steuern bezahlt, blieben dir immerhin neunhundert Taler. Jetzt hast du nur noch siebenhundertzwanzig Taler. Du musst erst viel mehr Geld ausgeben, bevor du etwas bei der Steuer einsparst. Deshalb ist Steuern zahlen in jedem Fall billiger. Und außerdem kann man nicht mehr Steuern sparen als man zahlen müsste. Wir zahlen noch keine Einkommensteuer, weil unsere kleine Firma nur sehr geringe Gewinne erzielt, vielfach sogar Verluste anfallen. Also kommt Absetzen sowieso nicht in Frage, Herzchen!"
Entweder verstand Nathalie dies einfache Beispiel nicht oder wollte nicht verstehen, weil ihrem schlichten Wolkenkuckucksheim widerlaufend. Jedenfalls bestritt sie alles. Dabei besaß sie hinsichtlich kaufmännischem Rechnen und Steuern keinen faden Dunst, wollte auch nichts davon wissen oder lernen. Tagelang schmollte sie, nervte herum, bis es Eckart zu bunt wurde.
Ihr erster lautstarker Ehekrach mit allem Drum und Dran: Zersplitterten Gläsern, Tassen und Tellern! Gleichfalls alles auf Eckarts Kosten. Selbst verdiente sie keinen Pfennig. - Wie auch? - Sie beherrschte noch nicht einmal Schreibmaschine, und Sozialpädagog/inn/en sind überflüssig wie Pissoire im Damenklo. Dafür wurde sie alsbald erneut schwanger. Ein Sohn! Nachdem dieser knappes Jahr alt, kam eines Abends unvermeidlicher Bruch zwischen Eckart und Nathalie.