"Mir ist nicht entfernt nach Witzen zumute, meine Beste!"
Marga stieg aus ihrer Gedankenwelt heraus, ließ erdachte Orte und Leute zurückweichen. Sie musterte ihn aufmerksam, erkannte dann, ihr liebster Freund müsse reichlich fassungslos sein. Sie stand auf, trat an ihn heran, fühlte seine Verstörung förmlich. "Was ist denn passiert, um Himmelswillen?"
Langsam und stockend erzählte Eckart von Anfang an, begann mit dem Tag, wo der Fremde zum ersten Mal auftauchte, endete beim unheimlichen Erlebnis heute. Er sparte aber abseitig klingende Vermutungen aus. Auch den merkwürdigen Brief und dessen beunruhigende Auswirkungen erwähnte er nicht. "Wie soll ich mich gegen einen Angreifer wehren, der Fähigkeiten eines Mahres zu haben scheint, den ich nicht greifen kann, der mir auf eine Weise ausweicht, die mir vollständig unerklärlich bleibt? Man ist völlig hilflos!"
Betroffene Stille. Unsicher blickte Marga von einer Raumecke zur anderen. "Um Gotteswillen, das ist ja fürchterlich! Warum hast du mir nie davon erzählt?"
Kopfschütteln und Schulterzucken als Antwort.
"Wir müssen etwas unternehmen", brachte Marga schließlich wieder heraus, selbst reichlich in Aufruhr.
Sie konnte nicht sagen, was jetzt vielleicht am besten getan werden sollte. Zusammen aus dem Haus stürmen und den Fremden suchen, schien kaum brauchbare Lösung. Der Kerl würde gerade darauf warten, dass sie beide auf ihn Jagd machen, schön in der Nähe bleiben, damit sie ihn bestimmt fänden, was? Obendrein gefährlich! Nein, wer derart schlau vorgeht, ist nicht so dumm. Der taucht mit größter Wahrscheinlichkeit anderweitig auf, will sein Vorhaben beenden.
"Ich rufe jetzt die Polizei an!" sagte sie dann entschieden. "Du brauchst denen ja nur die nackten Tatsachen schildern und die eigenen Eindrücke weglassen, deine ganz persönlichen Zweifel und Ängste verschweigen. Außerdem, geschickte und gewandte Leute können durchaus solche Fähigkeiten an den Tag legen. Daran muss keinerlei Einbildung oder geistige Verwirrung sein. Denke an die Assassinen, oder an die berüchtigten Ninja. Die betrieben solches als richtiggehende Kunst. Das ähnelt deren Vorgehensweise ungemein. Das ist bedachte Absicht, das Opfer heillos verunsichern und dann umso leichter um die Ecke bringen oder bis es sich womöglich selbst erledigt. Hauptsache tot! Schon in der alten Edda kann man derlei lesen. Obergott Odin rühmt da in Lehrgedichten sehr deutlich Hinterlist und Verschlagenheit gegenüber Feinden. Und dessen Fluch bewirkte, dass die damit belegten irgendwann durch eigene Unachtsamkeit zu Tode kamen. Odin galt übrigens als Gott aller Künste. Schon damals gab es richtiggehende Mörderzünfte, Könner ihres Fachs, und nicht nur männliche."
Eckart schaute zuerst fast ungläubig, küsste sie plötzlich erleichtert stürmisch. "Stimmt! Daran habe ich überhaupt noch gar nicht gedacht, ich Depp. Kluges Mädchen!"
Marga nahm den Handapparat des schnurlosen Gerätes und wählte.
Gute Stunde später erschienen zwei schwergewichtige Streifenpolizisten, denen Eckart genauestens schildern musste, was ihm widerfahren. Sie schränkten ein, wiederholtes Auftauchen des Unbekannten verweise den Fall in Zuständigkeit der Kriminalpolizei. Sie selbst werden nur fahnden, ob in der Gegend jemand herumschleiche, auf den diese Beschreibung passe. Gleichzeitig ließ man durchblicken, wie unbrauchbar Eckarts Beobachtungen seien, weshalb keine große Hoffnung bestehe, den Fremden rasch ausfindig machen. Aber die Angelegenheit würde unverzüglich zuständigem Kriminalkommissariat übergeben.
Eckart gewann eher den Eindruck, beide dicke Beamte verspürten keine sonderliche Lust, sich eisig dunkle Nacht um die Ohren zu hauen. Wegen einer wenig ergiebigen und vielleicht sogar überspannten Angelegenheit? Bei diesen ,Künstlern' und deren Anhang weiß man ja nie... mochten sie denken. Gemeinsam besichtigte man noch den Ort bei der Buschzeile.
Und das war es dann! - Befürchtungen blieben gleich grauen Gespenstern schweben, welche jederzeit herabstoßen könnten. So sie wollten. Hund und Rabe betrachtete er fürderhin allerdings sehr anders beim Anblick abschätzender Augen beider Schwarztiere. Wachsende Zweifel schlichen, der dunkle Fremde sei ,nur' Killerartist sogenannter Mörderzunft. Mörderkünstler oder Kunstmörder?
Der ist etwas anderes! Aber was?