Doch nicht nur solches ist mit Runen möglich. Nachrichten wurden in Stäbe geschnitten, deren Zeichen jeder getrost sehen durfte. Man verwendete dazu Buchenstäbe. Daher unser Wort ,Buchstabe' und Ansammlung solcher Stäbe galt als ,Buch'. Altgotisch war einst germanische Schriftsprache. ,Runa' ist altgotisch und heißt ,Geheimnis'. Geheim überbrachte Mitteilung, verstanden nur von denen, welche dazu ,Schlüssel' besaßen. Und dieser Schlüssel war und ist selbst geheimes Wissen, reiner Gedanke. Runenbedeutungen kennen nützte nichts, kannte man nicht den Schlüsselgedanken und worauf die Nachricht gemünzt.
Es bedarf also genauer Absprache zwischen Nachrichtentauschenden. Nur diese wissen um echten Schlüssel. Fremde sehen die Nachricht zwar, können sie durchaus lesen, jedoch niemals verstehen. Dazu müssten sie erschließenden Gedankengang wissen, welcher Angelegenheit dies zugeordnet und worauf bezogen. Umfangreiche Gedankenkette! Denkbar beste Verhehlung. Denn kennt oder kannte man diese Kette nicht in allen Einzelheiten vorher, blieb und bleibt jedes Bemühen vergeblich. Hinter einem einzigen harmlosen Wort weniger Zeichen kann ausführliche Mitteilung verborgen sein. Auch ausgefeilteste Rechnerprogramme heutzutage oder erfahrenste ,Kryptographen' können sie nicht ergründen. Erstere können Gedanken nicht aufschlüsseln und zweite erkennen sie bestenfalls grob. Nur echte Gedankenleser (Telepathen) kämen voran, könnten aber auch getäuscht werden.
Im nächsten Brief mehr über Verschlüsselung. Ferner werden beispielhafte Ergründungsmöglichkeiten erklärt, worin selbst sogenannt naturwissenschaftlich technische Bereiche eingeschlossen, vergleichbar vorher angeführtem Merksatz zur Eigenschaft des Feuers.
Eckart tauchte aus fremd anmutender Denkwelt hoch. - Wirklich fremd? Nicht unterschwellig längst bekannt?
Mittlerweile fraß frühe Dunkelheit wieder einen kalten Tag, bestätigte kurzer Blick durchs hohe Fenster. Bleiche Weite dahinter. Fern blinkten wenige Lichter aus dörflichen Häusern. Vor breitem Eingang des Landhauses fast schon Nacht. Riesige alte Bäume trennten von übriger Welt, verdunkelten winterlichen Spättag zusätzlich. Plötzlich ruckte Eckart hoch, verhielt Atem.
Knirschende Schritte draußen! - Nein, keine Täuschung! Auch ungewohnte Laute des Landes nicht mit Trittgeräuschen verwechselt. Da läuft wer! Verdammt, wer treibt sich hier am Haus herum? Kann nur jemand sein, der hier nichts zu suchen hat!
Schleunig zur doppelten Haustür, leise geöffnet, misstrauisch hinausgelugt. Was weiter vorn zwischen gewaltigen Bäumen stand, ließ schier Blut in Adern gefrieren: Die hohe Gestalt des ,Schwarzen Mannes'! - Er ist mir hierher gefolgt!
Wieder tauchte unerklärliches Bild hoch, stürmte durch Gedanken: Krachender Blitz schlug in Laternenpfahl, peitschender Regen klatschte nieder. Gerade noch in Toreinfahrt gerettet. Von dunkel gekleideter Frau hastig durch unbekannte Gänge geführt, schließlich glitschig schmalen Sims entlang. Eile geboten! Schlagartig verschwand ihre Gestalt. Heiße Angst! Aber sie wartete in rundem Höhlengang, winkte einwärts. Derweil tobte aus unterirdischen Tiefen Tödliches näher. Gerade noch hinter mächtige Sperre geschlüpft, bevor ES heranbrauste und wütender Wucht aufprallte. Anschließend ganz gewöhnliche Tür... irgendwelche rote Zahlen glotzten.
Eckart schüttelte unerbeten inneres Bild fort, blickte wieder in schneebleichen Vorhof, wo der Schatten weiterhin wartete. Ruckartig Hofbeleuchtung angeschaltet. Grelles Licht gleißte bis zu jenen riesigen Bäumen, blendend zurückgeworfen vom makellosen Weiß reichlich gehäufter Flocken. - Nichts! Kein ,Schwarzer Mann'. Hochgeschnellter Puls verlangsamte fast augenblicklich. Trockenes Lachen kratzte Kehle. Blöde Täuschung! Und darüber echt froh. Andererseits beunruhigend, solch wahnhaften Sichten erliegen. Immerhin hörte er Schritte. Bang drängende Frage, ob er seinen Sinnen noch trauen konnte?
Ich hätte vielleicht doch eingehender mit Hagen Wiechert sprechen sollen! - Alles echt oder Einbildung? Die Gestalt des Schwarzen Mannes habe ich wohl unbewusst erwartet und unscharfen Schatten im Dunkel dafür gehalten. Das käme hin. Doch Schrittgeräusche sind etwas anderes.
Wild entschlossen trat Eckart hinaus, vermutete gleichzeitig, er fände nur schwerlich Beweis für oder gegen Sinnestäuschung. Nachdem es frühnachmittags aufhörte zu schneien, fegten Marga und er gepflasterten Vorhof frei. Zwischenzeitlich fiel fast kein Schnee. Das reichte niemals für eindeutige Fußabdrücke, schon gar nicht im täuschenden Lampenlicht. Selbst wenn der Fremde blitzartig zwischen irgendwelche Büsche duckte, blieben kaum sichtbare Spuren.
Eingehende Betrachtung bestätigte. Trotz aller Aufmerksamkeit, nichts was als augenfälliger Hinweis gelten konnte. Vorhandene Fußstapfen mussten von ihm oder Marga herrühren. Eckart fiel ein, zusammenziehendes Holz vermag gleichfalls knirschende Laute erzeugen. Und solches Holz gab es am Haus genug. Allein Fensterläden, Fensterrahmen oder Türen und Türrahmen reichten hin. Dazu kamen Fachwerkbalken zweier kleiner Nebengebäude, gesamter Dachaufbau, und, und, und... Und dazu klirrende Kälte! Schon ist vielfaches Knirschen erklärt.
Wieder ruhig geworden, beendete er begonnen Rundgang, strebte reichlich frierend zum Landhaus... Plötzliches Knarren ließ herumfahren! - Erleichtert aufgeatmet. Aus niedriger Schlupfklappe kleinen Nebengebäudes schnüffelte der schwarze Hund. Rasch Eingang in Halle geentert und kneifende Kälte ausgesperrt, Türflügel sorgfältig verriegelt.
Marga bemerkte Eckarts merkwürdigen Zustand beim Abendessen, bohrte aber nicht weiter, nachdem er ihren Fragen auswich. Mit fast verzweifelter Leidenschaft entlud seine Spannung diese Nacht. So sehr, dass Marga einmal atemlos bat, er solle sein Ungestüm etwas zügeln.
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