"Ja, das finde ich auch von Kirchen und anderen ungeheuerlich ,gemeinnützigen' Einrichtungen immer so anmaßend frech. Dabei müssen wir alle zusammen den Löwenanteil für ihre Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten und anderes Zeug blechen. Ob wir nun in Kirche oder Trägerverein Mitglied sind oder nicht."
"Paulin erwähnte eine Tanja Mößner."
Marga ließ den Löffel in ihre Tasse klirren. Ihr Blick verengte, bekam seltsam undeutbaren Ausdruck. "Die! - Sie war hier als Hauswirtschafterin und dienstbarer Geist des Hauses. Aber ich war mit ihr überhaupt nicht zufrieden. Selbst jemand wie du, mein lieber Eckart, dessen Hauptanliegen keineswegs Hauswirtschaft ist, kann das alles tausendmal besser. - Du bist reinster Edelstein dagegen! Nicht nur im Vergleich mit dieser Person, sondern sogar rein nüchtern und sachlich besehen. - Außerdem nervte sie. Ich wollte ihr nahe legen, zu kündigen, weil ich es sonst täte. Als Köchin und Wirtschafterin war sie einfach miserabel, als Dienstmädchen eine Zumutung und als menschliches Wesen zum Weglaufen. Sie war geschwätzig, schlampig und unerträglich dumm, hatte sich in den hohlen Kopf gesetzt, mit Ferdinand Kammbach anzubandeln und Filmkarriere machen. Als ob dafür ein hübsches Gesicht und eine tolle Figur ausreichen würden. - Dumme Gans! - Aber bei Ferdinand kam sie damit sowieso an den Falschen. Der steht auf so was gar nicht."
"Wieso? Ist der schwul?"
"Jaein!"
"Was dann? Bisexuell? Aber dann wäre das doch trotzdem was für ihn gewesen."
"Auch, jaein! Ferdinand Kammbach ist ein besonderer Härtefall." Marga griente belustigt.
"Was für ein Härtefall?"
"Der steht weder auf richtige Frauen, noch auf richtige Männer. Am liebsten wären ihm Zwitter. Aber dahingehend ist die Auswahlmöglichkeit in unseren Breiten nun wirklich über alles Maß gering." Marga lachte hell auf. "Und da das so viel Schwierigkeiten bedeutet, hält er sich eben an Transvestiten. Der Spatz in der Hand ist besser, als die Taube auf dem Dach."
So, wie Marga erzählte, klang es nicht abwertend, sondern mehr nach urkomischer Geschichte. Beide brachen in befreiendes Gelächter aus.
"Na, jedenfalls ärgerte sich die Mößner unendlich darüber, dass sie bei ihm nicht landen konnte", fuhr Marga fort. "Nicht nur, dass sie in Hauswirtschaft eine komplette Niete war, begann sie mir die Ohren vollzujammern und machte Ferdinand Szenen, was ich ziemlich barsch unterband. Ich lass' mich doch nicht von so einer hohlen Milchziege nerven. Jedenfalls kam sie meiner Kündigung zuvor und entschwand nach München. Wahrscheinlich glaubte sie, dort für den Film entdeckt werden zu können. Ich war heilfroh, dass ich mich über diese dämliche Tussi nicht mehr ärgern musste."
Eckart lehnte beruhigt zurück. - Die ist also nicht tot. In München ist sie. Marga würde es sonst nicht behaupten, schließlich eine gescheite Frau. Alles andere als dumm, weiß sie, dass ihre Aussage nachprüfbar. Dieser Paulin ist wirklich ein rachsüchtiger Psychopath. Wusste er das nicht? Oder hat er diesen Umstand ganz bewusst verschwiegen? Sähe so einem Kerl ähnlich. Tanja Mößner lebt, und ich bin seit meinen Erlebnissen mit dem ,Schwarzen Mann' paranoid geworden.
"Unten im Keller, in einem alten Schrank, in einem der hinteren Räume, hängen übrigens noch ein paar Plünnen von ihr", erzählte Marga weiter. "Ich hatte versucht sie ihr nach München nachzuschicken. Aber da ist sie auch wieder verschwunden, nachdem man ihr wohl klargemacht hatte, dass sie auch Grips braucht und nicht nur eine imposante Milchwirtschaft im Pulli. Jetzt treibt sie sich irgendwo in diesem doofen Berlin herum, wo viele eingebildete Talente landen, die stieselig genug sind zu glauben, man könne auf diese Weise fehlendes 'Flair' schaffen, das sich hauptsächlich in einfältiger 'Berlinomanie' erschöpft. Dieser übertriebene Lokalpatriotismus der Berliner geht mir sowieso schrecklich aufs Gemüt. Einfach kleinlich und töricht! So etwas Bedauerliches habe ich selbst in London, Paris oder vergleichbaren Örtlichkeiten nicht vorgefunden. Jedenfalls nicht in einer so ermüdenden Art und Weise.
Besonders diese überaus tosenden Neuberliner. Da kommen sie aus irgendeinem öden Landschaftswinkel in die Riesenstadt und meinen, nun seien sie mit Weltläufigkeit geschlagen, hören sich an wie dieser eigentümliche Johann Kennedy: ,Isch binn ain Börliener'! Zum Glück wurde der Kerl zuhause erschossen. Außerdem war der katholisch. Solche reden häufig merkwürdig daher. Wie wahr, sie sind Berliner: Ein fettiges und aufgeblasenes Gebäck, das meist ziemlich scheußlich schmeckt! Genau vor solchen Leuten bin ich von dort geflohen. - Jedenfalls schrieb mir die Postfahndung vor einiger Zeit und teilte die neue Anschrift der Möse... äh... Mößner mit. Ich muss ihr endlich mal ihren Plunder nachschicken, damit sie hier bloß nicht noch einmal aufkreuzt. - Gütiger Himmel! Dieses grässliche Frauenzimmer!"
Eckart saß beschämt wegen seines dusseligen Misstrauens. - Würde sie ihm all das erzählen, wenn es nicht wirklich stimmte? Nein! Marga ist nicht doof. Sie müsste damit rechnen, dass wer nach Tanja Mößners Adresse fragt. Meine Güte, was habe ich mir da nur selbst eingeredet? - Seiner Geliebten tat er unausgesprochen Abbitte, erzählte alles, was Tobias Paulin daherredete. Marga wurde sichtlich wütend.
"Der behauptet, wir hätten diese dumme Ziege umgebracht? Der nennt mich gleichsam eine Mörderin? Dieser Amtsarsch! Das wird dem noch einmal sehr leid tun. Den werde ich in einem der nächsten Drehbücher und Filme mit vollem Namen verwursten, ihm anhängen, dass er es mit Kindern treibt, sich von denen einen abkauen lässt", schwor Marga unverbrüchlich Rache.
Und sie würde es tun. Daran hegte Eckart nicht kleinsten Zweifel.